Einen verbindlichen Rahmen setzen

Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen und die Rolle des Staates
Plakat gegen sexualisierte Gewalt
Foto: epd-bild
Plakatkampagne gegen sexualisierte Gewalt

Welche Rolle muss der Staat bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Institutionen wie der Kirche übernehmen? Mit dieser Frage beschäftigen sich der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci (SPD) und sein Wissenschaftlicher Referent Julian-Christopher Marx im folgenden Artikel, einem Vorabdruck aus einem bald erscheinenden Buch (Angaben am Ende des Textes). Der Ansatz der beiden Autoren: Wenn der Staat die Aufarbeitung nicht einfach an sich ziehen kann und will, die Aufarbeitung aber auch nicht einfach in das Belieben der Organisationen gestellt bleiben darf, in deren Rahmen die Taten stattgefunden haben, dann ist es Aufgabe des Staates, einen verbindlichen Rahmen für die Aufarbeitung zu setzen. Aber wie könnte dieser aussehen?

Gut zehn Jahre nachdem ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs ihre Geschichten öffentlich gemacht und damit den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ins Rollen gebracht haben, werden die Stimmen lauter, die ein stärkeres Eingreifen des Staates fordern. Zunächst waren dies Stimmen der Betroffenen. Sie beklagen vor allem intransparente und ins Belieben gestellte Prozesse der Aufarbeitung, mangelnde Anerkennung und Entschädigung. Sie vermitteln, wie sie sich erneut der Institution ausgeliefert fühlen, in deren Verantwortungsbereich sie die leidvollen Erfahrungen gemacht haben. Aber auch innerhalb der Kirchen wächst die Einsicht, dass man schlecht Angeklagter, Staatsanwalt und Richter in einer Person sein kann. Nach der Veröffentlichung des Gutachtens für das Bistum München und Freising zu Beginn des Jahres 2022 folgte dann eine klare Aussage des Regierungssprechers der neuen Ampel-Koalition: Es sei „Konsens in der Bundesregierung, dass die Aufarbeitung von Fällen strukturierten Kindesmissbrauchs nicht Institutionen allein überlassen werden darf“.

Die Klagen und Rufe nach dem Staat verstellen durchaus den Blick darauf, dass seit Bekanntwerden der Vorfälle in Berlin und der Einsicht, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelte, kontinuierlich gesetzgeberisch und exekutiv gehandelt wurde; – sicher, wie zumeist, nicht ausreichend, aber gehandelt. Es lohnt, an dieser Stelle auf diese Entwicklung einzugehen, weil sich darin ein Pfad beschreiben lässt, der weiter beschritten werden kann und sollte.

Was bisher geschah

Als Reaktion auf die zunehmenden Enthüllungen sexualisierter Gewalt tagte 2010 bis 2011 eineinhalb Jahre lang der sogenannte Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“. Er wurde von drei Bundesministerien berufen, auch die Kirchen beteiligten sich daran. Der Runde Tisch legte einen beachtlichen Abschlussbericht vor und ernannte im März 2010 die erste deutsche „Unabhängige Beauftragte“ damals noch „zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs“. Die Stelle wurde von der früheren Familienministerin Christine Bergmann bekleidet. Fortan konnten sich Betroffene mit ihren Anliegen und Fragen erstmals an eine staatliche Stelle wenden.

Zahlreiche gesetzliche Regelungen der letzten zehn Jahre bewirkten Verbesserungen auf allen Ebenen, zu nennen sind die Reform des Sexualstrafrechts von 2013, unter anderem mit der Verlängerung der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger. Die Bekämpfung der Kinderpornografie im Strafgesetzbuch wurde im Jahr 2014 nach europäischen Vorgaben verschärft, seit 2015 wird der Bericht über die Löschung von Telemedienangeboten mit kinderpornographischem Inhalt fortgeschrieben. 2016 wurde das Gesetz zur Verlängerung von Verjährungsmaßnahmen verabschiedet. Damit wurden Strafbarkeitslücken gerade im digitalen Bereich geschlossen. Seit 2017 haben besonders schutzbedürftige Prozessbeteiligte Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung. Präventiv wurden Kampagnen an Schulen gestartet, die Kinder und Jugendliche dazu ermutigen, unabhängig von der Kenntnis ihrer Eltern über sexuelle Gewalterfahrungen zu sprechen. Speziell für die Sozialen Netzwerke wurde „Keine Grauzonen im Internet“ sowie „Kein Täter werden“ ins Leben gerufen. Seit 2017 gibt es eine Bundeskoordinierung spezieller Fachberatungen. In diesem Jahr wurde auch das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen verabschiedet. Ärzte dürfen seitdem durch die Schweigepflicht nicht mehr davon abgehalten werden, Missbrauchsverdachte dem Jugendamt zu melden. Auch wurden Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten ausgeweitet.

