Gefahr für die Demokratie

Darf man Dummheit anprangern?
Foto: privat

In der Hochphase der Corona-Pandemie beklagte ich mich einmal in den sozialen Medien über die „Dummheit” mancher Argumente. Zum Beispiel, wenn Leute nicht verstanden, was exponentielles Wachstum ist, oder wenn sie unlogische Schlussfolgerungen zogen. Diese Dummheit, so schrieb ich, sei für mich schwerer zu ertragen als inhaltliche Meinungsverschiedenheiten.

Ich bekam damals sehr viel Widerspruch. Anderen Menschen Dummheit vorzuwerfen, sei „ableistisch“, also Diskriminierung aufgrund einer Behinderung. Seither lässt mich die Frage nicht mehr los: Ist es wirklich falsch, Dummheit anzuprangern?

Ich stimme sofort zu, dass man nicht sagen soll, jemand sei „blind“ für etwas oder ein Argument sei „idiotisch“. Diese Metaphern sind tatsächlich ableistisch, weil sie Behinderungen mit mangelnder Erkenntnis- und Zurechnungsfähigkeit gleichsetzen.

Aber Dummheit? Dummheit, so scheint mir, ist keine Metapher und auch keine Behinderung, sondern eine tatsächlich vorhandene, gefährliche Art und Weise, der Welt zu begegnen. Auch sehr gebildete Menschen können dumm sein, wie schon Hannah Arendt betonte: Gerade den klugen Menschen seien nach 1933 ungeheuer intelligente aber gleichwohl eben dumme Dinge zu Hitler eingefallen.

Kürzlich fand ich noch einen anderen Kronzeugen, Dietrich Bonhoeffer. Er schrieb 1942 in seinen Gefängnisnotizen: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bösheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen.“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich erkenne in diesen Worten vieles wieder, was auch heute im öffentlichen Diskurs schiefläuft. Dietrich Bonhoeffer, der den gewaltsamen Widerstand gegen Hitler unterstützt hat und dafür im April 1945 hingerichtet wurde, schrieb diese Zeilen mit einer überwältigenden Zustimmung der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung zum Hitler-Regime vor Augen. Auch in der Kirche gab es viel zu viel Applaus für die Nazis und ihre menschenverachtende Ideologie.

Und ja, ich glaube Bonhoeffer hat Recht: Der hauptsächliche Grund für diese verbreite Zustimmung zu den Nazis war nicht Bösheit, nicht Niedertracht, sondern tatsächlich Dummheit. Eine Mischung aus Verantwortungslosigkeit und Nicht-Nachdenken Wollen, der Wunsch, den Versprechungen und der Propaganda zu glauben, der Egoismus, sich ohne schlechtes Gewissen in den eigenen Privilegien zu sonnen und die Augen vor unangenehmen Wahrheiten aktiv zu verschließen.

Hat Bonhoeffer auch eine Idee, was man da tun kann? Argumente und Diskussionen, so war er überzeugt, helfen den Dummen nicht. „Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm“, schreibt er, „dass man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen und so weiter zu tun hat“.

Stattdessen setzte Bonhoeffer auf die Religion. „Die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott“ sei „die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit.“ Übersetzt hieße das: Wir brauchen eine andere innere Haltung und nicht einfach noch mehr Argumente und Debatten und Beweise. Ein erster Schritt dahin wäre meiner Meinung nach, die Dummheit als eigenständiges Problem zu erkennen. Denn mehr noch als die Bösheit hat sie das Potenzial, unsere Demokratie ernsthaft zu untergraben.

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