pro und contra

Ist Verzicht Bürgerpflicht?

pro und contra
Stephan Kosch
Foto: Rolf Zöllner
Kathrin Jütte

Unbegrenzter individueller Konsum schien lange Zeit als freiheitliche Norm idealisiert. Um den Klimawandel aufzuhalten oder zumindest abzumildern, müssen wir unsere Art zu leben jedoch grundlegend verändern. Wird dabei Verzicht zur Bürgerpflicht? Ja, sagt zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch. Ihm widerspricht zeitzeichen-Redakteurin Kathrin Jütte.

Wir können es uns nicht mehr leisten

Wenn die Ressourcen knapp werden, ist Verzicht ein Gebot der Vernunft
 

Seit dem 4. Mai ist unser Umweltkonto in den roten Zahlen. Warum interessiert das niemanden?

Wenn die Ressourcen knapp werden, ist Verzicht zunächst einmal eine Frage der Vernunft. Wer am Ende des Monats wenig Geld über hat, sollte auf teure Impulskäufe verzichten. Und wenn wenig Wasser in der Trinkflasche ist, löscht man lieber in kleinen Schlucken den Durst und verzichtet auf den kühlenden Schwall über Kopf und Nacken. Kann man ja alles nachholen, wenn die Wasserflasche am nächsten Hahn wieder voll ist und das neue Gehalt auf dem Konto.

Aber was ist, wenn sich Ressourcen nicht so schnell wieder auffüllen lassen? Saubere Luft in der Innenstadt beim Smog zum Beispiel oder Grundwasser bei zunehmender Trockenheit? Dann wird der Verzicht auf die Autofahrt oder auf den Rasensprenger zur Pflicht, mindestens zur moralischen, manchmal auch zur juristischen, wenn die Behörden entsprechende Verordnungen erlassen. Meistens wird das akzeptiert, zumal der juristische Zwang ja zeitlich begrenzt ist und nur so lange gilt, wie die Notlage andauert.

Echte juristische Bürgerpflichten, die unbegrenzt für alle Staatsbürger:innen gelten, gibt es in Deutschland gar nicht so viele. Die Wehrpflicht etwa, die zur Zeit ausgesetzt ist. Oder die Pflicht, das Schöffenamt anzunehmen, wenn man dazu berufen wird, wenn man nicht zu den Ausnahmefällen gehört. Die Pflicht, anderen in einer Notlage zu helfen, gehört übrigens auch dazu. Erfüllt man diese nicht, droht eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung.

Als Weltbürger:innen säßen wir deswegen allerdings permanent auf der Anklagebank. Global gesehen herrscht nämlich eine permanente ökologische und in weiten Teilen der Welt auch eine ökonomische Notlage, die Ressourcen werden immer knapper. Nicht nur Rohstoffe wie etwa die seltenen Erden für die Handyproduktion oder Kohle, Öl und Gas, deren Verbrennung bekanntermaßen das Klima aufheizt. Auch Wasser, Boden, Luft, die biologische Vielfalt, unversiegelte Flächen – als das sind Ressourcen, die wir weiterhin in viel zu großem Stile nutzen. Bereits Ende Juli werden wir den globalen Erdüberlastungstag erreicht, also weltweit mehr natürliche Ressourcen verbraucht haben, als bis zum Ende des Jahres wieder nachwachsen können. In Deutschland war es schon am 4. Mai so weit, seitdem rutscht unser nationales Umweltkonto immer tiefer in die roten Zahlen. Das hat, wie in jedem Jahr, das „Global Footprint Network“ berechnet.

Wenn es um unser Girokonto ginge, müssten wir schnellstens reagieren, vielleicht mit einer Schuldenberatung unsere Ausgaben checken und auf das verzichten, was wir uns nicht leisten können. Denn sonst droht irgendwann der Besuch des Gerichtsvollziehers, der den Verzicht auf seine Art organisiert. Doch unser Umweltkonto interessiert niemanden wirklich, bedrohte Tierarten, saubere Flüsse und Wildblumen haben eben kein Preisschild. Allein beim Weltklima ist das anders, Kohlendioxid hat in verschiedenen Emissionshandelssystemen einen Preis bekommen. Das richtige Prinzip – doch leider immer noch mit zu vielen Ausnahmen und komplizierter Verwaltung versehen. Ein privates CO2-Konto, das ressourcenschonendes Verhalten sofort belohnen würde, dürfte deshalb ein Traum von radikalen Klimaschützern und ein Alptraum von Datenschützern bleiben.