2018 richtete die damalige Bundesregierung das Amt einer/eines „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ (UBSKM) inklusive einer Geschäftsstelle auf Dauer ein, um weitreichender als zuvor zu informieren, zu sensibilisieren, Kinder und Jugendliche zu unterstützen und Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland sicherzustellen. Zwei Angliederungen des UBSKM verdienen in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit: Zum einen konnte mit der Einsetzung eines Betroffenenrates beim UBSKM schon 2015 ein ehrenamtlich tätiges Gremium ins Leben gerufen werden, das die Belange Betroffener vertritt und in die Öffentlichkeit trägt. Der zweite Betroffenenrat wurde 2020 mit 18 Mitgliedern für die Dauer von fünf Jahren von der damaligen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey berufen. Zum anderen wurde Anfang 2016 die „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ vom Unabhängigen Beauftragten berufen. Die Einrichtung einer Kommission, die sexuellen Kindesmissbrauch in Deutschland unabhängig aufarbeitet, war lange eine Forderung von Betroffenen und der Wissenschaft gewesen. Die Arbeit der Kommission war zunächst begrenzt, sie wurde 2018 um weitere fünf Jahre bis Ende 2023 verlängert. Sie arbeitet ehrenamtlich und untersucht laut ihres Auftrags „sämtliche Formen sexuellen Kindesmissbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR ab 1949“. Das anspruchsvolle und weit gefassten Vorhaben ist es, Aufarbeitung nicht nur in institutionellen Einrichtungen, sondern auch in den Bereichen der Familie oder im Rahmen von organisierter sexueller Ausbeutung zu leisten, außerdem Bedingungen, Zusammenhänge und Folgen sexuellen Kindesmissbrauchs zu ergründen.

Im Jahr 2019 wurde das neue Soziale Entschädigungsrecht in einem neuen Vierzehnten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XIV) gebündelt, Entschädigungszahlungen wurden erhöht und durch Leistungen zur Teilhabe ergänzt. Jüngste Verschärfungen im Strafrecht stellen den Versuch des Cybergroomings, das Ansprechen von Kindern im Internet mit dem Ziel der Anbahnung sexuellen Kontakts, unter Strafe (2020), weitere Reformpakete zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, unter anderem mit weiteren Strafverschärfungen, zur effektiveren Strafverfolgung, zu Prävention und Qualifizierung der Justiz, folgten 2021 – so auch die Einführung eines Straftatbestands der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern.

Kultur des Hinsehens

Zweifelsohne gab es in den letzten Jahren also Fortschritte. Die aufmerksame Leserin und der aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass sich die staatlichen Eingriffe und Maßnahmen nie auf Kirchen im Speziellen, sondern immer grundsätzlich auf das Phänomen sexualisierter Gewalt an Kinder und Jugendlichen bezogen. Das ist der Sache zunächst völlig angemessen, denn sexualisierte Gewalt oder sexueller Missbrauch ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die meisten Fälle finden im familiären Umfeld und nicht innerhalb von Institutionen statt. Erforderlich ist also eine Kultur des Hinsehens und keine Kultur des Hindeutens auf eine hervorgehobene, vermeintlich besonders abartige Gruppe, die alle anderen in einem besseren Lichte dastehen lässt. Wer sich im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt ausschließlich auf die Kirchen und hier insbesondere die katholische stürzt, riskiert, das Thema weiter zu tabuisieren und damit zu vergrößern. Die Kirchen dürfen das öffentlich nicht sagen, ihnen würde sofort Relativierung und Ablenkung vorgeworfen. Alle anderen sollten sich aber um eine angemessene Analyse der Ausgangssituation bemühen, ohne die auch jede abgeleitete Strategie der Aufarbeitung im Rahmen der Kirchen fehlzulaufen drohte.

