Eine Bank für Otto

Erinnerungen an einen, der die gute Seele der Straße war
Foto: Rolf Zöllner

Eine Weile dachte ich, Otto würde in der Kneipe am Eck arbeiten, so häufig  war er da – und so wurde es auch in unserer Straße erzählt. Otto hieß  eigentlich anders, aber was hier stehen soll, ist zu intim, deshalb sei er anders genannt. Als ich der Wirtin der Kneipe mal nebenher sagte, dass Otto hier ja arbeite, lachte sie nur – nein, nicht arbeiten, saufen!

Also, mein Nachbar Otto war ein Alkoholiker, zumindest so lange, wie seine zunehmend schlechte Gesundheit es ihm erlaubte. Mein erster Eindruck von ihm war schlecht:  ein rassistischer Spruch von ihm. Aber irgendwann war das vergessen, denn er wurde immer offener, war freundlich zu allen, egal welcher Herkunft oder Hautfarbe. Und vor allem: Er saß halt immer auf der Bank vor seiner Souterrainwohnung in unserer Straße.

Im Grund war Otto die Straße, über Jahre, ebenso wie seine Mutter. Die, eine frühere Trümmerfrau, saß auch auf der Bank bis zu ihrem Tod. Dann übernahm Otto den Job. Otto hatte meist keine Arbeit, lebte von der Stütze. Aber die Straße war seine Aufgabe: ein Spruch, echt berlinerisch, für jeden, der vorbeikam, Bonbons für die Kinder. Er war ein Freund der Hunde, die ihm von den Nachbarn überlassen wurden, wenn die mal keine Zeit hatten.

So wurde Otto langsam wie seine Mutter zur guten Seele der Straße. Er machte sie zu einem Dorf in der Stadt. Alles wusste er. Vor einem Monat starb Otto überraschend und sehr früh. Sofort stellten Nachbarn Blumen, Kerzen und Bilder vor die Tür zu seiner Wohnung. Mit anderen organisierte ich für seine Bank eine Messingplakette, die an Otto und seine Mutter erinnert. Es gab eine kleine Zeremonie, als wir sie anbrachten. Und irgendjemand lackierte Ottos schrabbelige Bank kurz vor seiner Beerdigung mit viel Liebe dunkelblau. So blau wie der Himmel am Ende einer klaren Sommernacht. Sie ist  wunderschön. 

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