Im braunen Sumpf

Die Kirchen müssen sich gegen die rechtsradikale Szene im Osten engagieren
Proteste gegen die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich auch mit Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten im Februar 2020 in Erfurt.
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Proteste gegen die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich auch mit Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten im Februar 2020 in Erfurt.

In Ostdeutschland sind die Kirchen gesellschaftlich relevante Gegnerinnen neonazistischer und rassistischer Erscheinungen. Aber: Religiöse Menschen stimmen menschenfeindlichem Sexismus und Homophobie stärker zu als Konfessionslose, wie eine wissenschaftliche Studie vor ein paar Jahren zeigte. Was die Kirchen in dieser Lage tun müssen, analysiert Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen.

Beispiel Kriebethal. In der 670 Einwohner*innen zählenden Gemeinde sollten Anfang Februar dieses Jahres zwölf Minderjährige nach ihrer Flucht untergebracht werden. Die Folge: Zuletzt nahmen in dem kleinen Ort 200 Menschen an rechtsextremen Demonstrationen von AfD und den extrem rechten Freien Sachsen teil. Sie hetzten in ihren Reden gegen Schutzsuchende. An einer Unterschriftensammlung gegen die Einrichtung im ehemaligen Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes beteiligten sich 257 Einwohner*innen.

Kriebethal ist kein Einzelfall. Nicht nur in Sachsen gibt es gefestigte neonazistische Strukturen und hohe Zustimmungswerte zu menschenfeindlichen Positionen. Der Freistaat Sachsen ist seit vielen Jahren eine der Schwerpunktregionen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Anfang des Jahres 2022 erreichten die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit wöchentlich insgesamt bis zu 40 000 Teilnehmenden in mehr als 120 Orten ihren Höhepunkt. Im Herbst bestimmten der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit zusammenhängende Energiekrise und Inflation das Protestgeschehen. Ende 2022 und zu Beginn des neuen Jahres wandten sich die Proteste zunehmend gegen die Aufnahme geflüchteter Menschen.

Normalisierung rechten Denkens

Und das ist nur das, was rasch an der Oberfläche zu sehen ist: Neben dem Protestgeschehen findet eine weitere Normalisierung rechten Denkens und Handelns statt. Extreme Rechte wie Neonazis, Völkische Siedler*innen und Reichsbürger*innen erwerben und nutzen Immobilien. Auch dadurch werden sie nach und nach zu „normalen“, akzeptierten Teilen des Gemeinwesens. Sie erhalten so die Möglichkeit, weiter Verschwörungserzählungen, Fake-News und rechte Ideologien zu verbreiten. Die Folge: Zu den Landratswahlen 2022 in Sachsen erhielten die Freien Sachsen überall dort, wo sie antraten, ein zweistelliges Ergebnis und die AfD einen unvermindert hohen Zuspruch unter den Wähler*innen. Es ist davon auszugehen, dass das Stammwähler*innenpotential der AfD in Sachsen bei über 20 Prozent liegt. Zusammengefasst bedeutet dies ohne Zweifel: Wenn wir uns die politischen Debatten der vergangenen Zeit anschauen, so haben sich das Sagbare und die „Normalitäten“ weiter nach rechts verschoben. Aber wollen wir uns damit abfinden, dass demokratische Werte in Frage gestellt, demokratische Institutionen delegitimiert werden, ja Menschenrechte und Menschenwürde nicht uneingeschränkt für alle gelten?

„Völkische Siedler“ erwerben Höfe

Diese Frage müssen sich auch die Kirchen stellen. Wenn es uns nicht gelingt, demokratische Antworten auf die aktuellen Herausforderungen zu finden, überlassen wir die Deutungshoheit den Demokratiefeinden. Aber welchen Beitrag können Kirchen in Zeiten leisten, in denen existenzielle Fragen nach Krieg und Frieden, ein lebensbedrohender Klimawandel und damit verbundene weltweite Fluchtbewegungen bis in den Alltag der Menschen wirken?

Die Kirchen sind gesellschaftlich relevante Akteurinnen in der Auseinandersetzung mit neonazistischen, rassistischen und anderen menschenfeindlichen Erscheinungen. Ein Beispiel: Das Kulturbüro Sachsen e. V. gehört neben Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Miteinander e.V. Sachsen-Anhalt zu den Initiatoren der Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) am Vorabend des 13. Februars 2010. Jedes Jahr nutzen Rechtsextreme den Jahrestag des verheerenden Bombenangriffs auf Dresden am Ende des Zweiten Weltkriegs, um für ihre braune Gesinnung zu werben.