Gleichzeitig gibt es im Umgang mit sexualisierter Gewalt im kirchlichen Bereich und der Rolle staatlicher Institutionen einige Fragezeichen, die es rechtfertigen, genau hierzu noch einmal neu nach Antworten zu suchen. Gehen wir darum auf den Ausgangspunkt, das Jahr 2010, zurück. Damals kritisierte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine mangelnde Mitwirkungsbereitschaft der Kirche in der Aufarbeitung. Damit löste sie eine bemerkenswerte Reaktion des damaligen Vorsitzenden der Bischofskonferenz Erzbischof Zollitsch aus. Dieser zittert dieser Tage der zunächst einmal wieder verschobenen Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens in seiner Heimatdiözese Freiburg im April 2023 entgegen, das auch seine Amtsjahre zum Gegenstand hat. 2010 warf er der Justizministerin auf ihre Äußerung hin noch wortgewaltig eine „schwerwiegende Attacke auf die katholische Kirche“ vor. Man kann das so deuten, dass eine Rolle des Staates in Sachen sexualisierter Gewalt im kirchlichen Bereich vor nicht allzu langer Zeit im Prinzip als Einmischung in innere Angelegenheiten gedeutet wurde, die es zurückzuweisen galt. Eine solche Reaktion wäre heute undenkbar. Sie entsprang auch damals einer Hybris, dass einem keiner etwas könne. Aber sie verweist eben auch auf ein gesellschaftliches Klima, in dem Kirchen eine Sonderstellung im Staat zugemessen wurde, die einer sehr weiten Interpretation von Religionsfreiheit entsprang. Wer kann sicher sein, dass davon nicht auch Staatsanwaltschaften berührt waren und ein Anfangsverdacht im Bereich der Kirchen anders behandelt wurde als im Falle eines Wirtschaftsbetriebs? Und wenn der Bub nach Hause kam und ein unappetitliches Vorkommnis andeutete, bekam er eben eher noch eine Ohrfeige hinterher. Wo Gesellschaften so ticken, müssen auch die staatlichen Strukturen und Ämter zwangsläufig versagen.

Die Verfassung gesteht den Kirchen zu, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten. Verbrechen waren jedoch nie eigene Angelegenheiten von Institutionen, innerhalb derer sie begangen wurden. So lautet auch der weitere Text in unserer Verfassung „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes”, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 III 1 GG. Zwischenzeitlich gehören weniger als fünfzig Prozent der Bevölkerung einer der beiden immer noch großen christlichen Kirchen an. In Zuge dessen ist es auch leichter, die Sonderstellung zu hinterfragen beziehungsweise auf den wichtigen Kern zurückzuführen, der durch die Verfassung geschützt werden soll. Als Tatort sind Kirchen jedenfalls Orte wie andere auch. Der Rechtsstaat muss für alle gelten. So nüchtern stellt sich die Situation zwischenzeitlich dar. Und damit sind wir auch weiter, als es die ehemalige Justizministerin war, der im Wesentlichen nur die Empörung über eine Institution blieb, auf die sie nur begrenzten Einfluss hatte. Heute ist klar, dass der Staat mit hinein in die Abwärtsspirale gerät, in der das Vertrauen in die Tiefe gezogen wird, wenn Kirchen für mangelnde Aufarbeitung nur kritisiert werden, der Kritik aber keine Konsequenzen folgen. An diesem Punkt stehen wir.

Darüber hinaus darf es niemandem gesellschaftlich und damit politisch egal sein, wenn institutionelles Vertrauen weiter verlorengeht, unabhängig davon, ob wir im Einzelnen den Institutionen, denen es entzogen wird, nahestehen oder nicht. Wenn Großorganisationen wie Kirchen oder auch Parteien, denen in der Vergangenheit eine Integrationsleistung gelungen ist, erodieren, erodiert der gesellschaftliche Zusammenhalt mit. Als soziale, nur in Kooperation erfolgreiche Wesen sind Menschen auf Vertrauen angewiesen. Dieses notwendige Vertrauen bezieht sich auf die eigenen Kräfte, aber ebenso auch auf die Mitmenschen und ein Vertrauen in die Welt, aus welchen Quellen es sich auch speisen mag. Das ergibt erst eine grundlegende Zuversicht, die Menschen ihre Potenziale einbringen lässt, um diese Zuversicht auch zu rechtfertigen. Dass Autoritäten nicht mehr blind gefolgt wird, ist ein gesellschaftlicher Fortschritt. Wenn Menschen aber nur noch auf sich selbst zurückgeworfen sind, brechen sie mehr und mehr darunter zusammen. Außerdem kann Politik zu Enttabuisierung und einer Kultur des Hinsehens beitragen, um für besseren Schutz zu sorgen. Wie kann staatliche Verantwortung aufgrund unzureichender Kontrolle von Institutionen und Trägern und vor allem des mangelnden Schutzes von Kindern und Jugendlichen nach allem Gesagten aussehen?

Es mehren sich die Rufe, der Staat möge als deutliche Konsequenz die Aufarbeitung an sich ziehen und nun endlich selbst in die Hand nehmen, damit es vorangeht. Wenn staatliche Stellen aber die Aufarbeitung von den Kirchen oder anderen Institutionen übernehmen, dann nehmen sie ihnen diese zugleich auch ab. Die Institutionen stehen zunächst einmal selbst in der Verantwortung. Sie müssen selbst verstehen, was passiert ist und wie es passieren und zugelassen werden konnte, damit Prävention in Zukunft eine Chance hat. Ohne sie kann es keine Aufklärung und keine Aufarbeitung geben. Nur durch eigene Vergangenheitsbewältigung kann organisationales Lernen und Kulturwandel stattfinden. Ob und wie dies geschieht, kann den Institutionen aber nicht freigestellt werden, es braucht einen verbindlichen Rahmen. Außerdem besteht ein enormer Zeitdruck. Die dringende Problematik liegt darin, dass die meisten Taten lange verjährt und viele Täter bereits verstorben sind. Staatsanwaltschaften oder Polizei ermitteln dann nicht mehr.

