„Nach wie vor ein Wunder“

Der ökumenische Kalender „Der Andere Advent“ feiert Geburtstag
Kalender Der andere Advent 2024/25
Kalender Der Andere Advent - nach 30 Jahren für viele unentbehrlich.

Im dreißigsten Jahr des Kalenders „Der Andere Advent“ stehen seine Macherin­nen und Macher vom ökumenischen Verein Andere Zeiten immer noch ein wenig sprachlos vor dem durchschlagenden ErfolgEin Gespräch mit Iris Macke. Die Theologin und Journalistin ist seit 2005 im Andere-Zeiten-Team aktiv und seit zwei Jahren Chefredakteurin.

Frau Macke, 1995 erschien der erste Kalender „Der Andere Advent“. Erzählen Sie ein bisschen: Wie kam es dazu?

Iris Macke: Im Jahre 1995 hatte Pastor Hinrich Westphal, der damalige Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsdienst der Nordelbischen Kirche in Hamburg, die Idee, die Advents- und Weihnachtszeit als etwas wahrzunehmen, was sie eigentlich vom Kirchenjahr her ist, nämlich eine Fastenzeit. Nun wollten er und sein Team es aber nicht vordergründig asketisch angehen lassen, also lustfeindlich auf Glühwein und Spekulatius verzichten, sondern sie wollten dem entgegenwirken, was bis heute viele Menschen gerade in der Adventszeit plagt: Stress und Anstrengung. So kam es zu der Idee, für jeden Tag der Adventszeit einen Text und ein Bild zu suchen. Das sollte dazu einladen, die Gedanken schweifen zu lassen, eine andere Perspektive zu bekommen und so die Zeit tiefer, heute würde man sagen: achtsamer – wahrzunehmen. 

Und wie lief es mit diesem ersten Kalender 1995? 

Iris Macke: Der erste Kalender startete mit 4000 Exemplaren, die damals als Projekt kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit noch verschenkt wurden. Auch die zweite Auflage 1996 wurde noch verschenkt. Aber dann merkte man, dass die Aktion zu groß wurde, um nur ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Sprengels Hamburg zu sein. Es zeichnete sich eine rasante Nachfrage ab, und 1997 wurde der ökumenische Verein Andere Zeiten ge­gründet, in den die Redaktion und der Vertrieb des Kalenders ausgelagert wurden.

Woher kam der große Erfolg? War der Kalender so sensationell gut?

Iris Macke: Natürlich war er das (lacht). Aber ich glaube auch, dass sich beim Anderen Advent schnell eine Art Schneeballprinzip etabliert hat. Bis heute ist es so, dass der Kalender oft zwischen den Generationen verschenkt wird, also die Mutter schenkt es dem Sohn oder manchmal auch umgekehrt. Oder ich schenke den Kalender einer Freundin, weil ich weiß, dass sie für diese Art von Inhalten auch ansprechbar ist …

… außerdem ist es eine willkommene gesunde, sprich kalorien- und zucker­arme, Alternative zum Schokoladenadventskalender, oder?

Iris Macke: Möglicherweise, aber wie auch immer: Nach dreißig Jahren ist für viele der Andere-Advents-Kalender einfach ritualisiert, er gehört zu den Adventswochen und der Weihnachtszeit dazu. Inzwi­schen versenden wir den Kalender in 45 Länder , zum Bei­spiel nach Australien, Neuseeland, nach China. Und dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich um die 650.000 Kalender verkaufen – ich empfinde das weiterhin als ein Wunder. 

Der Andere Advent geht in alle Welt, gibt es ihn also in mehreren Sprachen?

Iris Macke: Nein, er ist bisher ein deutschsprachiges Projekt. Vor einigen Jahren haben wir mal versucht, eine englischsprachige Version herauszugeben, aber das hat mit einer reinen Eins-zu-eins-Übersetzung nicht funktioniert. Wahrscheinlich lag es zum einen daran, dass wir in unseren Texten doch sehr eindringlich und intensiv mit Sprache und Sprachbildern arbeiten. Und zum anderen gibt es außerhalb des deutschsprachigen Raums diese Tradition des Adventskalenders kaum, insofern bleibt es vorerst bei der deutschsprachigen Version. 

