Ausgezeichnet

Über die Max-Weber-These

Die sogenannte Max-Weber-These – die These also vom Beitrag der reformierten Frömmigkeit zur Durchsetzung des modernen Kapitalismus – gehört zu den großen, auch theologisch rezipierten kulturgeschichtlichen Leitnarrativen, bestätigt sie doch die Überzeugung von der umfassenden Kulturbedeutung des Protestantismus für die Moderne.

Max Weber hat sie in seiner berühmten Studie „Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ aus den Jahren 1904/1905 wirkkräftig entfaltet und damit eine intensive, weitgefächerte, längst unübersichtliche Debatte ausgelöst, die bis heute ganze Bibliotheken füllt. Insofern könnte man meinen, zu ihr sei längst alles gesagt. Wie wenig das stimmt, wie anregend vielmehr und zudem überaus aktuell noch immer die Beschäftigung mit der Max-Weber-These sein kann, das zeigt auf überaus geglückte Weise der Band Gott gebe Wachstum, den Georg Neugebauer, Constantin Plaul und Florian Priesemuth im Anschluss an eine im Oktober 2019 in Halle an der Saale durchgeführte Tagung herausgegeben haben.

Wie der Untertitel „Historische und systematische Studien zur protestantischen Wirtschaftsethik nach Max Weber“ bereits andeutet, gliedert sich der Band in zwei Abteilungen. Die erste Hälfte umfasst Beiträge, die sich mit der Max-Weber-These selbst beschäftigen. So gibt Jan Rohls einen glänzenden Überblick über die Geschichte der reformierten Wirtschafts-ethik, ausgehend von Huldrych Zwingli bis zu Arthur Rich – mit dem Ergebnis, dass Weber mit seiner Kapitalismusthese konfessionstypologische Schemata des 19. Jahrhunderts fortschreibe, von einem signifikanten Zusammenhang zwischen Calvinismus und Kapitalismus aber nicht die Rede sein könne.

Michael Murrmann-Kahl bestätigt dieses historische Urteil, spannt aber zugleich den Horizont weiter. Denn die anregende Bedeutung Webers liege in dem Verweis auf mögliche Wahlverwandtschaften zwischen religiösen Mentalitäten und moderngesellschaftlichen Entwicklungen, die unbeabsichtigte Auswirkungen und Nebeneffekte einschließen könnten. Zudem dürfe die zeitdiagnostische Funktion der Kapitalismusthese nicht übersehen werden, mit der Weber dem im „Stahlgehäuse der Moderne“ gefangenen Bürgertum den Spiegel vorhalte.

Hinzu kommen Beiträge von Marianne Schröter, Richard Pohle, Georg Neugebauer und Matthias Neugebauer, die mit frischem Blick jeweils einzelne Hintergründe und Kontexte der Max-Weber-These eingehender beleuchten. Rochus Leonhardt schließlich transponiert Webers Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Ökonomie in die ebenso virulente Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik. In der Folge bietet er eine kritische Analyse des kirchlich-politischen Aktionismus – repräsentiert im Programm der Öffentlichen Theologie –, in dem er ein zu Webers innerweltlicher Askese paralleles religionsvergessenes Weltengagement entdeckt.

In der zweiten Hälfte geht es nicht mehr um die Max-Weber-These selbst, sondern vielmehr, durch sie angeregt, um die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von Religion und Wirtschaft, insbesondere unter den Bedingungen des modernen Kapitalismus. Der Band betritt damit das weite Feld der Wirtschaftsethik. In beeindruckender Prägnanz rekonstruiert Karl Tetzlaff die ökonomiekritischen Überlegungen von Eberhard Jüngel, Falk Wagner und Klaus Koch, denen auf je unterschiedliche Weise daran gelegen ist, gegen die kapitalistische Versachlichungslogik die Anerkennung menschlicher Freiheit einzuklagen. Jörg Dierken führt diese Perspektive mit Überlegungen zur „Ähnlichkeit im Widerstreit“ von Gott und Geld fort: Es gelte, die durch Geld ermöglichten Freiheitsgewinne anzuerkennen und zugleich jeder Verabsolutierung von Geld und Ökonomie zu widersprechen. Überaus informativ sind sodann die Beiträge von Traugott Jähnichen zur Monopolgefahr der Digitalkonzerne, von Constantin Plaul zur Krise und Reformulierung des reformatorischen Berufsgedankens sowie von Florian Priesemuth zum aktuellen Debattenstand in der evangelischen Arbeitsethik. Ergänzend finden sich zwei Texte von Ulrich Barth zur Kapitalismusdeutung Max Webers und von Malte Dominik Krüger zur evangelischen Arbeitsethik im Zeichen der Work-Life-Balance, die zuvor schon an anderen Orten erschienen sind.

Der Band überzeugt durch die ausgezeichnete Qualität seiner Beiträge. Sie lassen scheinbar Altbekanntes in weiterführend neuem Licht erscheinen, schlagen Schneisen in unwegsames Gelände und zeigen sich durchweg daran interessiert, das christliche Interesse an der Wahrung der Freiheit des Einzelnen im Bereich der modernen Wirtschaft so zur Geltung zu bringen, dass deren Ambivalenzen und Schattenseiten offen benannt werden, ohne sie als solche moralisch zu verteufeln.

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