Ein verbindlicher Rahmen der Aufarbeitung für alle

Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung sind bereits wesentliche und anders als in früheren Vereinbarungen sehr konkrete Vorhaben festgehalten. So sollen die seit 2011 sukzessive geschaffenen Institutionen nicht nur beibehalten, sondern mehr noch: gestärkt werden. Das Amt der Unabhängigen Beauftragten wird auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, sie soll dem Deutschen Bundestag fortan regelmäßig berichten. Die Aufarbeitung struktureller sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen, so hat sich die Bundesregierung vorgenommen, will sie „begleiten, aktiv fördern und wenn erforderlich gesetzliche Grundlagen schaffen“. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs soll entfristet werden, um ihre Aufgaben leisten zu können. Diese Klarheit ist nicht vom Himmel gefallen, sie fußt auf einer Vorarbeit, die in der Wahlperiode davor geleistet, in der damaligen Konstellation aber nicht umsetzbar war. Der neue Koalitionsvertrag stellt eine gute Basis für die nun folgenden Überlegungen dar. Diesen liegt das folgende weite Verständnis von Aufarbeitung zugrunde, das sich an einem Dreischritt orientiert: Sich das geschehene Unrecht zu vergegenwärtigen ist erstens notwendig, um zu erkennen und zu verstehen, was geschehen ist. Oft ist es erst die Erzählung einer Geschichte, die ermöglicht, damit in Zukunft besser leben zu können. Aufarbeitung bedeutet also Aufklärung. Zweitens muss geschehenes Unrecht anerkannt und, soweit möglich, Gerechtigkeit gegenüber den Betroffenen hergestellt werden. Hier sind sowohl unterstützende wie repressive Maßnahmen des Staates zu verorten als auch die Fragen von Entschädigung. Drittens dient Aufarbeitung der Prävention, dass sich Taten nicht wiederholen, auch wenn sie nie zu einhundert Prozent zu verhindern sein werden.

Wenn es nicht Rolle und Aufgabe des Staates sein kann, die Aufarbeitung einfach an sich zu ziehen, die Aufarbeitung aber weiterhin nicht einfach in das Belieben der Organisationen gestellt bleiben darf, in deren Rahmen die Taten stattgefunden haben, dann ist es Aufgabe des Staates, einen verbindlichen Rahmen für die Aufarbeitung zu setzen. Und diesen auch durchzusetzen, wo er verletzt wird. Hinzu kommt der zahlenmäßig relevanteste Bereich, nämlich der des privaten Umfelds, in dem kein verfasstes Gegenüber besteht, an das man als Staat Anforderungen formulieren könnte. Beide Bereiche umfassend sollte daher ein individuelles Recht auf Aufarbeitung formuliert werden. Demgegenüber stünde auf der Seite der Organisationen dann eine Pflicht zur Aufarbeitung. In individuellen Kontexten müsste ein Recht auf Aufarbeitung beispielsweise als dauerhaftes Recht zur Akteneinsicht und mit weitgehenden Informationsrechten ausgestaltet werden.

Innerhalb der staatlichen Strukturen bedarf es sodann einer Verortung der Zuständigkeit. An dieser Stelle kommen wir auf die Bemerkung zurück, die schon eingangs eine gewisse Pfadabhängigkeit andeutete. Tatsächlich sollte auf die Definition und Gründung neuer Institutionen wie etwa einer Wahrheitskommission nach australischem Vorbild verzichtet werden, wie es immer wieder in der Debatte vorgeschlagen wird. Für diese Festlegung sprechen eine Reihe von Gründen, deren wichtigste die Fragen der Durchsetzbarkeit und des drohenden Zeitverlustes sind. Es fehlen Vorarbeiten, der Koalitionsvertrag bietet keinen Anker, lange zurückliegende Fälle verlangen aber zügige Vorgehensweisen und keine weiteren Verzögerungen. Auch eine Enquetekommission würde im Kern bedeuten, dass erst einmal vier Jahre beraten wird, ohne dass es voran geht. In der Zwischenzeit stapeln sich weiter die Gutachten in betroffenen Institutionen, segeln andere munter im Windschatten dieser Institutionen, ohne ihrer eigenen Verantwortung angemessen nachzukommen, und sterben Betroffene, Beschuldigte und Täter. Also sollte evolutionär, aber zügig und wirkmächtig entlang der bisher geschaffenen Institutionen vorgegangen werden. Wo also wäre die Aufgabe zu verorten?

