Reiner runder Raum
Von außen bleibt es der eher schlichte Bau nach den Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff im Stil des Friderizianischen Rokoko. Innen aber hat die St.-Hedwigs-Kathedrale in einer Ecke des Bebelplatzes am Boulevard Unter den Linden in der Mitte Berlins ein radikal neues und modernes Gesicht. In einem rein weißen und perfekt runden Kirchenraum soll nichts vom Geschehen am Altar im Zentrum ablenken. Liturgisch und architektonisch sollen sich hier Himmel und Erde berühren. Ein Baustellenrundgang und ein Blick in die Geschichte der Bischofskirche durch „zeitzeichen“-Redakteur Philipp Gessler.
Am kommenden Sonntag wird einer der wichtigsten, modernsten und architektonisch gewagtesten Kirchenbauten Deutschlands in Berlin eröffnet. Das Besondere daran: Das wird auf den ersten Blick gar nicht zu sehen sein. Denn abgeschlossen sind damit nur die seit Jahren andauernden Umbauarbeiten der St.-Hedwigs-Kathedrale, die schon seit etwa 250 Jahren mit ihrem runden Äußeren den zentralen Bebelplatz am Boulevard Unter den Linden in der Hauptstadt mit prägt. Während von außen nur Fachleute den Unterschied zwischen Vorher und Nachher am Gotteshaus erkennen werden, ist innen alles anders, ja in einer faszinierenden Art modern und radikal geworden. Entstanden ist ein großer, schlichter, runder, weißer Kirchenraum, der in seiner Modernität und Konsequenz Seinesgleichen mindestens in Deutschland sucht. Und das ausgerechnet in einer römisch-katholischen Bischofskirche, der überladener Prunk oft nicht fremd ist.
Um das nicht nur architektonisch Besondere des de facto neuen Kirchenbaus zu erfassen, ist ein Blick in die Geschichte sinnvoll: Die Berliner Kathedrale für die katholischen Gläubigen wurde schon ab 1747 gebaut, und zwar im Rokoko-Stil preußischer Färbung. In Auftrag gegeben wurde sie von keinem Geringeren als dem Preußen-König Friedrich II. (1712 – 1786), der sogar eine kleine Bauskizze als Entwurf beisteuerte. Das Vorbild war das antike Pantheon in Rom, also ein runder Kuppelbau, gebaut wurde nach den Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff. Dass der formal protestantische Hohenzollernkönig, der aber im Geheimen alle Religionen eher verachtete, ausgerechnet diese erste katholische Kirche in Berlin nach der Reformation anstieß, lag daran, dass nach der Eroberung Schlesiens bis 1745 der Anteil der Katholiken in Preußen in die Höhe geschnellt war. Der Bau im Zentrum Berlins sollte ein Symbol religiöser Toleranz für das Reich des Alten Fritz sein.
Zerstört im Krieg
Die Baugeschichte von St. Hedwig in den folgenden Jahrzehnten war ziemlich turbulent (unter anderem erwog die jüdische Gemeinde Berlin den vom Verfall bedrohten Rohbau für den Bau einer Synagoge zu kaufen). Entscheidend für uns Heutige ist, dass der endlich fertig gestellte Bau im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde und seine Kuppel einstürzte. Nach 1945 entschlossen sich die Katholiken des Erzbistums Berlin, ihr damals in Ost-Berlin liegendes zentrales Gotteshaus wiederaufzubauen. Und schon sie wagten eine radikale Lösung: Von 1952 bis 1963 wurde die Kathedrale innen völlig umgebaut.
Am folgenreichsten war die mutige Entscheidung des Architekten Hans Schwippert, mitten in der Kirche eine große Öffnung zwischen der Unterkirche, also der Krypta, und der Oberkirche zu schaffen. Die clevere Idee dahinter: Die in der Krypta liegenden katholischen Märtyrer gegen die Nazis, vor allem der für die Katholiken der Hauptstadt sehr wichtige selige Dompropst und Widerstandskämpfer Bernhard Lichtenberg, sollten dadurch im Gottesdienst symbolisch präsent sein. Auch liturgische Reformideen im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) spielten eine Rolle.
