„Trump will Rache nehmen“
„Trump hat schon jetzt mehr Macht in den Händen, als je ein US-Präsident hatte.“ Sorgenvoll blickt der EKD-Synodale, US-Experte und Journalist Arnd Henze in die USA. Er benennt im zeitzeichen-Interview Defizite auch in den nicht-evangelikalen protestantischen Kirchen, den so genannten Mainline Churches und warnt vor dem Rückzug in die kuschelige Harmonie einer Konfliktvermeidung in den Gemeinden.
zeitzeichen: Herr Henze, Sie kennen sich mit der religiösen Szene in den USA sehr gut aus und haben den Wahlkampf dort durch Reisen hautnah erlebt: Klar ist, es waren auf dem religiösen Feld nicht nur die Evangelikalen, die für Donald Trumps Sieg von Bedeutung waren, oder?
Arnd Henze: Nein, auch die mainline protestants, also zum Beispiel die Lutheraner oder Methodisten, haben eine Rolle gespielt. Denn es gibt in diesen Gemeinden nach meinem Eindruck eine unausgesprochene Verabredung, Politik aus dem Gemeindeleben herauszuhalten, um die Gemeinde nicht zu sprengen. Das hat zur Folge, dass in diesen Gemeinden auch nicht offen über die Grenzen des Sagbaren, etwa über Lügen oder menschenfeindliche Aussagen Donald Trumps, geredet wurde. Die Gemeinden waren safe spaces der Vermeidung, aber keine safe spaces mehr, um exemplarisch über polarisierende Themen zu sprechen. So gab es auch in den mainline-Gemeinden keine Verständigung über Rote Linien, was jenseits legitimer politischer Differenzen mit dem christlichen Glauben unvereinbar sein müsste.
Hat Sie insofern der Wahlausgang überrascht?
Arnd Henze: Ja und nein. Beim Start hat Kamala Harris fast alles richtig gemacht, sie hat es vermocht, die Blockade und Depression nach dem missglückten TV-Auftritt von Joe Biden aufzulösen. Aber schon bei ihrer TV-Debatte mit Donald Trump bekam ich ein ungutes Gefühl. Kamala Harris hat einfach kein Angebot für die Wähler*innen gemacht, die seit zwei Jahren merken, dass sie viel weniger Geld in der Tasche haben – das blieb ein Versatzstück von gerade einmal neunzig Sekunden. Das hat nicht gereicht, um ihr Wählerpotenzial wirklich mobilisieren zu können. Dieses fehlende Angebot hat ihr wahrscheinlich die zwei, drei Prozent an Stimmen gekostet, mit denen Trump dann gewonnen hat. Sehr beunruhigend finde ich aber auch, welche Rolle am Ende für Trump Rassismus und Frauenfeindlichkeit spielten: Seine Sprüche in diese Richtung haben ihm nicht geschadet, auch nicht in vermeintlich moderaten weißen Kreisen.
Die meisten Wähler*innen haben sich auch an diesen Sprüchen Trumps offenbar nicht wirklich gestört.
Arnd Henze: Nein, denn Trump hat etwa so viele Stimmen bekommen wie beim ersten Wahlsieg 2016, das heißt, er hat seine Wählerschaft voll ausgereizt. Anders bei Kamala Harris: Sie bekam etwa 11 Millionen Stimmen weniger als Joe Biden 2020. Und bei den weißen Evangelikalen, die als Wählergruppe prozentual kleiner werden, ging einfach fast jeder zur Wahl und wählte dann zu einem sehr hohen Prozentsatz Donald Trump. Diese Geschlossenheit macht diese evangelikale Wählergruppe so wertvoll für Trump. Und wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Mehrheit der weißen mainline protestants für Trump gestimmt hat – schon 2016 und 2020. Trotz der unübersehbaren Radikalisierung der MAGA-Bewegung seit dem Sturm auf das Kapitol hat Trump in dieser Wählergruppe sogar noch zugelegt.