Die Unabhängige Beauftragte hat in der Architektur der Aufarbeitung eine quasi anwaltliche Stellung für die Betroffenen. Sie muss zu jedem Zeitpunkt unzufrieden sein dürfen, mit dem, was bislang der Stand der Aufarbeitung ist, und sich entsprechend äußern können. Das spricht dagegen, die Um- und Durchsetzung von Aufarbeitungsprozessen bei ihrem Amt anzusiedeln. Sie würde sonst direkt involviert und könnte die Prozesse nicht mehr unabhängig bewerten, wie es ihrer Aufgabe entspricht. So ist es heute schon geschehen mit der grundsätzlich verdienstvollen, aber inhaltlich quälenden Vereinbarung des UBSKM mit der katholischen Kirche. Diese enthält grundlegende Fehlkonstruktionen, die dringend aufgelöst werden müssen. Das betrifft zum einen die Rolle der Bischöfe. Sie dürfen als Repräsentanten der Organisation, in der es die Übergriffe gegeben hat, eben nicht entscheiden, wie Aufarbeitung laufen soll. Zum anderen betrifft es die drittelparitätischen Aufarbeitungskommissionen. In diesen wird Betroffenen eine Rolle zugewiesen, die ihnen nicht zukommt, denn sie werden als Betroffene des Gegenstands der Aufarbeitung in die Mithaftung für die Aufarbeitung genommen, noch dazu aus einer Minderheitenposition heraus.

Schlüsselstellung der Aufarbeitungskommission

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung auf Bundesebene ist der richtige Ort, um Aufarbeitung zu organisieren. Die Kommission braucht deshalb für ihre zukünftige Arbeit ebenso wie die Unabhängige Beauftragte eine gesetzliche Grundlage mit Präzisierung der Aufgabenstellung, ihrer Kompetenzen und der dafür erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen. Kirchen und andere Institutionen sind zu transparenten Aufarbeitungsprozessen nach vergleichbaren Kriterien zu verpflichten. Die Kommission muss dafür Qualitätsstandards setzen können, die einen zwingenden Rahmen für alle vorgeben. Bislang unverbindliche Leitfäden sind zu einer verbindlichen Maske weiterzuentwickeln, die die überinstitutionelle Vergleichbarkeit der Ergebnisse und eine gemeinsame Bilanzierung sicherstellt. Außerdem ist sicherzustellen, dass keine schönfärberischen Texte abgeliefert werden, beziehungsweise dass Nacharbeiten für solche Fälle angeordnet werden können. Zu den Vorgaben für institutionelle und einzelfallbezogene Prozesse gehören zudem Festlegungen u.a. hinsichtlich des zu untersuchenden Zeitraums, der Dauer, der Transparenz oder der Methodik der Aufarbeitung.

Zur Einhaltung dieser Kriterien braucht es eine Kommission, die Konflikte nicht scheut, Diskurse anstößt, politische Aufmerksamkeit generiert. Dazu muss die Kommission in die Lage versetzt werden, Institutionenberichte zu fordern und öffentlich zu besprechen, Aufträge zur Nacharbeit zu formulieren, Aspekte neu zu sortieren und dadurch Aufarbeitung im Ganzen immer wieder neu grundsätzlich auszurichten. Schlagkraft erhält sie durch ein Initiativrecht, indem sie nach eigenem Ermessen Aufarbeitungsprozesse in bestimmten bislang noch unterbelichteten Bereichen startet, und durch eigene Zugriffs- und Anhörungsrechte die Aufarbeitung in Einzelfällen voranbringt. Wenn Aufarbeitung droht, verzögert oder verweigert zu werden, braucht es als letztes Mittel auch Sanktionsrechte, mit denen Konsequenzen angedroht und vollzogen werden können. Aufarbeitende Institutionen müssen verpflichtet werden, Ergebnisse laufend zu berichten. Die Institutionen sollen Orte sein, in denen institutionelle Lernerfahrung stattfindet. In den Strukturen darf nicht länger reproduziert werden, was den Missbrauch ausmachte. Demgemäß sollte die Evaluation von Aufarbeitungsprozessen im Sinne eines begleitenden Monitorings ebenfalls bei der Kommission angesiedelt werden. Die Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten darf dabei nicht am Ende von Aufarbeitung stehen, sondern muss dynamisch modifiziert und begleitend weiterentwickelt werden. Da es um Strukturen geht, die von bundesweiten Organisationen bis hin zu örtlichen Vereinen gehen, braucht es auch eine entsprechende dezentrale Organisation der Aufarbeitung und damit eine stärkere Verantwortungsübernahme auch in den Ländern.