Der 1997 gegründete Verein Andere Zeiten hat dann ja sehr bald auch andere Produkte entwickelt. Irgendwann kurz vor der Jahrtausendwende kam doch dann der Bronzeengel, ein Evergreen bis heute, oder?

Iris Macke: Das kann man sagen. Über 1,5 Millionen Mal haben wir den bisher verkauft und ganz viele Leserinnen und Leser spiegeln uns zurück, wohin und wem sie den Engel geschenkt haben. Der Engel wird bei Konfirmationen verschenkt, in Schwellensituationen, vor einer Reise oder auch bei Liebeskummer, und er geht mit in Gräber. Dieser Engel kann große Wirkung entfalten. Das liegt vielleicht auch dran, dass er ein sehr niedrigschwelliges Symbol ist, was von Hand zu Hand gegeben werden kann, auch das macht seinen besonderen Reiz aus.

Was gab den Anstoß für den Engel?

Iris Macke: Dieser Engel war Teil eines Segenskoffers, den wir zur Jahrtausendwende herausgegeben haben. Der enthielt unter anderem Brot und eine Pilgermuschel und Samen. Er wurde entwickelt im Vorfeld des Jahrtausendwechsels, vor dem es ja durchaus auch Ängste gab, was infolgedessen passieren könne. Danach wurde immer wieder verstärkt nach dem Engel gefragt und so wurde er zum zweiten großen Produkt unseres Vereins – bis heute. 

Der Verein Andere Zeiten hat kommerziellen Erfolg, und das ist eine Erfahrung, die die Kirche oder kirchennahe Betriebe ja eigentlich leider selten haben. Aber der Verein will mehr als das, zumal er ja als gemeinnütziger Verein auch keine Reichtümer anhäufen will. Von außen hat man über die Jahre den Eindruck, dass sich in Ihrem Team auch ein besonderer Spirit entwickelt hat, weitere Felder zu erschließen, ja, darf man es vielleicht sogar Sendungsbewusstsein nennen?

Iris Macke: Natürlich darf man das so nennen. Zwar ist der Kalender bis heute unser Standbein Nummer eins, aber uns war früh klar, dass auch die übrigen Zeiten des Kirchenjahres sehr wichtig sind, uns ganz viel zu sagen haben und insofern mehr wahrgenommen werden sollten. So haben wir mittlerweile zwei Fastenaktionen, ein Urlaubsbuch und ein Trostbuch. Außerdem haben wir uns intensiv damit beschäftigt, wann Menschen besonders ansprechbar für spirituelle Begegnung und für spirituelle Fragen sind.

Und zu welchem Ergebnis kamen Sie?

Iris Macke: Es sind häufig Grenzsituationen, in denen Menschen besonders offen sind. Wenn wir über eine Schwelle gehen, zum Beispiel, wenn wir trauern. So haben wir ein Trauerbuch herausgegeben und im vergangenen Jahr ein Krisenbuch für Menschen, die mit persönlichen Wüstenzeiten umgehen müssen. Außerdem gibt es auch ein Jugendbuch mit der Hauptzielgruppe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Also: Einerseits das Kirchenjahr, andererseits die biografischen Phasen im Leben eines Menschen – das sind die beiden Achsen, auf denen Andere Zeiten sich bewegt.

Könnte man das Tun von Andere Zeiten letztlich als Diakonie oder Seelsorge in Form von Produkten und Schriften bezeichnen?

Iris Macke: Im weitesten Sinne sicherlich. Aber – ganz entscheidend! – das ist für uns keine Einbahnstraße. Denn es ist wirklich beglückend und wichtig, dass wir intensiv Kontakt zu vielen Leserinnen und Lesern haben. Als Chefredakteurin bekomme ich jährlich zum Anderen Advent weit über eintausend Rückmeldungen. Das kann einfach ein „Danke“ sein, zuweilen ist es auch ein Textvorschlag für den nächsten Kalender, aber es kann auch ein seelsorgerliches Anliegen sein. 

Wie gehen sie damit um?

Iris Macke: Wir reagieren auf jede Mail, auf jeden Brief, auf jeden Anruf persönlich und antworten tatsächlich auch individuell. In unserer Redaktion gibt es keine vorformulierten Standardantworten. Das ist aufwändig, aber ich glaube, genau das macht es aus, dass wir eine ganz, ganz große Bindung zu unseren Leserinnen und Lesern haben. 

Könnte man sagen, dass Andere Zeiten eine ganz große, überregionale Gemeinde ist?

