Bitte nicht cool bleiben!
Wie gehen wir um mit dem Schmerz angesichts der Klimakrise? Luisa Neubauer von Fridays for Future, Aimée van Baalen von der „Letzten Generation“ und Sven Giegold aus dem Bundesklimaschutzministerium geben auf dem Kirchentag Auskunft über ihre inneren Welten und den Blick auf die Äußere.
Sorry, aber die Nachrichtenlage bleibt schlecht. Wissenschaftler warnen erneut vor einem sich beschleunigendem Klimawandel, Waldbrände in Kanada sorgen für apokalyptische Bilder aus New York und in Deutschland droht der nächste Dürre-Sommer. Und was empfiehlt die nach eigenen Angaben älteste deutsche Buchhandlung „Korn & Berg“ auf einem Plakat in der Nürnberger Altstadt? „Cool bleiben“, darunter Gartenbücher mit schönen Titeln wie „Wächst fast ohne Wasser“ oder „Garten ohne Giessen“.
Eine Ecke weiter, in der vollbesetzten St.-Sebald-Kirche, will aber niemand „cool“ bleiben. Hier geht es um Gefühle, um den Frust und die empfundene Ohnmacht angesichts der sich zuspitzenden multiplen Krisen in der Welt. Und um die Frage, wie man damit umgehen kann und woher die Kraft für das Engagement für eine bessere Welt kommen kann. „Was hilft, wenn Yoga und Tee nicht mehr helfen?“, so der launige Titel. Auf der Bühne Experten zum Thema Klimawandel und Gesundheit, darunter auch Luisa Neubauer, Klimaschutzaktivistin von Fridays for Future, die es für legitim hält, wenn ihre Wut auf Christian Lindner (FDP) zu „aggressivem Tofu-Steak-Braten “ führt. Die Pointe kommt an, ist aber zum Glück aber eingebettet in eine sehr ernsthafte Diskussion und Suche nach Lösungen.
Der heilige Gral
Entscheidend dabei: Die negativen Gefühle anerkennen und mit Gleichgesinnten vernetzen, meint Jana Kristin Hoppmann, Psychologin und Gründerin der Beratungsagentur „ClimateMind“ in Berlin: „Als Einzelpersonen sind wir ohnmächtig. Wir haben die Krise kollektiv verursacht, wir können sie nur in Gemeinschaft lösen.“ Es gehe also weniger um individuelle Ansätze, wie die Zahnbürste aus Bambus statt aus Plastik, sondern um den Weg hin zu gemeinsamen Lösungen.
Widerspruch von Luisa Neubauer, die meint, dass viele Menschen die jeweils kleine Schritte gehen, große Wirkungen haben können. Aber sie weiß auch: „Die Wirkung wird größer, wenn wir es gemeinsam machen.“ Denn es sei bei der Klimakrise nie allein um die Fakten und das seit Jahrzehnten vorhandene Wissen gegangen, sondern die gesellschaftliche Macht. Der entscheidende Hebel sei nicht die Technik. „Die soziale Klimabewegung ist unser heiliger Gral!“ Ein gewiss nicht zufällig formulierter Satz inmitten all der religiösen Ikonographie einer alten Kirche.
Der Gedanke verfängt, zumindest bei Martin Herrmann, Vorstandsvorsitzender der Allianz für Klimaschutz und Gesundheit. „Jetzt ist die Zeit, neu zu entdecken, dass die Macht nicht bei den Herrschenden ist, sondern zwischen uns entsteht“, sagte er. „Wir nehmen sie uns“, denn die Mächtigen würden zu wenig gegen die Klimakrise tun. Psychologin Hoppmann springt bei: „Dann landen wir in einem Zustand, den wir Selbstwirksamkeit nennen. Das ist das Gegenteil von Ohnmacht.“
Die Machtfrage
Da ist sie also, die Machtfrage, die derzeit ja eher bei den Aktionen der radikaleren Klimaschützer der „Letzten Generation“ thematisiert wird. Eine ihrer Vertreterin, Aimée van Baalen, die auf der jüngsten Tagung der EKD-Synode im November um Unterstützung durch die Kirche gebeten hatte, gestaltete am Abend ein politisches Nachtgebet mit. Auch hier ging es um den Umgang mit Schmerz und Verzweiflung angesichts der sich zuspitzenden Krisen in der Welt. Den empfindet natürlich auch Aimée van Baalen, gerade auch mit Blick auf die gegenwärtigen Nahrungsmittelkrisen durch den Klimawandel, von dem ihre Verwandten in Südafrika ihr berichteten. Sie spüre ihn auch mit Blick auf die eigene Zukunft und die Frage, ob sie Kinder in eine Welt hineingebären möchte, die immer tiefer in die Klimakrise gerät. Doch gleichzeitig gebe ihr der Zulauf und die Zustimmung vieler zu den Aktionen der „Letzten Generation“ Kraft, auch wenn viele morgens vor den Aktionen nicht wüssten, ob sie abends im Gefängnis sitzen. Dass sie dennoch mitmachten, das gebe ihr Mut – langanhaltender Applaus aus den Kirchenbänken.