Für mehr Aufmerksamkeit für die Themen Kinderschutz und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt muss der Staat Öffentlichkeit schaffen. Hierzu ist eine Berichtspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag einzuführen. Der Deutsche Bundestag wäre wiederum verpflichtet, die Berichte in entsprechenden Ausschüssen zu behandeln. Solche Jahresberichte der Kommission könnten einen allgemeinen Teil enthalten, der fortgeschrieben wird, und einen speziellen Teil, der einzelne gesellschaftliche Bereiche oder Institutionen aus dem Schatten ans Licht holt.  Eine bessere Verankerung unterstützt die Wirksamkeit und Sichtbarkeit dieser Institution. Daher ist eine Anbindung der Unabhängigen Kommission an den Deutschen Bundestag quasi zwingend. Das Parlament zeigt dadurch seiner Rolle entsprechend stellvertretend für die Gesellschaft: Wir schauen hin. Die hier entstehende Öffentlichkeit wäre zudem ein Eckstein einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Gleiches gilt für eine parlamentarische Begleitgruppe mit fachlich zuständigen Bundestagsabgeordneten bei der Kommission.

Die doppelte Verankerung einer Berichtspflicht, einmal der Institutionen gegenüber der Kommission, sodann der Kommission gegenüber dem Deutschen Bundestag, hat noch einen weiteren Sinn: Aufgrund der als „quälend langsamen“ (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier) empfundenen Prozesse, liegt der Fokus medial und in den Kommentarspalten oftmals auf Sanktionen bis hin zum Entzug staatlicher Mittel an die Kirchen etwa im Bereich von Kindertageseinrichtungen oder Krankenhäusern. Im Bereich des Sportes ist es beispielsweise tatsächlich so, dass Fördermittel an die Einhaltung von Schutzkonzepten gebunden sind. Entsprechend droht dem Deutschen Schwimm-Verband nach der Enthüllung sexualisierter Gewalt der Entzug von Leistungssportförderung. Staatliche Mittel im Bereich von Kindertageseinrichtungen und Krankenhäusern sind jedoch keine Förderungen von Kirchen, vielmehr übernehmen kirchliche Träger hier, wie andere auch, staatliche Aufgaben im Wohlfahrtsstaat, die entsprechend finanziert werden. Noch kruder sind Vorschläge, die Kirchensteuer abzuschaffen, handelt es sich dabei doch im Prinzip um Mitgliedsbeiträge der Kirchen, die nur staatlicherseits und dafür gegen Gebühr eingezogen werden. Natürlich könnten Vergabeentscheidungen vertraglich an bestimmte Schutzvorkehrungen geknüpft werden, deren Einhaltung dann mit dem möglichen Entzug der Trägerschaft bewehrt wird. Das wäre aber nur im konkreten Fall sinnvoll, wenn es in einer betreffenden Einrichtung zu Missbrauchsfällen kommt und der Umgang damit kritikwürdig ist. Will man Institutionen als Ganze zu einer (bestimmten) Mitwirkung in der Aufarbeitung zwingen, weil es nicht von selbst geschieht, sollten Sanktionen aber auch gezielt die Institutionen treffen, also als Strafzahlungen gefasst werden, die dann wiederum sinnvollerweise für Präventionsmaßnahmen oder Hilfs- und Beratungsangebote für die Betroffenen sexualisierter Gewalt eingesetzt werden. Während Sanktionen durch die Kommission als letztes Mittel nicht ausgeschlossen sein sollten, ist aber doch das folgende zu berücksichtigen: Innerhalb der betroffenen Institutionen gibt es in der Regel Teile, die einen starken Willen zur Aufarbeitung mitbringen, aber innerhalb der Institutionen auf Widerstände stoßen. Die Frage ist dann, wie man diese Engagierten stärken kann, damit es in der Sache vorangeht, nicht wie Strafzahlungen in bestimmter Höhe zu erzielen sind. Die skizzierte Berichtspflicht und Öffentlichkeit stellen ein nicht zu unterschätzendes Instrumentarium dar, den Druck innerhalb der Institutionen zu erhöhen, der dann innerhalb der Institutionen genutzt werden kann, um Prozesse zu beschleunigen und zu verbessern.

Der Staat muss außerdem für eine ausreichende Ausstattung der Kommission sorgen. Was den Umfang der Arbeit anbelangt, sollte die Kommission sämtliche Formen sexuellen Kindesmissbrauchs seit Gründung der Bundesrepublik untersuchen. In der aktuellen Form der Kommission ist diese Aufgabe kaum zu bewältigen, viel weniger noch könnte eine Kommission, wie sie hier skizziert wird, mit den bisherigen Mitteln zurechtkommen. Mindestens also braucht es eine hauptamtliche und ordentlich ausgestattete Geschäftsstelle, die es den bislang ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern der Kommission erlaubt, ihre Expertise einzubringen. Die ehrenamtliche Mitgliedschaft trägt zwar der Unabhängigkeit Rechnung, stellt aber fraglos eine Doppelbelastung dar. Ausgleichsmodelle, die zeitlich befristete Freistellungen der ordentlichen Mitglieder möglich machen, wären eine Option, eine Mitarbeit für Expertinnen und Experten attraktiver zu machen.

