Jedenfalls keine Schafe

Der Zentralrat der Juden würdigt in einer Tagung den jüdischen Widerstand im Warschauer Ghetto.
Blumen am Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufaustands.
Foto: picture alliance / AP Photo | Alik Keplicz
Blumen am Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufaustands.

Ein vom Zentralrat der Juden organisierter Studientag zum jüdischen Widerstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren geht der Frage nach: Was bedeutet Widerstand, damals und heute? Dabei geht es viel um jüdisches Selbstbewusstsein. Aber auch um die Abgründe der Erinnerungspolitik in Deutschland und in Polen.

Gleich zu Beginn setzte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein Ausrufezeichen: Derzeit erlebe die jüdische Gemeinschaft hierzulande einen bedeutenden erinnerungspolitischen Wandel, sagte er am Donnerstag in Berlin bei einem Studientag der Bildungsabteilung des Zentralrats zum Thema „Jüdischer Widerstand“. „Es muss uns gelingen“, so Schuster, diesen Wandel selbst zu gestalten, nämlich eine jüdische Form der Erinnerung an die eigene jüdische Geschichte, vor allem an die Shoah und den jüdischen Widerstand – und auch dazu diene diese Tagung.

Nicht nur durch die Gefahr einer postkolonialen Relativierung des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden gerate das bisherige Erinnern an die Shoah unter Druck, erklärte Schuster. Eine explizit jüdische Deutung des Massenmordes sei vonnöten, vor allem weil dies nicht von der Mehrheitsgesellschaft geleistet werde, sondern diese mit ihrer eigenen Interpretation schnell dominiere. So werde etwa der Kniefall von Willy Brandt in Warschau 1970 vor allem als eine Geste des Bundeskanzlers im Rahmen seiner Ostpolitik gesehen, obwohl er diese historische Geste am Denkmal für die Opfer des jüdischen Ghetto-Aufstands vollzogen habe. Noch kritischer sah Schuster Aussagen des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto am Mittwoch in der polnischen Hauptstadt. Da seien die jüdischen Opfer, so deutete Schuster an, mit den polnischen Opfer gleichgesetzt und die Liebe der Polen zu den Juden überbetont worden, ohne zugleich den polnischen Antisemitismus der Kriegszeit zu erwähnen. Es dürfe aber keine Entjudaisierung der jüdischen Geschichte geben. Eine jüdische Deutung des Aufstandes, dieser „Geschichte des Mutes“, sei nötig.

Politisch brisant

Schon durch diese Eröffnungsrede Schusters wurde deutlich, wie politisch brisant die Erinnerung an den gescheiterten Aufstand der Juden gegen die deutsche Besatzungsmacht in diesen Tagen vor acht Jahrzehnten noch heute ist. Es geht um das Selbstbild nicht nur Polens, Deutschlands und auch Israels, wie die Reden des polnischen, deutschen und israelischen Staatspräsidenten bei der Gedenkfeier in Warschau am Mittwoch zeigten. Es geht auch um das Selbstbild der jüdischen Gemeinschaft weltweit, nicht zuletzt in Deutschland. Denn dies böse Wort, diese historische Lüge, kursiert ja seit Kriegstagen im allgemeinen historischen Pseudo-Wissen: Die Juden hätten sich während der Shoah „wie Schafe auf die Schlachtbank“ führen lassen, also ohne Widerstand, was nachweislich falsch ist, aber als diffamierendes Gerücht bis heute kursiert.

Der Berliner Studientag des Zentralrats wollte diese gefährliche Missinterpretation des Warschauer Ghettoaufstands (nicht zu verwechseln mit dem Warschauer Aufstand gegen die Deutschen kurze Zeit später) zurechtrücken. Denn natürlich gab es in ganz Europa vielfältigen Widerstand von Jüdinnen und Juden gegen die Verfolgung und Ermordung durch die Nazis, wobei der Warschauer Ghettoaufstand vor 80 Jahren als leuchtendes Beispiel herausragt. Das Problem ist: In der Geschichtswissenschaft ist die Vielfalt und Intensität des jüdischen Widerstands trotz großer Quellenlücken seit einigen Jahrzehnten sehr wohl bekannt. Im allgemeinen Geschichtsbewusstsein aber ist dieses Wissen kaum durchgedrungen – und Forschungslücken gibt es immer noch, wie auch Josef Schuster beklagte.

