Mord aus Höllenangst
Oberösterreich im Jahr 1750. Die junge Frau Agnes will nicht mehr leben. Sie ist in eine Sackgasse geraten. Für die Heirat musste sie aus ihrem Dorf wegziehen, aber in der Gemeinde ihres Mannes wird sie nicht heimisch. Die Arbeit ist hart, der Schwiegermutter kann sie kaum etwas recht machen. Sehnlichst wünscht sich Agnes ein Kind, aber ihr Mann trägt das Seine nicht dazu bei, er ist an Frauen sexuell nicht interessiert. Agnes ist naturverbunden, zurückhaltend, ein bisschen verträumt - und sehr, sehr fromm. Sie gibt sich große Mühe, ein gottgefälliges Leben zu führen. Doch im Lauf der Zeit verliert sie ihre Lebensfreude und ihren Lebensmut. Sie gerät, wie man damals sagt, in „des Teufels Bad“.
„Des Teufels Bad“ ist der Titel eines Films, der die Geschichte von Agnes erzählt und seit gestern (14. November) im Kino läuft, in der Rubrik Horror und Mystery. Die Evangelische Filmjury empfiehlt ihn als „Film des Monats“. Das österreichische Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala inszeniert das bäuerliche Leben im 18. Jahrhundert in sehr düsteren Bildern und mit viel Liebe zum bedrohlich wirkenden Detail. „Sprache als Mittel der Aufklärung und Befreiung ist keine Option, es gibt kein Außen, das Rettung versprechen würde. In dieser präzisen Beschreibung einer abgeschlossenen Welt und ihrer Ausweglosigkeit, namentlich für Frauen, sowie deren seelischen Folgen, liegt die Aktualität dieses beeindruckenden Films“, schreibt die Filmjury in ihrer Begründung.
Grausames Phänomen
Tatsächlich sind Depressionen keineswegs ein modernes Phänomen, wie manchmal behauptet wird. Doch sie galten nicht immer als Krankheit. Die US-amerikanische Historikerin Kathy Stuart, auf deren Forschungen der Film basiert, hat über Suizidwünsche im 17. und 18. Jahrhundert in deutschsprachigen Regionen Europas geforscht und festgestellt, dass solche Phänomene recht häufig beschrieben werden. Die Rede ist dann zum Beispiel von „Religiöser Melancholie“ oder von „Anfechtungen“.
Die Spezialistin für die frühe Neuzeit ist außerdem auf ein grausames und bisher ganz unbekanntes Phänomen gestoßen, nämlich „Suicide by proxy“, wie Stuart es nennt, auf Deutsch etwa „Suizid durch Stellvertreter“. Zahlreiche des Lebens überdrüssige Menschen haben offenbar aus Angst vor der Hölle einen Mord begangen, in der Absicht, dafür hingerichtet zu werden, statt Suizid begehen zu müssen. Auch Agnes geht diesen Weg: Sie tötet ein argloses Kind und begibt sich dann als Mörderin in die Hände der Justiz. Auf Mord steht die Todesstrafe - aber im Unterschied zum Suizid hat eine Mörderin die Möglichkeit, bevor sie stirbt noch zu beichten und somit Vergebung zu erlangen. Die Seelen von Selbstmördern hingegen sind nach damaliger christlicher Lehrmeinung für immer verloren.
Kinder als Opfer
Die Handlung des Films basiert auf einer wahren Geschichte, nämlich dem Fall von Eva Litzlfellner, die 1762 in Oberösterreich ein Kind tötete und dafür hingerichtet wurde. 400 Fälle von Kindsmord mit Suizidabsicht hat Kathy Stuart im deutschsprachigen Raum nachgewiesen, die Dunkelziffer liegt sicher noch viel höher. Es waren keine skurrilen Einzelfälle, sondern eine verbreitete, den Menschen bekannte Option. Entsprechende Fälle finden sich in protestantischen genauso wie in katholischen Regionen. Die Mehrzahl der Taten - aber nicht alle - wurden von Frauen begangen, und fast immer waren die Opfer Kinder.
Das Phänomen war der weltlichen wie kirchlichen Obrigkeit damals bewusst, schreibt Stuart. Aber man hat es heruntergespielt und verdrängt. Als später mit der Aufklärung die angstmachenden Predigten über Höllenqualen seltener wurden, geriet das Thema ganz schnell in Vergessenheit. War das was? Außer Schulterzucken nicht viel. Verantwortungsübernahme für die eigenen Fehler war auch früher schon nicht unbedingt eine Stärke der Kirche. Zum Glück gibt es Außenstehende, die solche Leichen im Keller ausgraben.
Disclaimer: Die Autorin ist selbst Mitglied in der Evangelischen Filmjury.
Antje Schrupp
Dr. Antje Schrupp ist Journalistin und Politologin. Sie lebt in Frankfurt/Main.