„Wir haben alle Fehler gemacht“
Auch wenn einige Synodale vor dem Treffen des Kirchenparlaments der EKD in Würzburg Fragen nach der Machtverteilung in der evangelischen Kirche auf die Tagesordnung brachten, blieb eine Revolte aus. Möglicherweise auch, weil die amtierende Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs an Selbstkritik nicht sparte. Aber ebenso nicht an klaren Ansagen an die Politik.
„Was für eine Woche liegt da hinter uns!“ Mit diesem Satz eröffnete die amtierte Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs ihren Bericht vor der EKD-Synode am Sonntagvormittag in Würzburg. Natürlich: Die US-Wahl, dessen Ergebnis Fehrs als „bestürzend“ bezeichnete; das Platzen der Ampelkoalition in Berlin, das „in dieser Abruptheit die ganze Republik“ erschütterte habe. Später verwies Fehrs noch auf die „entsetzlichen Angriffe am Donnerstag auf israelische Fußballfans in Amsterdam“, nur zwei Tage vor dem 9. November, an dem in Deutschland der Pogromnacht 1938 gedacht wurde. Fürwahr eine Woche voller verunsichernder Ereignisse.
Doch mit Blick auf die evangelische Welt in Deutschland lässt sich sagen: Verunsicherung prägte das gesamte vergangene Jahr. Es war das erste, in dem Kirsten Fehrs den Ratsvorsitz übernommen hatte. Ungeplant freilich, denn die aktuelle Welle der Erschütterungen türmte sich ja beim letzten Treffen der EKD-Synode in Ulm auf, das noch unter dem Ratsvorsitz von Annette Kurschus stattfand. Es stand ganz im Schatten der Spekulationen um einen möglichen (und kurz darauf tatsächlich erfolgten) Rücktritt der damaligen westfälischen Präses im Zusammenhang mit Berichten über mögliche Fälle sexuellen Missbrauchs in ihrer Landeskirche.
Die Verunsicherungen, die der Umgang mit dieser Krisensituation bei den Synodalen ausgelöst hat, sind noch ein Jahr später zu spüren. Zwar haben Fehrs und die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, im Frühjahr alle synodalen Arbeitsgruppen besucht und mit ihnen die Ereignisse von Ulm besprochen. Doch das hat offenbar nicht ganz gereicht.
Umgang mit Macht
Kurz vor der Synode hatten drei ihrer Mitglieder, Kirsten Merle, Nicole Grochowina und Philipp Rhein, hier auf zeitzeichen.net die „Machtfrage“ gestellt, protestantisch zurückhaltend im Ton zwar, aber doch mit der klaren Kritik an informellen Machstrukturen. Die Tagung in Ulm habe an alle Beteiligten in den unterschiedlichen Leitungsorganen die Frage gestellt, „wo die Agency sitzt, und welche Kräfte und Dynamiken aus welchen Gründen vor und während der Synodaltagung sowie in ihrem Nachgang zur Durchsetzung kamen.“ Für eine zukunftsfähige Kirche sei „eine Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Macht auf allen Ebenen, insbesondere aber in der Praxis eigenen kirchlichen Leitungshandelns, wichtig.“
Auch die EKD-Synodale – und zeitzeichen Online-Kolumnistin - Angela Rinn, hatte bereits im September die Intransparenz in kirchlichen Machtstrukturen beklagt. Sollte Ulm also noch ein heftiges Nachspiel in Würzburg haben? Schließlich stellt sich Kirsten Fehrs während dieser Tagung als Ratsvorsitzende zur Wahl.
Unzureichende Abstimmung
Zumindest am ersten Tag blieb eine Revolte aus. Kirsten Merle erneuerte zwar in einem Redebeitrag die Anfragen, schlug aber zur Beantwortung das Aufsetzen eines mehrjährigen Reflexionsprozesses zum Thema vor. Vor Journalisten zeigte sich Fehrs grundsätzlich offen für Prozesse dieser Art („Reflektieren über Macht gehört immer dazu“).
Zur Befriedung trugen aber sicher auch die selbstkritischen Töne bei, die Fehrs in ihrer Rede vor der Synode anschlug. Annette Kurschus, die anwesend war, habe „Verantwortung übernommen, aber sie ist nicht allein verantwortlich für die Entwicklung im vergangenen Jahr, die zu ihrem Rücktritt führte. (…) Wir haben alle Fehler gemacht (…), insbesondere im Bereich der internen Kommunikation.“ Die Abstimmung zwischen der Westfälischen Kirche und der EKD sei „unzureichend“ gewesen, so dass die Beratung für Annette Kurschus nicht in dem notwendigen Maße erfolgt seien.
Ruck nach ForuM
Noch wichtiger für den inneren Frieden der Synodalen dürfte aber die direkte Ansprache Fehrs an Kurschus gewesen sein: „Wir danken dir für alles, was du der EKD geschenkt hast – mit deiner Wortkraft und deinem theologischen Feinsinn. Danke, dass du Verantwortung übernommen hast in schwieriger Zeit. Möge Gott dich behüten auf deinem weiteren Weg.“ Es folgte der längste Applaus während des Ratsberichtes.
In dem spielte das Thema sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche wie auch in den Vorjahren eine große Rolle. Schließlich wurde in diesem Jahr die ForuM-Studie veröffentlicht, die zwar mit Blick auf ihre Datengrundlage heftig diskutiert wird, aber doch „bis in die Kirchenkreise und Gemeinden hinein einen Ruck“ ausgelöst habe, so Fehrs. In Konsequenz der ForuM-Studie gehe es um nichts Geringeres „als um einen Transformationsprozess, der an die Tiefenschichten des evangelischen Selbstverständnisses strukturell und theologisch reicht.“ Am Montagnachmittag wird sich die Synode mit dem Stand der Dinge beschäftigen.
Thema Migration
Und nicht zuletzt blickte Kirsten Fehrs ebenso wie Anna Nicole Heinrich voraus auf das Schwerpunktthema der Synode, Migration, das für Dienstag eingeplant ist. Bereits am Sonntag berichtete Präses Heinrich von ihrer Reise mit einer kleinen Delegation an die EU-Außengrenze auf die griechische Insel Kos und ihrem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Brandenburg und eine Abschiebehafteinrichtung in Nordrhein-Westfalen. Was sie davon mitgenommen habe, beschriebt die Präses so: „Ich kann nicht schweigen, wenn ich die Gewalt, Rechtlosigkeit und Not an unseren EU-Außengrenzen sehe. Und es kann mir nicht egal sein, wenn Migrationspolitik in unserem Land darin besteht, immer neue Gesetzesverschärfungen und Scheinlösungen zu präsentieren.“
Auch Fehrs kritisierte die Engführung der Debatte auf Abschreckung und Abschiebung. „Ich finde diese heiß laufende Debatte so gefährlich, weil sie suggeriert, dass geflüchtete Menschen grundsätzlich eine Bedrohung seien.“ Zudem zeigte sich Fehrs besorgt darüber, dass das Kirchenasyl nicht mehr überall akzeptiert wird. „Ich sage es hier klar und deutlich: Die Evangelische Kirche hält am Kirchenasyl fest. Entgegen aller politischen Trends werden wir immer wieder sagen: Es geht um Menschen, nicht um Zahlen.“
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".