Der Schlagabtausch zwischen dem Journalisten Philipp Greifenstein („Unternehmerinnen im Talar?“) und Landesbischöfin Heike Springhart („Räume der Ermöglichung“) auf zeitzeichen.net lässt mich unbefriedigt zurück. Egal ob als Negativfolie oder als Verheißungsformel: Wie so häufig, bleibt die Auseinandersetzung mit unternehmerischem Denken in der Kirche – oder neudeutsch: mit spiritueller Entrepreneurship – wolkig.
Beide Diskutanten liegen bei allem markierten Dissens nicht weit auseinander. Sie fremdeln mit „kapitalistischem“, an finanziellen Erträgen orientiertem Handeln der Kirche. (Ich frage mich: Warum eigentlich? Es ist an der Zeit, dass wir auch über neue Ertragsquellen jenseits der Kirchensteuer nachdenken, um gute kirchliche Arbeit auskömmlich zu finanzieren.) Den beiden ist wichtig, dass die Kirche eine Organisation des „und“ und des „auch“ bleibt, in der bloß kein Effizienzdenken einziehen soll. Vieles soll für viele möglich bleiben. (Ich beobachte: Evidenzbasierte Ansätze, die unser oft planloses und manchmal von Partikularinteressen Haupt- und Ehrenamtlicher diktiertes Handeln deutlicher an Wirksamkeitskriterien orientieren, sind mittlerweile für viele kirchlich Mitarbeitende attraktiv.) Mein Eindruck ist: Wir sind in der Diskussion inzwischen weiter. Christoph Meyns und andere haben in klugen Arbeiten nachgewiesen, dass betriebswirtschaftliche, erfolgs- und nutzenmaximierende Modelle im Raum der Kirche allenfalls mit vielen Vorbehalten eingesetzt werden können. Innovationspotenzial für kirchliches Organisationshandeln bietet, wenn, dann weit eher der Diskurs der sogenannten „Agilen Verwaltung“.
Woher kommt also die fortgesetzte Lust daran, sich mit Blick auf die Kirchenentwicklung von ökonomischen Begrifflichkeiten – um mit Heike Springhart zu sprechen – triggern zu lassen? Ich befürchte: Der Triggerpunkt ist ein bestimmtes Mindset. Ein Habitus, den wir einerseits im kirchlichen Leben vermissen, der aber gleichzeitig vielen Hochverbundenen, Haupt- wie Ehrenamtlichen, ein wenig Angst macht. Ein blinder Fleck in der evangelischen Kirche – nennen wir ihn ruhig: „unternehmerisches Denken“ oder auch „Agilität“. Warum tun wir uns so schwer mit dieser Haltung?
Wenig Zutrauen
Unternehmerisches Denken ist ständig in Bewegung. Das Geschäft läuft nur, wenn die Unternehmerin fortwährend Chancen erkennt und immer wieder Risiken eingeht. Typische unternehmerische Eigenschaften wie Mut, Veränderungsbereitschaft und Entscheidungsfreude spielen bisher in den hoch bürokratisierten kirchlichen Leitungsämtern und -gremien eine eher geringe Rolle. Klassische Organisationseinheiten wie Landeskirchen oder Ortsgemeinden sind grundsätzlich auf die Bewirtschaftung des Status quo angelegt. Finanzmittel werden gleichmäßig und kontinuierlich zugeteilt. Ausgaben werden durch ein engmaschiges, nivellierendes Regelwerk gesteuert, das keine riskanten Investitionen zulässt. Manchmal erstaunt es, wie wenig Zutrauen kirchliche Gremien in eine positive Wirksamkeit ihrer eigenen Entscheidungen haben. Doch auch der Gewinn dieser Organisationskultur liegt auf der Hand: ein hohes Maß an Bestandssicherheit – nicht zuletzt für die hauptamtlich bei der Kirche Beschäftigten.
Kirchliche Organisation existiert seit jeher unter diesen kameralistischen Rahmenbedingungen. Das schlägt sich in einer wenig veränderungsfreudigen und vor allem äußerst risikoaversen Mentalität nieder. Es besteht subjektiv wenig Anreiz, in negativer wie in positiver Hinsicht, profilbildende Entscheidungen zu treffen: Die verfassten Kirchen nehmen einerseits kaum eine Wettbewerbssituation wahr, auch wenn sie de facto auf einem religiösen Markt agieren (der zudem insgesamt rasch kleiner wird). Andererseits fragt niemand die Leistungsbilanz kirchlicher Organisationseinheiten ab. In der Regel fehlen schon die Instrumente, mit deren Hilfe ein erhöhter quantitativer Output oder eine besondere Qualität des Handelns festgestellt werden könnte.
