Butscha-Soul

Lemons, Limes and Orchids

Einer Welt, die Parolen summt, in denen sich Frieden auf Butscha und Gulag reimt, ist nicht zu trauen. Mangels einer andern tröstet Musik, stärkt den Drang nach Freiheit und macht widerständig. Zwar wurde Joan Wasser nicht als Kind verschleppt, sondern zu ihrem Wohl adoptiert. Diffuse Verlusterfahrung sei das dennoch, erzählte sie mal. Prägender war der Tod ihres Freundes Jeff Buckley, der 1997 mit 30 im Mississippi ertrank. Nach Stationen in illustren Indiebands startete die klassisch ausgebildete Violonistin, die auch Wurlitzer, Piano und Gitarre spielt, mit Joan As Police Woman 2002 ihr eignes Projekt. Statt regulärer Orchesterarbeit wollte sie das Raue und ihre Stimme erkunden. Kritiker nennen sie oft bloß „wunderbar“. Zwischen Art-Pop, gefühlvollen Balladen, Jazz und fiebrigem Elektrobeat hat sie mittlerweile eine stattliche Bandbreite vorgelegt, soulig grundiert, mit Lyrics, die privat erscheinen, aber übertragbar, eben Songs sind, und ihrer enorm wandlungsfähigen Stimme, die von Stöhnen und Wispern bis zum Torch Song oder prasselnder Hymne reicht.

Auf dem Posterfolder ihres zehnten Studioalbums Lemons, Limes and Orchids zeigt sich Joan mit großem Pik-Tattoo zwischen den nackten Schulterblättern. Die Queen of Spades steht in der Spielkartenmantik für starke Intelligenz und eine Kreativität, die mit ihren Plänen der Zeit voraus ist. Obwohl fesselnd eigenständig steht aber auch sie dabei auf Schultern: Nina Simone und Joni Mitchell nannte sie mal als Inspiration. Zwar nicht stilistisch, doch als Role Model für taffe Autonomie und kreative Kraft wäre da noch die „erstaunliche“ Laura Nyro zu ergänzen. Derzeit glücklich liiert, fühle sie sich gut und sexy, sagte die 54-jährige Wasser jüngst.

Darauf ließe das Nocturne-verhaltene Lemons, Limes and Orchids nicht gleich schließen: zwölf Songs über Liebe, Begehren, Unabhängigkeit sowie den Stand der Welt mit ihren kruden Reimen. Klimawandel scheint etwa in Long for Ruin oder dem grandiosen Titeltrack als spezifische Sorge durch, jedoch auch, dass sie sich keine Illusionen macht:

In der Nyro-nahen, da rhythmisch frei erzählten Pianoballade Help is on its way heißt es am Schluss denn auch nur „Just joking“. Parolen droppt sie keine. Aktivismus und Agenda ebenfalls Fehlanzeige, dafür konzentriert wohlige Wärme wie im pulsenden Opener The Dream oder funkige R’nB-Grooves in Back Again. Die Up-Tempo-Nummern, die sie unnachahmlich kann, bleiben spärlich und ragen insofern heraus. Nahrung geben indes die eher zurückhaltenden Songs – in funkelnden Arrangements und mit Musikern wie der Bassgöttin Meshell Ndegeocello. Die beiden sprechen nicht bloß, sie reden! Die Lage ist ernst. Joan Wasser setzt unverdrossen auf Autonomie. Die könnten die Gulag-Claqueure mit ihrem Butscha-Frieden einem jederzeit nehmen. Doch hier ist Musik, die sich berauschend abgeklärt und sexy dagegenstemmt.

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