Diese Fragen sind deshalb entscheidend, weil sie eine dauerhafte Bearbeitung der Thematik sicherstellen helfen. Darüber hinaus muss der Staat die Forschung sowohl hinsichtlich der Dimension des Themas sexualisierter Gewalt als auch hinsichtlich der Gegenstrategien fördern. Die Kommission braucht dazu eine entsprechende finanzielle Ausstattung, um Forschungsaufträge vergeben zu können. Dringend notwendig ist eine bereichsübergreifende Dunkelfeldstudie, die Fallzahlen, systemische Faktoren, Täterprofile und Tatsituationen einbezieht. Eine solche Studie würde zu einer besseren Erfassung der Ausgangslage beitragen, auf deren Grundlage im nächsten Schritt Ziele und Handlungsstrategien abgeleitet werden können. Im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen wird am Design einer solchen Studie gearbeitet. Die Kommission könnte sie dann in Auftrag geben. Zur besseren Erfassung der Forschung soll die Kommission ein Bundesregister für Forschungs- und Aufarbeitungsprojekte zu sexualisierter Gewalt in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen führen.

Stärkung der Betroffenen

In die Rolle des Staates fällt es ferner, die Selbstorganisation der Betroffenen zu unterstützen. Viel stärker noch als bisher ist ein Fokus darauf zu legen, Betroffene zu stärken und in die Lage zu versetzen, sich selbst zu organisieren und Beteiligungsformate auch qualifiziert und legitimiert wahrnehmen zu können. Für Betroffene sind Aufarbeitungsprozesse ohnehin quälend, die erfahrene sexualisierte Gewalt wird für sie präsent bleiben, selbst wenn sie das Thema für sich integrieren konnten. Als Richtschnur gilt: Betroffene müssen beteiligt werden, aber ohne sie in die Verantwortung dafür zu nehmen, was sie erlitten und eben nicht selbst verantwortet haben. Die Betroffenenbeteiligung in der jetzigen Form der Kommissionen im Rahmen der katholischen Kirche ist daher perspektivisch abzuschaffen. Sie bringt Betroffene erneut in Abhängigkeit und bindet sie für Ergebnisse ein, die sie nicht entscheidend beeinflussen können. Besser ist es, die Vernetzung und Selbstorganisation zu unterstützen und die Verständigung darüber zu ermöglichen, was Betroffene selbst wollen. Die im Entstehen begriffene Interessenvertretung muss daher breite Unterstützung erfahren. So kann demokratisch, selbstständig und vertrauensgebildet eine unabhängige Selbstorganisation entstehen, durch die Betroffene selbstbewusst und stark mit Institutionen und der Politik in den Dialog treten. Unterstützung und Austausch, Beratung, Begleitung und Auszeitnehmen können hierüber organisiert werden.

Als Symbol der Anerkennung und Wahrnehmung des individuell erfahrenen Unrechts braucht es außerdem öffentliches Gedenken. Zugleich wird damit auch eine Enttabuisierung des Themas und eine Kultur des Hinsehens gefördert. Eine Gedenkstunde im Deutschen Bundestag ist längst überfällig. Das Leid liegt zum Teil weit zurück oder befindet sich noch heute im Dunkelfeld. Eine Gedenkstunde ist geeignet, sich symbolisch jenes Teils der Thematik zuzuwenden, der gesetzgeberisch nicht mehrerfasst werden kann. Sie würde einen Zwischenhalt darstellen, bei dem auf die Vergangenheit bis zum Tag des heutigen Gedenkens zurück. Daneben braucht es auch eine Gedenkkultur für jene, die ihre individuelle Geschichte nicht aufgearbeitet haben wollen, eine aktive Erinnerungsarbeit mit Zeiten und Orten des Erinnerns.

Was die monetäre Anerkennung anbelangt, so kann es nur um ausgleichende Gerechtigkeit gehen. Opfer müssen nach bestimmten Kriterien mit gestuften oder pauschalen Beträgen entschädigt werden. Diese Entscheidungen dürfen nicht den Institutionen überlassen werden. Eine gemeinsame Stiftung für die Opfer sexualisierter Gewalt könnte grundsätzliche Entschädigungen leisten, indem sie sich aus Beiträgen betroffener Institutionen, staatlicher Mittel und Einnahmen bei Verstößen gegen Auflagen der Aufarbeitungskommission finanziert. Ähnlich der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer sowie zur Einrichtung eines speziellen Fonds wäre die Stiftung zuständig für alle Opfer sexualisierter Gewalt. Auch eine Ombuds-/Clearingstelle für Einzelfälle ist hier klugerweise anzugliedern, um Streitfälle einer Lösung zuzuführen.