Und die Machtfrage? Van Baalen verweist auf Grundgesetz Artikel 20a in dem es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…)“. „Ich sehe meine Position darin, die Bundesregierung daran zu erinnern, dass wir diese Grundgesetze haben und dass wir auch nicht wieder weggehen werden, bis diese eingehalten werden.“
Viel Beifall
Ein Plädoyer für den zivilen Ungehorsam also, das erneut mit viel Beifall beklatscht wurde. Wobei an diesem Abend nicht auch nicht wirklich zwischen dem Unterschied von Farbattacken auf Privatjets und Luxushotels, Klebe-Aktionen in Museen und Sitzblockaden im Regierungsviertel unterschieden wurde.
Zumindest ein wenig danach gefragt hat einer, der früher selber Castor-Transporte blockiert hat. Nicht mit Kleber, sondern mit Ketten, wie Sven Giegold sagte. Der frühere Aktivist und Mitgründer von Attac in Deutschland ist nun Staatssekretär im Wirtschafts- und Klimaministerium und steht neben Aimée van Baalen im Altarraum der ebenfalls übervollen Nürnberger Christuskirche. Für ihn war der zivile Ungehorsam bei den Castor-Transporten immer auch ein Appell an die Bevölkerung gewesen, der letztendlich auch gefruchtet habe. „Ohne zivilen Ungehorsam hätte es den Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland nicht gegeben“, ist sich Giegold sicher und streichelt damit die Seelen der vielen Veteranen im Publikum.
Doch die Proteste der „Letzen Generation“ sorgen für großen Ärger in der Bevölkerung, die mittlerweile zunehmend abwehrend auf das Thema Klimaschutz reagiert. Deshalb fragt Giegold van Báalen: „Könnt Ihr Eure Aktionen nicht so machen, dass sie mehr Sympathien in der Bevölkerung hervorrufen?“ Das würde es der Regierung leichter machen, mehr für den Klimaschutz zu tun. 80 Prozent der Lücke, die die Vorgängerregierung in der Klimapolitik hinterlassen habe, sei mittlerweile geschlossen, aber beim Rest wachse nun der Widerstand in der Bevölkerung.
Tränen und Umarmung
Antwort van Baalen: „Die Proteste richten sich ja an Sie, die Regierung. Die Letzte Generation wäre nicht entstanden, wenn auf Fridays for Future adäquat reagiert worden wäre.“ Dann die Gegenfrage van Baalens an Giegold: Wann wäre der Punkt erreicht, an dem er sich wieder in der Pflicht sähe, mit zivilem Ungehorsam für den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu kämpfen? Seine Antwort: „Dann, wenn ich glauben würde, dass ich mit der Zeit und Kraft, die ich habe, dort mehr erreichen kann. Aber im Moment ist mein Platz in den Institutionen, da kann ich am meisten bewegen.“
Was hilft nun gegen Frust, Angst und Ohnmachtsgefühle angesichts der multiplen Weltkrisen, wenn Yoga, Tee und die Bücher von Korn & Berg nicht ausreichen? Sicher solche Gespräche, wie sie auf dem Kirchentag möglich sind. Und sicher auch (kirchliche) Veranstaltung, in denen Raum für diese Gefühle ist. Giegold sprach davon, dass er häufig im Gebet auch seinen Schmerz vor Gott trage, im politischen Nachtgebet geschah dies auch gemeinsam anhand von Fürbitten von Menschen unterschiedlicher Generationen. Währenddessen brach ein junger Mann am Rande des Kirchenschiffs stehend in heftiges Weinen aus. Sein Schrei war unüberhörbar. Kurze Irritation. Ein älterer Kirchentagsbesucher trat aus der Reihe, ging zu dem jungen Mann, legte ihm die Hand auf die Schulter. Eine Geste, ein Blick in die Augen, dann weinte der eine in den Armen des anderen, die Gemeinde sang das Kyrie.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".