Dagegen und gegen viele andere Taten des rechtsradikalen Sumpfs ist kirchliches Engagement nötig: Das gilt auch deshalb, weil eine wissenschaftliche Studie vor ein paar Jahren festgestellt hat, dass religiöse Menschen einigen Dimensionen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie Sexismus und Homophobie stärker zustimmen als Konfessionslose. Wir können nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass „Dresdner Christen für Pegida“ viele Wochen bei den Pegida-Demonstrationen zu lesen war. Und so manche Kirchgemeinde in Dresden und im Umland hat die Frage des Umgangs mit und der Haltung zu Pegida gespalten. Hinzu kommt, dass sich seit Jahren gezielt völkische Familien – sogenannte Völkische Siedler – in Mittelsachsen ansiedeln. Sie erwerben Höfe, etablieren rechte Netzwerke, sehen ihre Hauptaufgabe im „Erhalt der Volkssubstanz“ und sind fest verwurzelt in einem rassistischen, sozialdarwinistischen und antisemitischen Weltbild. Zunächst wenig auffällig, wurden sie im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen als Anmeldende der Demonstrationen und als Redner*innen, aber auch durch Präsenz und Vereinnahmung von Veranstaltungen ortsansässiger Vereine öffentlich sichtbar. Und sie verbreiteten Ängste.

Angeregt durch kirchliche Mitarbeiter*innen wurde in der betroffenen Gemeinde Leisnig im November vergangenen Jahres ein offener Gemeindeabend angeboten, um zu dem Thema „Völkische Siedler“ zu informieren. Es ging auch darum, zu sensibilisieren, Ängste ansprechbar und besprechbar zu machen und über Handlungsmöglichkeiten im Gemeinwesen nachzudenken. Denn genau darin liegt die Stärke von Gemeindeabenden. Zugleich machte aber die Aussage einer Pfarrerin nachdenklich, dass einige Menschen nicht zur Veranstaltung kamen – aus Sorge, dass dies von den Völkischen Siedlern beobachtet werden könnte.

In diesem Sinne kann Kirche auch Schutzraum sein. Sie sollte diese Rolle bewusst annehmen. Die Kirche hat nämlich eine Stärke: Das Gemeinschaftsgefühl und eine Vertrauensbasis in Gemeinden und kirchlichen Gruppen ermöglichen den Austausch auch zu anderen kontroversen Themen. Zugleich sind größere öffentliche Veranstaltungen im kirchlichen Raum eher dazu geeignet, klare demokratische Positionen in die Öffentlichkeit zu senden. Sie ermöglichen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, Menschen also, die häufig im Alltag wenig miteinander kommunizieren, Räume zu schaffen, in denen sie zum Umgang mit Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Austausch kommen und gemeinsam Handlungsmöglichkeiten erarbeiten können. Ziel einer Veranstaltung im Kirchenraum kann es auch sein, sich mit lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Betroffenen von neonazistischer Gewalt und Rassismus öffentlich zu solidarisieren. Wichtig dabei ist immer: Öffentliche Veranstaltungen benötigen eine klare Zielstellung und müssen gut vorbereitet sein, um Vereinnahmungen und Wortergreifungsstrategien durch die extreme Rechte zu vermeiden.