Doppelte Minderheit
Doch diese große Öffnung zur Krypta gefiel von Anfang an nicht allen in der Gemeinde: Zu weit war die räumliche Distanz zwischen der Gemeinde und dem Priester am Altar bei der Eucharistie. Denn dazwischen klaffte ja „das Loch“, wie manche die immense Öffnung polemisch nannten. So kam nur schwerlich ein Gemeinschaftsgefühl während des Gottesdienstes auf. Die sehr nüchterne, fast ärmlich wirkende und eher gräuliche Innengestaltung der Kathedrale im Stil der 1950er Jahre trug auch nicht gerade zur Beliebtheit des Baus bei. Trotz oder gerade wegen dieser Eigenheiten lag St. Hedwig vielen in der katholischen Gemeinschaft der „Hauptstadt der DDR“ dennoch am Herzen. Warum? Als Ausdruck wohl einer ganz eigenen Identität der doppelten Minderheit innerhalb des eher antikirchlichen SED-Staates und des vor allem evangelisch geprägten Mehrheitschristentums.
Dann wurde Rainer Maria Woelki am 27. August 2011 in St. Hedwig in das Amt als Erzbischof von Berlin eingeführt. Der spätere Kölner Kardinal erlebte in seinen wenigen Jahren an der Spree einen kurzen liberalen Frühling und hatte die Idee, die Kathedrale modern umzubauen. Denn renoviert werden musste sowieso, gerade die Nachkriegskuppel war baufällig. Das heißt, die Kosten wären so oder so immens gewesen. Nach einem langwierigen und langjährigen Verfahren im ganzen Bistum und gegen hartnäckigen Widerstand vor allem von Schwippert-Fans (nicht zuletzt unter früheren DDR-Katholiken) entschied man sich für das Umbaukonzept des Architekten Leo Zogmayer aus Wien.
Das Fenster in der Kuppel. (Foto: Philipp Gessler)
Die Grundidee dabei ist: In einem runden, völlig weißen Innenraum steht im Zentrum wie ein aufgeschlagenes Ei die Halbkugel des weißen Altars, der mit Steinen aus den Gemeinden des Erzbistums gefüllt ist. Diese übrigens in den Raum geklebte Halbkugel nimmt spiegelbildlich die Wölbung der weißen Kuppel der Kathedrale darüber auf. Sie ist mit einem geometrisch anmutenden Penrose-Muster gestaltet, wodurch die Kuppel eine gewisse Tiefe erhält und nicht flach wirkt. In der Mitte der Kuppel ist ein rundes Glasfenster, das als Fenster nicht sofort auffällt, aber tagsüber Licht oder gar Sonnenlicht in die Kuppel lässt.
Die wenigen großen Fenster an den Außenwänden bestehen aus dickem milchigem Glas, das voller Blasen ist. Sie sollen, astronomisch korrekt, gemeinsam den Sternenhimmel der Berliner Nacht genau um Mitternacht vor Christi Geburt zeigen. Das wurde exakt berechnet nach dem Nullpunkt der Zeitenwende vor 2024 Jahren, nicht nach dem unbekannten, wahrscheinlichen historischen Datum der Geburt des Jesus von Nazareth.
So werden nach dem Willen des Architekten auch durch die Fenster Himmel und Erde mit Kuppel und Altar verbunden, in gewisser Weise in einem perfekten runden Raum, in dem nichts ablenkt vom Zentrum des Geschehens, eben der Eucharistie am Altar. Der Kirchenraum selbst ist also das Kunstwerk, weshalb auch so wenig wie möglich andere Kunst das architektonische Ensemble stören soll. So gibt es gerade noch circa 440 Stühle (mit kleinen Kniebänken hinten), zentriert wie Kuchenstücke um den Altar, eine Marienstatue, einen Tabernakel für die Hostien, einen Ambo zur Verkündigung und die renovierte Orgel, die ein wenig in das perfekte Rund hineinragen darf.
Auch die Orgel wurde erneuert. (Foto: Philipp Gessler)
Der Architekt, so hieß es, wollte diese weiße runde Schlichtheit des Innenraums so vollkommen, dass es um die an der Wand hängende Originalorgel längere Diskussionen gab. Selbst der Blumenschmuck des Altars sei ihm bei der vorgezogenen Altarweihe vor etwa einem Jahr regelrecht abgerungen worden. Auch die Lautsprecher mussten in den Wänden verschwinden, um die Rundform des Sakralraums nicht zu stören.