Die Alternative zum Marktmechanismus ist das Recht. Und tatsächlich ist ja schon seit 1994 der Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Doch der Staat ist eben nicht nur ein abstraktes Gebilde, sondern besteht auch aus Staats­bürger:innen, die ebenfalls in der Pflicht stehen, umwelt- und ressourcenschonend zu leben. Und bei unserem gegenwärtigen Lebensstil bedeutet das auch, Verzicht zu üben, im Zweifel unterstützt durch das Ordnungsrecht. Denn Vollgasfahrten, dreißig Jahre alte Heizkessel und tiefe Tagebaulöcher in der Erde können wir uns einfach nicht mehr leisten. 


Standards zur Bewegung

Warum der Einzelne im Verzicht überfordert ist

 

Der Staat ist kein Reparaturbetrieb. Er sollte Ziele im Sinne des Gemeinwohls vorgeben. Auch bei der Bekämpfung des Klimawandels.

 

Ein Beispiel: Bei einem Einkauf im Supermarkt liegen grüne Äpfel aus herkömmlicher Produktion einzeln und unverpackt in der Kiste neben Bioäpfeln aus ökologischem Anbau in Plastik eingeschweißt. Mit welchem Einkauf schützt die Verbraucherin eher das Klima? Diese Frage, eine von vielen Konsumentscheidungen täglich, lässt sich auch mit viel gutem Willen nicht einfach beantworten. Ein weiteres Beispiel: das Tempolimit. Mit Tempo 120 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen wird der Verkehr klimafreundlicher. Es wäre eine CO2-Sparmaßnahme. Mehr als acht Millionen Tonnen CO2-Äquivalente minus wären drin. Was also spricht gegen ein Gesetz für ein Tempolimit, das den Einzelnen bei seiner Entscheidung entlastet, statt den individuellen Verzicht zur Bürgerpflicht erhebt?

Dass wir unsere Art zu leben grundlegend ändern müssen, steht für die meisten außer Frage. Über 80 Prozent der Deutschen sehen beim Klimaschutz großen Handlungsbedarf. Doch vielen Menschen fehlt die Disziplin, sich selbst zu etwas zu verpflichten. Das zeigen Verbraucherumfragen, wenn es um die Tierhaltung in der Fleischindustrie geht. Fast 80 Prozent verlangen vom Staat eine stärkere Regulierung in den Ställen. Da finden es viele Menschen offenbar bequemer, sich nicht individuell entscheiden zu müssen. Und wer weiß nicht aus eigener Erfahrung, wie anstrengend es ist, immer konsistent zu handeln.

Deswegen gelingt der Schutz des Klimas nur mit Ordnungspolitik und rechtlichen Regelungen, die gut gemacht sind. Beispiel Einwegpfand. Die Vermüllung von Natur und öffentlichem Raum hat sich seit zwanzig Jahren schlagartig reduziert, die Recyclingquote bei Dosen ist auf 95 Prozent angestiegen.

Dazu kommt: Der jährliche CO2-Ausstoß eines Deutschen beträgt 11,6 Tonnen, ein sehr hoher Wert. Wollte man klimaneutral leben, müssten es etwa eine Tonne Ausstoß sein. Manchem fällt es schwer, sich Tag für Tag aufs Neue zu entscheiden. Umso stärker fällt ins Gewicht, dass die Rahmenbedingungen nicht geeignet sind, ein CO2-freies Leben zu führen. Wie schwierig das ist, zeigt ein Experiment, das vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geleitet wurde. Knapp hundert Berliner Haushalte hatten dabei versucht, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Trotz großer lebenspraktischer Unterstützung erreichte dieser Selbstversuch „Klimaneutral leben in Berlin“ im Durchschnitt nur eine Senkung von elf Prozent. Dass ein CO2-armes Deutschland noch nicht gelingen kann, liegt auch an den Infrastrukturen. Dafür braucht es politische Entscheidungen, das Ordnungsrecht und keine freiwilligen Verzichtsappelle.

Alle sollten sich fragen: ob sie das neueste Smartphone braucht, ob er auf ein Auto verzichten kann. Weniger oder gar kein Fleischkonsum wäre schon eine leichte, doch wirksame Klimaschutzmaßnahme. Der Wille zählt, ohne die Anstrengungen Einzelner wird es nicht gehen.

Der Staat ist, wie die Ökonomin Mariana Mazzucato sagt, nicht nur Reparaturbetrieb oder Korrektiv, er gibt die Ziele im Sinne des Gemeinwohls vor. Er ist kein Gegner, Bürgerinnen und Bürger sind Teile des Staates, sie sind der Staat.

Kaum jemand wird bestreiten, dass Verbote ein sinnvolles Instrument der Verhaltenssteuerung sind. Eindeutige Gesetze schaffen Klarheit und sind sozial gerecht. Und solche Ordnungspolitik könnte gesellschaftliche Standards setzen, die Menschen zu Verhaltensänderungen bewegen. Mit eindeutigen Verboten trifft man alle, auch die Trittbrettfahrer. 

 

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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