Kirchenleitend Verantwortliche stellen sich diesen Handlungsrahmen selten ungeschminkt vor Augen. Er ist auf den ersten Blick gar nicht irrational oder schädlich. Als Organisation kann Kirche grundsätzlich auch ohne die Anstrengung, agil zu sein, und ohne ein unternehmerisches Mindset funktionieren. Die Ansprüche der Menschen, auch der meisten Kirchenmitglieder, an die Kirchen sind überschaubar: Die Kirche und ihre Repräsentanten sollen für das Richtige stehen und in entscheidenden biografischen Momenten zur Stelle sein. (In diesem Punkt wünsche ich mir mehr Ehrlichkeit, gerade unter den Pfarrerskolleginnen und -kollegen: Es ist schlicht nicht so, dass wir alle mit grenzenlosen Bedürfnissen der Gemeinden und der Außenwelt zu ringen haben. Viel Stress und Überforderung sind hausgemacht.) Wo es nicht eine grundsätzliche Störung in der öffentlichen Wahrnehmung oder in der Mitgliederkommunikation gibt – wie infolge des Skandals sexualisierter Gewalt oder, in der katholischen Kirche, wegen mangelnder innerkirchlicher Demokratie –, wird der Wunsch nach höherer Agilität kaum von außen oder von den Rändern an die kirchlich engagierte Mitte herangetragen werden.
Schwächere Bindungen
Das wird aber zum Problem, wenn kirchliche Repräsentant:innen sich mit dieser Situation zufriedengeben. Denn es ist, wie Heike Springhart sagt, genau ihre Aufgabe, Menschen zu aktivieren: sie einzuladen, religiöse Grundüberzeugungen und Lebenspraxis zu teilen. Anders als in hochintegrierten freien Gemeinden beziehen die großen Kirchen einen hohen Grad ihrer Vitalität aus einer Angebotsstruktur. Ähnlich wie ein Unternehmen bei seinen Kunden, sind sie herausgefordert, auch bei ihren Mitgliedern und Zugehörigen immer wieder neu Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken. Das ist in der letzten Generation sehr viel schwieriger geworden. Traditionelle Bindungen werden schwächer, doch besteht nach wie vor die Erwartung, dass das kirchliche Personal die traditionellen Aufgaben in Verkündigung und Seelsorge erfüllt.
Gleichzeitig wird sich die Kirche bei vielen nur in Erinnerung bringen können, wenn es ihr gelingt, Erwartungen an das Neue und Ungewohnte zu wecken, das bei ihr zu finden ist. Seit längerem herrscht, nicht nur in der Kirche, das einschlägige Narrativ „von der Komm- zur Gehstruktur“. Das wird allerdings schnell zur typischen Überforderungsformel, wenn der Mut fehlt, auch beherzt überkommene Handlungsmuster sein zu lassen. Den Aufwand bei gleichbleibenden oder schwindenden Ressourcen zu verdoppeln – so viel Entrepreneur oder schlicht schwäbische Hausfrau sollte in allen kirchlich Verantwortlichen stecken, um zu bemerken: Das geht sich nicht aus.
Agile Methoden aneignen
Analogien zur Unternehmenswelt helfen eben trotz aller Bemühungen nur sehr bedingt, kirchenentwicklerische Herausforderungen anzugehen. Die großen Kirchen ähneln in ihrer Struktur nach wie vor weit eher staatlichen Behörden, allenfalls noch traditionell aufgestellten Großkonzernen, weniger dem innovationsgetriebenen Mittelstand und bestimmt nicht agilen Start-Ups. Ihre Mitarbeitenden können sich individuell mit Gewinn manche agilen Methoden aneignen. Die Gesamtstruktur flexibler und agiler zu machen, stellt aber eine Großaufgabe dar, die Entscheidungen und Vereinbarungen auf der zentralen Ebene braucht. Insofern wären hier zunächst klassische Steuerungsmechanismen gefragt – falls sich das Konzept zentraler Steuerung von Strukturprozessen auf Landeskirchenebene nicht bereits überlebt hat.
Für die modische Idee eines „ekklesialen Unternehmertums“ individueller Akteure (in Anlehnung an Formen der Social Entrepreneurship) bieten die verfassten Kirchen ohnehin einen denkbar schwierigen Rahmen, da hat Philipp Greifenstein ganz recht. Das Risikokapital, das mit Recht für solche Aufbrüche bereitgestellt wird, sollte meiner Ansicht nach immer auch dafür eingesetzt werden, in exemplarischer Weise neue und riskante Strukturen zu erproben – und sei es nur, um bei der Gelegenheit einmal produktiv über Erfolgskriterien für kirchliches Handeln nachdenken zu müssen. Der Rest ist, wie üblich, Arbeit am Mindset.
Johannes Wischmeyer
Dr. Johannes Wischmeyer (Jahrgang 1977) ist seit 2021 Leiter der Abteilung „Kirchliche Handlungsfelder“ im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und unter anderem zuständig für Catholica-Fragen.
Johannes Wischmeyer
Dr. Johannes Wischmeyer (Jahrgang 1977) ist seit 2021 Leiter der Abteilung „Kirchliche Handlungsfelder“ im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und unter anderem zuständig für Catholica-Fragen.