Iris Macke: Das wäre zu viel gesagt, denn wir möchten den Kirchengemeinden keine Konkurrenz machen. Aber tatsächlich gibt es schon eine enge Verbundenheit zwischen Andere Zeiten-Leserinnen und -Lesern, zumindest mit denen, die sich eng mit Andere Zeiten identifizieren. Diese Art von Gemeinschaft begrüßen und fördern wir auch. Zum Beispiel in einem Forum, wo sich die Leserinnen und Leser digital austauschen können. Oder im Rahmen unseres Formates „anders lesen“. 

Wie funktioniert das?

Iris Macke: Da laden wir in einen digitalen Raum ein, und die Menschen, die sich angemeldet haben, bekommen vorher literarische Texte geschickt, über die dann – Zoom macht’s möglich – in kleineren Gruppen diskutiert wird. Zum Abschluss kommen noch einmal alle digital zusammen und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. Dieses unverbindliche, zeitlich begrenzte Format birgt total viele Schätze. Manchmal schreibe ich die Redebeiträge mit, die dort fallen, und lese sie den Teilnehmenden hinterher vor. Häufig sind dann viele überrascht, welche Tiefe in ihren eigenen Zitaten stecken kann – ausgelöst durch das gemeinsame Nachdenken über einen Text. Insofern ist das Format anders lesen wirklich eine Stunde gelebter Spiritualität, und natürlich besteht für die Teilnehmenden, wenn sie das möchten, auch die Gelegenheit, nachdem sie sich kennengelernt haben, weiter in Kontakt zu stehen.

Der kommerzielle Erfolg der Andere-Zeiten-Produkte sorgt dafür, dass Sie, anders als der Großteil der kirchlichen Publizistik, keine zusätzliche finanzielle Förderung brauchen, sondern dass Sie umgekehrt sogar Förderungen vergeben können. 

Iris Macke: Es gibt zwei Preise, die der Verein Andere Zeiten in jedem Jahr vergibt, einmal den Journalistenpreis für besonders gelungene Medienbeiträge, und es gibt den Ideenpreis. Damit zeichnen wir besonders kreative Projekte aus. In diesem Jahr wurde der Ideenpreis zum Thema »Kinder« und »Arbeiten mit Kindern« vergeben. Wir haben ein Mobil gefördert, das über Land fährt und an dessen Stationen Kinder biblische Geschichten erleben können. Tatsächlich ist es so, dass wir auch verschiedene Projekte und Aktionen direkt finanziell fördern, sofern sie kirchliche Träger haben. Kriterium ist für uns die Mitgliedschaft in der ACK

Andere Zeiten hat einen eigenen Vertrieb. Lohnt sich das denn? Wäre es finanziell günstiger, wenn Sie das an einen Dienstleister geben würden?

Iris Macke: Wir haben den eigenen Vertrieb aus Überzeugung, denn es ist uns wichtig, dass die Menschen, die bei uns bestellen , wirklich einen persönlichen Kontakt bekommen, sofern sie es wünschen. Viele Leser und Leserinnen ordern unsere Aktionen und Projekte gerade wegen dieses persönlichen Gesprächs über das Telefon. 

Aber wenn man rein ökonomisch denken würde, könnte man das sicher anders losschlagen, oder?

Iris Macke: Das mag sein, aber ich glaube, dann wären wir nicht mehr Andere Zeiten. Die Option der persönlichen Kontaktaufnahme gehört einfach unverwechselbar zu uns und ist uns sehr wichtig. Jeden Mittwoch um 12 Uhr haben wir alle zusammen – Redaktion und Vertriebsdienst – eine Andacht. Und danach tauschen wir uns darüber aus, was passiert ist, was besonders war in der vergangenen Woche. Dieses Persönliche braucht Andere Zeiten, sonst würde es sicher schnell seinen Spirit verlieren. 

Das Gespräch führte Reinhard Mawick am 1. Oktober per Zoom.

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Iris Macke

Iris Macke studierte Theologie in Bethel und Hamburg. Anschließend absolvierte sie eine journalistische Ausbildung und war Redakteurin und Moderatorin kirchlicher Radio- und Fernsehprogramme. 2005 kam sie zu Andere Zeiten, wo sie seit 2022 eine der beiden Chefredakteurinnen ist. 

 


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