Noch ein weiter Weg

Kirchliches Engagement kann demokratische zivilgesellschaftliche Bündnissen stärken. Die Mitwirkung der Kirchen in solchen Bündnisse bewirkt nicht immer, aber häufig eine breitere Akzeptanz der Initiativen bei politisch Verantwortlichen und in Teilen der Bevölkerung. So können auch die Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen Erscheinungen und die Beschäftigung mit politisch relevanten Themen innerkirchlich befördert werden. Dabei ist noch ein weiter Weg zu gehen, denn leider fehlt es oft an einer schnellen Reaktion der Kirche. Ein Beispiel: Im Dezember 2022 äußerte sich der Bautzner Landrat rassistisch über geflüchtete Menschen. Er behauptete, es würde den sozialen Frieden gefährden, wenn Flüchtlinge in Turnhallen oder leerstehenden Wohnungen untergebracht würden. Auch dass er seine erschreckende „Botschaft“ mit den Worten „gesegnete Weihnacht“ beendete, erregte über Sachsen hinaus Empörung. Aber aus regionalen Kirchenstrukturen meldeten sich lediglich der Bautzner Pfarrer Christian Tiede und der für den Kirchenbezirk zuständige Superintendent Tilmann Popp zu Wort, um den Flüchtenden beizustehen. Kurz zuvor hatte bereits eine Zustimmung des Landrates und der CDU-Fraktion zu einem Antrag der AfD, die Integrationsleistungen für ausreisepflichtige Geflüchtete im Landkreis zu kürzen, für Kritik gesorgt. Und auch hier: In beiden Fällen äußerte sich keiner der Bischöfe, selbst die AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte blieb still. Einfach zu wenig erscheint da auch der Verweis darauf, die Haltung der Kirchen im Blick auf Schutz und Hilfe für Geflüchtete sei klar und eindeutig – zumal dann, wenn wie derzeit rassistische Mobilisierungen gegen die Aufnahme geflüchteter Menschen und Angriffe gegen Unterkünfte für Geflüchtete eindeutig zunehmen.

Als sich im Sommer 2022 Pfarrer Jörg Michel aus Hoyerswerda vor dem Landratsamt in den Hungerstreik begab, solidarisierten sich keine kirchenleitenden Personen. Michel wollte mit seiner Handlung auf die Untätigkeit der für den Landkreis Bautzen zuständigen Ausländerbehörde aufmerksam machen. Es ging darum, dass die Kosten für Geflüchtete nicht erstattet und ein Brief an den Landrat in dieser Sache nicht beantwortet wurden. Der damalige Hoyerswerdaer Pfarrer engagiert sich seit Jahren gegen extrem rechte Aktivitäten in seiner Stadt, ebenso für die Aufarbeitung der pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991 und in der Initiative „Hoyerswerda hilft mit Herz“ für geflüchtete Menschen.

Diese Nichtreaktionen können als vertane Chancen gesehen werden. Denn wenn menschenrechtsorientierte Haltungen immer wieder durch kirchenleitende Personen wertgeschätzt und bestärkt werden, ist dies eine Rückenstärkung und Unterstützung zugleich für demokratisch Engagierte in den Kirchen. Dies kann Zögerlichen Mut machen und vielleicht auch den einen oder die andere zum Nachdenken anregen. Allemal ist es nach außen ein deutliches Zeichen an die Feinde einer offenen und demokratischen Gesellschaft.

Klare Positionierung

Ein Fazit: Mit der im Frühjahr 2022 veröffentlichten EKD-Studie „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung“ liegt eine Problembeschreibung vor, die gute Anknüpfungspunkte für die innerkirchliche Diskussion bietet. Zugleich macht diese interdisziplinäre Studie Handlungsansätze der Kirchen in dieser Zeit erkennbar. Denn die aktuellen Entwicklungen und eine immer selbstbewusster und diverser werdende extreme Rechte aus Neonazis, Verschwörungsideolog*innen und Reichsbürger*innen stellen eine enorme Herausforderung für die Gesellschaft dar. Es ist auch für die Kirchen eine Herausforderung, die angenommen werden muss. Menschenrechtsorientierte Haltungen vertreten, hieße dann, Orientierung zu geben, zum Nachdenken anzuregen, den Menschen auch etwas zuzumuten, ihnen andere Erfahrungen und damit Entwicklung zu ermöglichen.

Das können und sollten Kirchen mit sehr unterschiedlichen Formaten innerkirchlich und im Gemeinwesen leisten. Dazu braucht es eine Außenwirkung, eine klare öffentlich wahrnehmbare Positionierung, zumal dann, wenn Menschen, Christ*innen oder nicht, sich menschenrechtlich und antifaschistisch engagieren und dafür diskreditiert oder gar angegriffen werden. Notwendig ist es auch, dass insbesondere kirchenleitende Personen Widerspruch gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit einlegen und sich solidarisieren mit Menschen, die von Rassismus, antisemitischer oder neonazistischer Gewalt betroffen sind.

Solche Solidarität brauchen auch alle Engagierte, die sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Im Alltag kirchlicher Gemeinden und Organisationen müssen es dabei nicht immer öffentliche Statements oder Presseerklärungen sein. Nicht zuletzt die Mitarbeit in zivilgesellschaftlichen demokratischen Bündnissen zeigt, wo sich die Kirche positioniert. 

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