Vor allem für den Hof gedacht

Die Predigten des Aufklärers Johann Lorenz von Mosheim dienten Generationen als Vorbild
Sophia Farnbauer
Foto: Günter Körtner

Johann Lorenz von Mosheim (1693–1755) gilt als „Vater der neueren Kirchen­geschichts­schreibung“. Erstaunlich ist, dass es wenig Forschung zur Person Mosheims gibt, auch nicht zu seinen Predigten. Sophia Farnbauer aus Marburg will das ändern.

Meine Familie ist evangelisch geprägt, mein Vater war Religionslehrer, meine Mutter kam aus einem Pfarrhaus, aber das hat mich nicht abgeschreckt. Als ich ihr sagte, ich wolle Pfarrerin werden, sagte sie mir nur: „Überleg es dir gut.“ Ich habe Theologie studiert, nachdem sowohl Religion als Schulfach als auch der Konfirmandenunterricht mein Interesse geweckt hatten.

Im Homiletik-Hauptseminar bin ich beim Thema Predigtgeschichte über Johann Lorenz von Mosheim (1693–1755) gestolpert. Mosheim ist zweifellos einer der prägenden Theologen des 18. Jahrhunderts und der beginnenden Aufklärungstheologie. Seine „Heiligen Reden über wichtige Wahrheiten der Lehre Jesu Christi“ haben als herausragende Stücke deutscher Prosa die Predigtkultur und -sprache seiner Zeit geprägt. Sie sind eingegangen nicht nur in die Predigt-, sondern auch in die Literaturgeschichte, das zeigen Erwähnungen etwa bei Gotthold Ephraim Lessing und Christoph Martin Wieland. Deshalb ist meine Dissertation unter dem Titel Johann Lorenz von Mosheim als Prediger der Aufklärung erschienen.

Mosheim wird vor allem in seiner Bedeutung für die Kirchengeschichtsschreibung immer wieder hervorgehoben. So nannte ihn etwa schon Christian David Jani (1743–1790) den „Vater der Kirchengeschichte“. Adolf von Harnack (1851–1930) lobte ihn als den „Erasmus des 18. Jahrhunderts“. Im 20. Jahrhundert verfestigte sich das Bild von Mosheim als dem „Vater der neueren Kirchengeschichtsschreibung“ (Karl Heussi). Erstaunlich ist, dass es relativ wenig Forschung zur Person Mosheims gibt, insbesondere zu seinen Predigten.

Man kann sagen, dass Mosheim in seiner Zeit zumindest für große intellektuelle Kreise ein sehr wichtiger Mensch war. Die Bände seiner Predigten, gehalten im Kontext des Hofes von Wolfenbüttel, fanden eine Weile reißenden und lang anhaltenden Absatz: Über 40 Jahre lang erlebten sie zahlreiche Auflagen. Zudem war Mosheim ein bedeutender Förderer der Sprachreform von Johann Christoph Gottsched. Deren Ziel war eine klare, schlichte Sprache, die auf die Vernunft der Menschen zielte. Dieser an der klassischen Rhetorik orientierte Stil war das polemisch inszenierte Gegenbild zur barocken Predigt. Deshalb ist hier besondere Vorsicht geboten, damit man nicht einfach diese Bewertung übernimmt.

In Mosheims Predigtbänden findet sich in seinen Vorreden eine „Homiletik in nuce“, also programmatische Aussagen, von denen man lernen kann, und das war sicherlich von ihm auch genau so gedacht. Tatsächlich passen seine homiletischen Empfehlungen zu den Predigten, die wir heute noch nachlesen können, das heißt, er hat sich an die eigenen Prinzipien gehalten. Dazu gehören etwa eine klare Gliederung der Predigt, eine argumentative Entfaltung der Thesen der Predigt und insgesamt der Anspruch, dass das Gesagte und auch der Glaube vernünftig seien, dass man also vernünftig argumentierte. So waren diese Predigten aufklärerisch. Dass viele aufklärerische Schriftsteller der damaligen Zeit Mosheims Predigten schätzten, ist kein Zufall, denn viele dieser Autoren waren ja selbst Theologen oder hatten zumindest mal eine Zeitlang Theologie studiert.

Bei der Forschung zu Mosheim stehen wir vor dem Problem, dass es neben seinen Predigtbänden und seinem Homiletik-Lehrbuch nur wenige andere Quellen gibt, also zum Beispiel keinen Nachlass, nur wenige Briefe et cetera. Außerdem war Mosheim eher ein Vertreter der Frühphase der Aufklärung, das heißt, wir finden bei ihm beispielsweise nur Ansätze einer kritischen Christologie. Er versuchte, beim Glauben alles vernünftig darzustellen, es gibt da schon recht moderne Andeutungen, auch wenn ihm klar war, dass der Glaube am Ende nicht vollkommen aufklärerisch-vernünftig zu erklären sei.

Die Predigten Mosheims ähneln unseren heutigen kaum, denn eine einstündige Predigt galt ihm als Richtwert – das sind 80 bis 100 Seiten in seinen Bänden. Hinter einer Predigt stand sehr viel Arbeit. Und wahrscheinlich hat er sie in der Regel Wort für Wort ausgearbeitet, ehe er sie möglichst frei vortrug. Die veröffentlichten Predigten hat Mosheim dann natürlich noch redigiert, obwohl sie weiterhin Züge des gesprochenen Wortes tragen.

Natürlich darf auch der Kontext der Predigten Mosheims nicht vergessen werden: Es waren vor allem Predigten vor einer höfischen Gesellschaft, sie galten nicht dem manchmal so genannten einfachen Volk, das sich Sorgen um sein tägliches Brot machen musste. Das bedeutet nicht, dass nicht auch kritische Worte gegenüber dem Reichtum des Adels zwischen den Zeilen zu finden sind. Mosheim predigte etwa, dass die Reichen mehr tun müssten, um den Armen zu helfen, dass diese den Glauben fänden und behielten. Auch die Armut Jesu wird mehrfach thematisiert. Insgesamt sind Mosheims Predigten Zeuginnen einer sich ändernden Predigtkultur: Sie zeigen, wie Predigten ihre jeweilige Zeit spiegeln. 

Aufgezeichnet von Philipp Gessler

Die Dissertation von Sophia Farnbauer ist als Buch bei Mohr Siebeck erschienen, aber auch als Open Access, das heißt, sie ist digital und kostenlos über die Verlagswebsite zugänglich: www.mohrsiebeck.com/buch/johann-lorenz-von-mosheim-als-prediger-der-aufklaerung-9783161636653/.

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