Das Ganze ist so radikal anti-barock, schmucklos und modern, dass schon jetzt zu erwarten ist: Viele katholische Gläubige, die in ihren Gotteshäusern meist eine ganz andere Formenvielfalt und Buntheit kennen, könnten zumindest am Anfang mit dem ganzen Ensemble fremdeln. Das Gefühl von Fremdheit könnte sich in der Krypta noch steigern, die ebenso schlicht gestaltet ist. In der durch erdfarben-bräunlichen Tönen geprägten Unterkirche steht mittig ein großes kreuzförmiges Taufbecken, das direkt unter dem Altar in der Oberkirche und dem Fenster in der Kuppel seht. Hier soll der Glaubensweg und die Orientierung eines Christenmenschen architektonisch nachvollzogen werden.
Blick in die Unterkirche - wieder mit geschlossener Decke. (Foto: Philipp Gessler)
In den Nischen der runden Krypta ist wieder Platz für die Gebeine der Märtyrer wie die von Bernhard Lichtenberg und die Gräber der Bischöfe, was durchaus katholischer Tradition entspricht. Während die Oberkirche warm und weit wirkt, hat die Krypta auch wegen der niedrigen Decke eher etwas Düsteres und Bedrückendes. Ob sich dieser Eindruck vielleicht durch eine andere Lichtgestaltung als während des Baustellenrundgangs für diesen Bericht wieder verflüchtigt, wird frühestens der Tag der Einweihung des Gotteshauses zeigen.
Kleines Schmankerl am Rande: Die mächtigen Säulen in der Krypta sind nicht so dick, weil das aus statischen Gründen nötig wäre, sondern weil Säulen mit größerem Durchmesser eher ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Die Stahlträger in den Säulen hätten allein schon gereicht, das Gewicht der Oberkirche zu tragen. Auch die Heizung des Gotteshauses ist am Einweihungstag der Kirche noch nicht fertig. Sie wird erst betriebsbereit sein mit der Fertigstellung des benachbarten „Bernhard-Lichtenberg-Hauses“, das ein Begegnungsort des Erzbistums werden soll und gemeinsame Wärmepumpen mit der Kathedrale hat.
Kampf mit den Kosten
Hier ist schließlich ein Wort zu den Kosten des großen Umbaus angebracht: Als diese Mitte der 2010er-Jahre ermittelt wurden, ging man von insgesamt 60 Millionen Euro sowohl für das Gotteshaus wie für das „Bernhard-Lichtenberg-Haus“ aus. Davon zahlt der Bund 12 Millionen, das Land 8 Millionen, andere deutsche Bistümer insgesamt 10 Millionen und das Berliner Erzbistum selbst die restlichen 30 Millionen. Durch die Kostenexplosion der Baukosten in den vergangenen Jahren wurde die ermittelte Summe wackelig. Allerdings wurden manche ursprünglich geplanten Baumaßnahmen gestrichen, um möglichst die Kosten im Zaum zu halten. Dazu gehört etwa der Plan eines Tunnels zwischen der Kathedrale und dem „Bernhard-Lichtenberg-Haus“. Insgesamt zeigt man sich deshalb im Erzbistum einigermaßen zuversichtlich, den Kostenrahmen im Wesentlichen einhalten zu können.
Ganz sorgenfrei werden die ersten Wochen oder Monate der umgebauten Kathedrale also nicht sein. Rein architektonisch betrachtet, ist aber der erste Gesamteindruck positiv. Das Gotteshaus im Zentrum Berlins ganz in der Nähe des Stadtschlosses erscheint schon jetzt so interessant und kühn, dass davon auszugehen ist: Die umgestaltete St.-Hedwig-Kathedrale könnte nicht nur für Christinnen und Christen, sondern auch für Freundinnen und Freunde moderner Architektur ein Anziehungspunkt an der Spree werden. Wenige Wochen vor der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre Dame in Paris wird es auch in der deutschen Hauptstadt einen außerordentlichen neuen Kirchenbau zu bestaunen geben.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.