Segen nach dem Schunkeln

Gottesdienst mit griechischem Wein und goldenem Reiter
Foto: Christian Lademann

Es ist ein kleiner Augenblick, der mich vergangenen Woche ins Nachdenken brachte. Kurz und flüchtig. So flüchtig, wie der Segen eben ist. Menschen Segen zusprechen, das gehört ja zu meinem Alltag. An Gräbern, am Ende vom Gottesdienst, bei Trauungen. Aber in der vergangenen Woche hat der Segen etwas heller gestrahlt als sonst.

Richtig gut besetzt war die Gustav-Adolf-Kirche in Hanau-Großauheim. Während zum Sonntagsgottesdienst meist nur drei Hand voll Menschen vereinzelt in den Reihen sitzen, strömten die Massen, als wir zum Rudelsingen eingeladen haben. Eine gute Band, ein Gläschen Sekt in der Kirchenbank und dann nach Leibeskräften die Songs miteinander singen, deren Texte auf einer großen Leinwand zu sehen sind. Kommen und mitmachen darf jeder, ob jahrelange Chorsängerin oder Dusch- und Badewannentenor mit schiefen Tönen. Die Band hat keinen Gassenhauer ausgelassen. Von „Ich war noch niemals in New York“ über „Mrs. Robinson“ bis hin zu „Westerland“ war alles dabei. Der Kirchenraum war voller Emotionen. Es wurde gelacht, geschunkelt und irgendwann begann ein Paar im Mittelgang plötzlich selbstvergessen zu tanzen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viele strahlende Augen in der Kirche gesehen habe.

Neue Resonanzflächen

Das Rudelsingen gehört in eine Reihe von Veranstaltungen, die wir im Moment in Kooperation mit der Stadt Hanau veranstalten, um den Kirchenraum neu als Begegnungsort für das Quartier zu erschließen. Ein Versuch, neue Resonanzflächen zu schaffen, um vielleicht perspektivisch den Kirchenraum erhalten zu können. Für manche in der Gemeinde sind diese Öffnungen auch mit Ängsten verbunden, wenn da plötzlich ganz andere Leute Ideen zum Bespielen des Kirchenraumes haben, die wir sonst im Umfeld unserer Kirche selten gesehen haben.

Ich wünschte manche von Ihnen wären bei diesem Rudelsingen dabei gewesen und vor allem bei diesem besonderen Augenblick ganz zum Schluss. Die Band hatte die letzte Zugabe gespielt, es war tosend gejubelt worden, lächelnde Gesichter und rote Wangen. Ich ging nach vorn, um die Menschen zu verabschieden und tat das mit einem Segen. Was in diesem Augenblick geschah, hat mich wirklich angerührt. Neben dem Raum selber war dieser kurze Segen das einzig explizit religiöse, was an diesem Abend geschah. Ein kleiner Augenblick, der plötzlich so dicht und groß war, wie ich es selten erlebt habe. Wo eben noch gegröhlt und geschunkelt wurde war nun Mucksmäuschenstille. Eine so besondere Atmosphäre, ein heiliger Moment mitten im Zenit einer Party. Ich glaube, diese Segenshandlung begann deshalb derart zu strahlen, weil sie zutiefst getragen war von all den Emotionen, die sich in den Stunden zuvor in dem Kirchenraum angesammelt haben.

Wiedergewonnene Vitalität

Dieses Erlebnis ist mir nachgegangen. Ich glaube, inmitten all der auch schmerzhaften Transformationsprozesse, in der wir uns als Kirche befinden, verlieren wir nicht bloß Dinge, sondern wir werden so manches neu wiederentdecken. All diese Öffnungen, die dazu führen, dass an so vielen Orten in naher Zukunft Kirchenräume noch ganz anders genutzt werden als bisher, werden nicht zu einem kirchlichen Identitätsverlust führen, sondern zu einer Wiedergewinnung vitalen kirchlichen Lebens. Was da bei diesem Rudelsingen geschehen ist, war Gottesdienst. Menschen entdecken den Kirchenraum wieder als Ort des gemeinsamen Feierns und teilen hier die großen Gefühle. Sie erleben im Miteinander, dass zwischen Himmel und Erde etwas ist, das größer ist als sie selbst. Die agendarische Feier am Sonntagmorgen um 10 mag vielleicht in einer Krise sein, aber der Gottesdienst blüht wie eh und je. Wo so miteinander gefeiert wird, strahlt der Segen hell und weit.

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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