Handschuh mit Nebenwirkungen

Eine Nachbetrachtung zur königlichen Kleiderordnung
Foto: Privat

Zunächst habe ich mich geweigert. Mit sehr guten Argumenten. Acht Stunden sind kein Tag, aber acht Stunden Royal-TV mit mäßig-alertem Fachpersonal, das mit abgelaufenem Insiderwissen lockt, ist nicht zumutbar. Als Niederländer bin ich selbstredend nicht unvertraut mit der Monarchie. In der Jugend war unser heutiger König bekannt als Botschafter des Bier-Giganten Heineken. Einer meiner Onkel konnte es sich nie verkneifen, vor jedem ersten Schluck das mit der Bier-Krone geschmückte Glas zu erheben und auf den Prinzen einen Toast auszusprechen. Wegen dieser sprachlichen Nähe von Bierkrone und Krone war der Berufsweg des Prinzen vorbestimmt.

Bei anstehenden Ritualen ist das niederländische Königshaus eher calvinistisch zurückhaltend. Ganz anders das britische Königshaus. Ich bin dann doch schwach geworden und habe mir eine halbstündige Zusammenfassung am Abend angesehen. Schwach geworden bin ich auch deshalb, weil mir zu Ohren kam, der König habe mit Blick auf seine Krönung in Bahnhöfen und der Londoner U-Bahn Ansagen mit der berühmten Formulierung Please mind the gap für diesen Tag eingesprochen. Das können nur die Briten.

Sitzend vor der Glotze, kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Auch über mich, denn das aufgeführte, alt-ehrwürdige Ritual hat mich tatsächlich gleichermaßen fasziniert und erschaudern lassen.

Prophet der Nachhaltigkeit

Charles wurde zum König gesalbt. Wie ehedem die Priester, die Propheten und die Könige im alten Israel. Ungesalbter Prophet war Charles bereits seit Jahrzehnten. Mit großer Weitsicht und dem ihm eigenen Witz trat er lange vor vielen anderen als ein Prophet der Nachhaltigkeit auf. Greta Thunberg könnte sein Patenkind sein. Jetzt also die Salbung zum König. Dafür wurde die auserwählte Gemeinde ausgeschlossen, denn es wurde mit viel handwerklichem und zugleich dramaturgischem Geschick ein Zelt, das milde an Badezelte am Strand von Luxushotels erinnerte, aufgebaut, in das der kommende König mit dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury verschwand. Während der Zeremonie war Charles nur mit einem leinenen Gewand bekleidet. Erst danach wurde der (laut Insiderwissen 4 kg schwere) Goldmantel angezogen, dann die Krone aufgesetzt (6 kg), das Zepter, der Reichsapfel.

Schließlich die Überraschung. Der Auftritt des Handschuhs. Ein schwarzer Handschuh mit langem hellem Stutzen. Mit spielerischer Ernsthaftigkeit, als habe er jahrelang in der Werbung als Handmodell für Handschuhe gewirkt, streifte er sich diesen Handschuh über, kostete den Augenblick aus, jeder sah wie jeder seiner Finger der rechten Hand im maßgeschneiderten Handschuh präzise und wohlig Platz fand. Mit der so gepolsterten und wattierten Hand umgriff er das Zepter. Der Handschuh ist eine Mahnung, symbolisiert die Milde beim Erheben von Steuern mit Blick auf die Armen. Wenn er den Handschuh trägt, kann er das Zepter nicht so fest und unerbittlich umgreifen, wie ohne Handschuh. Es ist der Handschuh der Milde: clementia. (Eine nicht nur von den Römern, sondern auch von Calvin sehr geschätzte Haltung.) Die Aktion wirkt, obwohl der König schon lange nicht mehr Steuern erheben darf. Die Gier-Bremse sollte vielleicht auch in demokratischen Milieus, die ohne Königinnen und Könige auskommen müssen, eingeführt werden. Jeder Ministerin, jedem Minister ein Handschuh als Gier-Bremse. Bitteschön. König Charles hat bereits vorab viele neue Roben nicht schneidern lassen, sondern auf second hand gesetzt.

Und auch das habe ich wieder erfahren. Rituale vermitteln sogar vor dem Fernseher eine Erfahrung, die man außerhalb von Ritualen nicht erfahren kann. Please, mind the gap.

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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