Im Bereich des Strafrechts ist letztlich auch die Strafverfolgung zu stärken, mit angemessen ausgestatteten Staatsanwaltschaften, Schulungen für den geeigneten Umgang bei Verdachtsmeldungen, flächendeckender anonymisierter Beweissicherung und Expertise zur Bekämpfung von Kinderpornographie. Auch weiteren Verschärfungen oder möglichen Lücken im Gesetz sollte man sich bedarfsgerecht zuwenden, wie einen möglichen Tatbestand zum sexuellen Missbrauch in der Seelsorge. Im Bereich Prävention passiert unstreitig viel, allerdings werden die Wirkungen der Anstrengungen zu wenig nachverfolgt. Die Präventionsarbeit braucht einen qualitativ nächsten Schritt. Dafür sollte die Einführung von Schutzkonzepten in Einrichtungen unabhängig begleitet und bewertet werden.

Nationale Gesamtstrategie gegen sexualisierte Gewalt

Wird der Staat mit diesen Vorhaben seiner Rolle gerecht? Das wissen wir nur, wenn wir eine Verständigung über die Ausgangslage erzielen und definieren, was wir in welchem Zeitraum konkret erreichen wollen und dann auf der Zeitachse beständig prüfen, ob die Maßnahmen der Zielerreichung ausreichend dienen oder nachgesteuert werden muss. Was es braucht, ist also eine nationale Gesamtstrategie gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Natürlich gibt es auch Betroffene sexualisierter Gewalt im Erwachsenenalter. Dennoch brauchen Kinder und Jugendliche spezifische Unterstützung durch den Staat, um sich aus destruktiven Beziehungen lösen zu können. Dies sollte auch beinhalten, dass die Rolle von Kindern als Zeugen in Gerichtsverfahren möglichst schonend gehandhabt wird: Kinder sollten nur einmal vernommen werden und notwendige Therapien vorgezogen werden können. Daneben müssen Schutz- und Hilfekonzepte in der Fläche verbreitet und unabhängige Anlaufstellen entwickelt und umgesetzt werden.

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung bietet die Chance eines echten Neustarts für das Thema Kinderschutz. All die notwendigen Schritte können schließlich in ein Aufarbeitungsgesetz münden, wie es als Prüfauftrag im Koalitionsvertrag formuliert wurde. In einem solchen Aufarbeitungsgesetz soll Aufarbeitung für alle geregelt werden. Der Vertrauensverlust gegenüber dem Staat wäre enorm, wenn nicht alles versucht wird, um aufzuklären, was noch aufzuklären ist und im Sinne der Betroffenen aufgeklärt werden soll. Die Konsequenzen der Aufarbeitung sollten nach allem Gesagten nicht im Belieben von Einzelpersonen oder je nach öffentlichem Druck gezogen werden, sondern in angemessener und nachvollziehbarer Weise. Betroffene zu Beteiligten zu machen, war von Anbeginn ein richtiges Anliegen. Jetzt geht es auch hier um Qualitätsstandards, also gute Beteiligung. Es wurde bereits viel erreicht, es bleibt unbestreitbar viel zu tun. Niemand kann erwarten, dass die Aufarbeitung großen Elends einfach oder konfliktfrei verlaufen wird. Die Kirchen haben noch immer die Chance, als die Institutionen, die besonders im Fokus stehen, einen beispielgebenden Prozess zu gestalten, der dann auch den Sport, Bildungseinrichtungen oder Heime in Zugzwang bringt. Und der Staat darf ihnen das nicht alleine überlassen.

Hinweis: Der Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem Buch „Semper Reformanda. Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften auf dem Prüfstand“ herausgegeben v. Isabelle Ley / Tine Stein/ Georg Essen. Es erscheint am 24.7. im Herder-Verlag.

Buchcover "Semper Reformanda"

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Lars Castellucci

Dr. phil Lars Castellucci ist Mitglied des Deutschen Bundestages, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.  Seine Professur für Nachhaltiges Management an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim ruht derzeit.

Foto: Christoph Göckel

Julian-Christopher Marx

Dr. phil.  Julian-Christopher Marx ist Wissenschaftlicher Referent für Religions- und Migrationspolitik bei Prof. Dr. Lars Castellucci MdB. Seine  Forschungsschwerpunkte sind Soziologie und Theorie der Religion sowie das Verhältnis von Religion und Politik.


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