Judith und Tineke Steenbrink sehen sich auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich. Das ist wenig überraschend, denn die beiden holländischen Musikerinnen sind offenkundig (eineiige) Zwillinge, und sie sind Herz und Motor des Ensembles Holland Baroque: Judith, eine virtuose Barockgeigerin, und Tineke, eine nicht minder virtuose Tastenaktrice an Orgel oder Cembalo. Doch sie können nicht nur exzellent spielen und ansprechend performen (wovon man sich schnell überzeugen kann, sobald man „Holland Baroque“ bei YouTube eingibt), nein – sie sind auch fleißige Musik(er)forscherinnen: Die beiden stiegen in die Archive ihrer niederländischen Heimatregion in Boxmeer und Sint Agatha und auf der anderen Seite der Grenze ins niederrheinische Kleve hinab und fanden dort reiches völlig unbekanntes Material, das sie nun auf ihrer CD-Produktion „Brabant 1653“ präsentieren.
Über die Hälfte der knapp 65 Minuten Musik stammt von Benedictus à Sancto Josepho (1642–1716), einem komponierenden Mönch, der sich seine Inspiration aus dem gregorianischen Choral holte, den er zu reichbesetzten konzertartigen Hymnen und Arien ausarbeitet. Er ist unter anderem vertreten mit einem Magnificat, der marianischen Antiphon Alma Redemptoris Mater oder einem Tantum ergo, das die CD beschließt. Außerdem vertreten sind weitere Never-heard-Komponisten wie der fast hundert Jahre ältere Cornelis Verdonck, der eine Generation später anzusiedelnde Herman Hollanders und Josephos Zeitgenosse Carl Rosier.
Allen gemeinsam ist etwas, das Tineke Steenbrink als „Brabanter Stil“ charakterisiert: „Sie alle haben eine einzigartige Art, dem Text Ausdruck zu verleihen. Obwohl sie nicht melodramatisch oder übertrieben sind, sind sie doch sehr emotional. Ihr Stil ist klar erkennbar durch eine reine Ausdruckskraft und gleichzeitig durch eine leichte, fast spielerische Qualität.“ Besser kann man die Wirkung kaum beschreiben! Bei allem Einfallsreichtum und feiner Satzkunst ist es doch eine zutiefst friedliche, gänzlich un-aggressive, tröstende Musik. Herrlich – spätestens beim zweiten oder dritten Hören beginnt man instinktiv mit zu summen. Sehr gut passt sich dort auch der einzig zeitgenössische Komponist ein: Herman Fischer (* 1954) mit seinem „Ave Maria“ – ein besonderer Ohrwurm, der einen eigenen Akzent setzt.
Summa: Es ist Musik, die ruhig und froh macht und Angst auflösen kann – also etwas, was wir in diesen harten Zeiten sehr brauchen. Insofern Dank den emsigen Zwillingen und ihren fantastischen Musizierenden für diese intensive, herzvolle Entdeckung. Sie kann durchaus – obschon nicht spezifisch weihnachtlich – auf jeden Fall auch gut am Christbaum gehört werden. Nur zu!
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.