Welche Rolle spielte das Thema „race“ bei den Wahlen?
Arnd Henze: Leider eine sehr große. Es ging eben nicht nur um die Wirtschaftslage, sondern auch darum, dass man eine schwarze Frau nicht im Weißen Haus haben wollte. Die schwarzen Christen haben zu über 80 Prozent für Harris gestimmt. Aber da sind dann doch viele nicht zur Wahl gegangen – möglicherweise, weil sie eine Frau ist. Auch bei den „Hispanics“ hat Trump deutlich zugelegt, auch wenn es immer noch eine Minderheit ist. Dabei hat Trump sowohl über die Schwarzen wie die „Hispanics“ nicht positiv geredet hat. Und dann fehlten Harris gerade in den Universitätsstädten die ein oder zwei Prozent, die lieber den Demokraten wegen ihrer Nahostpolitik einen Denkzettel verpassen wollten, anstatt Trump zu verhindern. Es kommen also viele Faktoren zusammen, die am Ende alle für Trump einzahlten.
Wie geht es jetzt weiter in den USA?
Arnd Henze: Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass Trump vieles umsetzen will, was er angekündigt hat. Und selbst wenn es nicht überall durchsetzen kann, wird es noch schlimm genug werden. Es ist ja bei ihm eine fast religiös aufgeladene Obsession, dass er „Revenge“, also Rache, nehmen will für die angeblich „gestohlene“ Wahl 2020. Trump wird die Institutionen des Staates nutzen, um die Strafverfahren gegen sich zu stoppen und den vermeintlichen „Deep State“ zu säubern. Er kann sich dabei ja auch auf das Urteil des Höchsten Gerichts berufen, das dem Präsidenten im Amt eine Immunität zugesichert hat, die fast an Rechtsbeugung grenzt. In den kommenden vier Jahren wird der Präsident vermutlich zwei freiwerdende Stellen mit jungen Anhängern bestücken, die dann für Jahrzehnte die Mehrheit für den Trumpismus an diesem Gericht zementieren können. Dann wird von den checks and balances des Rechtsstaats nicht mehr viel bleiben. Trump hat schon jetzt mehr Macht in den Händen, als je ein US-Präsident hatte. Wenn diese Macht dann eines Tages seinem Vize JD Vance oder – noch schlimmer – Elon Musk als seinem Nachfolger zufallen sollte, könnte irgendwann ein point of no return für die Demokratie erreicht werden.
zeitzeichen: Und die mainline protestants spielen bei all dem keine Rolle mehr?
Arnd Henze: Bei den eher moderaten Protestanten in den USA ist Trump schon lange viel stärker, als wir es wahrhaben wollten – da sollten wir nicht nur auf die Horrorshow der Evangelikalen schauen. Es gilt weiter die Analyse, die der Bürgerrechtler Malcom X schon vor Jahrzehnten so zusammengefasst hat: Niemals ist unsere Gesellschaft so gespalten wie sonntags um 11 Uhr. Mich beschäftigt stark, dass die Gemeinden in den USA immer homogener werden. Im Mittleren Westen sind zum Beispiel die schrumpfenden Gemeinden der Lutheraner fast vollständig weiß. Das Dilemma: Der Rückzug in die kuschelige Harmonie der Konfliktvermeidung würde weiter in die Irrelevanz führen. Aber der Mut, sich als Gesprächsraum zu öffnen, um wieder einen zivilen gesellschaftlichen Diskurs zu erproben, wäre angesichts der so vergifteten Polarisierung ein Aufbruch ins Ungewisse. Ich denke, dass wir da auch im transatlantischen Austausch viel voneinander lernen und uns gegenseitig stärken können.
Das Gespräch führte Philipp Gessler am 10. November 2024
Arnd Henze
Arnd Henze ist WDR-Redakteur und Theologe. Er lebt in Köln. 2019 erschien sein Buch "Kann Kirche Demokratie?". Seit 2020 gehört Henze als berufenes Mitglied der Synode der EKD an.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.