Einsatz der Frauen

In zwei Vorträgen lieferten die beiden Historiker Markus Roth (Fritz Bauer Institut Frankfurt) und Andrea Löw (Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München) einen Einblick in den Stand der historischen Forschung zum Warschauer Ghettoaufstand. Roth und Löw schilderten die enormen Probleme der jüdischen Widerstands, im ausgehungerten und fast völlig abgeriegelten Ghetto an Waffen für den Kampf gegen die Deutschen zu kommen – wobei, was mehrere Referenten an diesem Tag betonten, gerade der Einsatz von Frauen beim Widerstand kaum zu überschätzen sei. Denn sie vor allem waren es, die die nötigen Waffen überhaupt in das Ghetto schmuggeln konnten (für beschnittene Männer war das Schmuggeln noch gefährlicher).

Schließlich waren es etwa 700 bewaffnete Kämpferinnen und Kämpfer, die den Aufstand ab etwa Mitte April 1943 begannen, nicht zufällig gestartet in der Pessachwoche, die an die biblische Geschichte des Auszugs der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei erinnert. Etwa vier Wochen dauerten die Kämpfe zwischen dem jüdischen Widerstand und den viel stärkeren deutschen Truppen. Und den schlecht bewaffneten Widerstandskämpfern war sehr schnell klar, dass sie im Grunde gegen die schwer bewaffneten Deutschen keine Chance hatten. Am Ende wurden mehr als 56.000 Juden von SS- und Polizeieinheiten getötet oder in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

Allerdings begriffen viele der jüdischen Kämpferinnen und Kämpfer trotz der Niederlage ihren Einsatz auch als ein historisches Zeichen des Kampfes für Würde und Selbstachtung. Besonders eindrucksvoll hat das der junge jüdische Widerstandskämpfer Mordechai Anielewicz am 23. April 1943 kurz vor seinem Tod während der Gefechte notiert: „Nur wenige werden aushalten, die übrigen werden früher oder später vernichtet. Ihr Schicksal steht schon fest … Die Hauptsache, daß mein Traum verwirklicht ist. Ich habe es erlebt, eine Widerstandsaktion im Warschauer Getto. In ihrer ganzen Pracht und Größe.“

Enkel und Urenkel sind fasziniert

Weitere Dozentinnen und Dozenten des Studientages loteten verschiedene Dimensionen jüdischen Widerstandes aus. Yael Kupferberg (Zentrum für Antisemitismusforschung / Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Berlin) ging in einem faszinierenden Vortrag der Frage nach, inwieweit sich eine jüdisch geprägte Philosophie wegen ihres tief gegründeten Zweifels an irgendwelchen Dogmen und einer gewissen Distanz zur dominanten Welt, gegründet im biblischen Bilderverbot, per se als Widerstand gedacht werden könne. Die Filmhistorikerin Lea Wohl von Haselberg (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf) und der Philosoph Frederek Musall (Julian-Maximilian-Universität Würzburg) schilderten in ihren Vorträgen beim Blick auf die filmischen Quellen zum Warschauer Ghetto einerseits und auf die popkulturelle Spiegelung jüdischer Kämpfer in der Comickultur andererseits das, was heute als jüdischer Widerstand interpretiert werden kann oder mental-kulturell wirksam ist. Auffällig war auch bei einem gemeinsamen Vortrag der jungen jüdischen Autoren Ruben Gerczikow und Monty Ott zum Abschluss des Studientages, wie sehr gerade die Enkel- und Urenkel-Generation der Holocaust-Überlebenden vom heroischen Kampf im jüdischen Widerstand fasziniert, ja inspiriert ist.

Und an dieser Stelle schließt sich der Kreis zu den Begrüßungsworten Josef Schusters am Anfang der Tagung: Mehrfach kritisierten die versammelten Fachleute die Tatsache, dass in Polen gerade die jungen Historikerinnen und Historiker geschnitten würden, wenn sie etwa zum jüdischen Widerstand und zum (früheren) Antisemitismus in Polen forschten. Warum? Weil damit das vorherrschende Narrativ der regierenden PiS-Partei, aus der Präsident Duda nach seiner Wahl in einer symbolischen Geste ausgetreten ist, gestört wird, nämlich dass Polen stets judenfreundlich gewesen und die Holocaust-Opfer vor allem als polnische Opfer zu würdigen seien. Doron Kiesel, der Co-Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats, sagte während der Tagung, man habe mehrfach versucht, auch polnische Fachleute zur Teilnahme am Studientag zu gewinnen. Das sei aber, trotz großer Mühe, nicht gelungen.

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