Es ist fünf nach zwölf

Ein Plädoyer für mehr Ostdeutsche auch in journalistischen Führungspositionen
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Der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider meint, es sei an der Zeit, das Problem anzugehen. Ich meine, es ist bereits fünf nach zwölf.

Worum geht es? Es geht darum, den Anteil Ostdeutscher in den Elitepositionen dieses Landes endlich zu erhöhen. Eine Diskussion, die mehr als 33 Jahre nach der Wiedervereinigung längst überfällig ist. Ein Problem, das viel zu lange ignoriert, ausgesessen oder einfach lästig war. Es kann nicht richtig sein, dass sich westdeutsche Eliten nach wie vor aus sich selbst heraus rekrutieren.

Nach einer Studie der Universität Leipzig und des MDR beträgt der ostdeutsche Bevölkerungsanteil in Deutschland etwa 17 Prozent, Top-Elitepositionen im Land besetzen aber nur rund 3,5 Prozent Ostdeutsche. Ob Verwaltung, Justiz, Universitäten, Wirtschaft oder auch die Medien – Ostdeutsche bestimmen die Lebenswirklichkeit in diesem Land nicht entscheidend mit. Da helfen auch die oftmals gehörten Argumente, die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck kämen doch aus dem Osten, einfach nicht weiter. Ich will mich im Folgenden auf den Medienbereich konzentrieren, weil ich dort schon lange arbeite.

Nach der besagten Studie wird allein im Osten noch nicht einmal die Hälfte der Chefredaktionen der 13 großen regionalen Tageszeitungen von Ostdeutschen geleitet. Stellen Sie sich das vor: Die Ostdeutschen sind sogar im Osten in diesem Bereich in der Minderheit! Und im Vorstand oder der Geschäftsführung bei den großen privaten Medienkonzernen in Deutschland? Null. Da gibt es niemanden. In den Chefredaktionen der auflagenstärksten überregionalen Zeitungen und Zeitschriften gibt es demnach nur zwei Ostdeutsche. Jetzt könnte man vielleicht denken, der öffentlich-rechtliche Rundfunk mache es besser. Aber auch hier: Es findet sich nur eine Ostdeutsche, nämlich beim MDR. Im September ist zudem wieder einmal eine Chance vergeben worden, als beim RBB ein Nachfolger/eine Nachfolgerin für die frühere Intendantin Patricia Schlesinger gesucht wurde. Gerade in diesen Zeiten hätte man ein Zeichen setzen können. Aber wieder wurde die Position mit einer Westdeutschen besetzt. Und es ist zu befürchten, dass es so ewig weitergehen wird.

Was ist denn so schlimm daran, warum rege ich mich darüber auf? Weil ich denke, dass diese Personalpolitik auch Auswirkungen auf das Programm hat, auf die Inhalte. Beispiele gefällig?

Erinnern Sie sich noch an den „Hutbürger“? Im August 2018 hatte ein Mann am Rande einer Pegida-Demonstration in Dresden gegen ein ZDF-Team protestiert, das ihn gefilmt hatte. Ich will jetzt keine juristische Bewertung des Sachverhalts abgeben. Aber wie der Fall dann durch die Medien ging, auch beim ZDF, war wieder einmal typisch: Da ist er, der Pegida-Ossi, mit dem doofen schwarz-rot-goldenen Hut, der auch noch Sächsisch spricht. Und plötzlich gab es die Witzfigur des „Hutbürgers“. Dieses Bild griff Der Spiegel später auf und titelte dazu „So isser, der Ossi“ (35/2019). In der Titel-Story stand über einen potenziellen AfD-Wähler: „Die CDU hat er 2015 verlassen, am 1. September will er AfD wählen. Was ist schiefgelaufen im Leben des Zahntechnikers?“ Es ist diese Haltung, dieses Oberlehrerhafte, dieser Blick auf den Osten aus vermeintlich sicherer Entfernung. Oft garniert mit jahrelangen Vorurteilen und Nichtwissen. Es ist das fehlende Verständnis, das gefühlte „Sich-nicht-Interessieren“, was mich so ärgert. Ich könnte noch viele Beispiele anführen. Natürlich gibt es auch viele positive Beispiele, aber gerade diese beiden, der Umgang mit dem Mann in Dresden und die Berichterstattung des Spiegel über den „Ossi“, zeigen, wie viel man an Glaubwürdigkeit und Vertrauen zerstören kann. Egal, wie gut es dann eine Zeit lang gemacht wird.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich dieser Blick auf den Osten nur ändert, wenn mehr Ostdeutsche in Führungspositionen in den Medien vertreten sind. Denn dann können sie wirklich mitentscheiden.

Bei diesem dann veränderten Blick auf den Osten geht es um ein Begegnen auf Augenhöhe, es geht ums Zuhören, es geht um echtes Interesse an den Meinungen im Osten, es geht um echtes Interesse am Leben im Osten. Es geht auch um Ängste und Sorgen. Es geht um Verständnis. Und es geht eben nicht um die Bestätigung eines bereits feststehenden Urteils, eben eines aus dem Westen. Diese Änderung in der Berichterstattung würde im Osten sehr genau wahrgenommen werden, und etwas anderes auch: dass jemand aus dem Osten in dieser Position ist und richtungsweisend entscheiden kann. Es geht also um Chancengleichheit und Anerkennung. Es geht auch um das Nutzen der ostdeutschen Erfahrungen. Es geht um Repräsentation sowie Sozialintegration. Und letztlich auch um unsere Demokratie in Deutschland. 

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Eric Marr

Eric Marr ist freier Moderator und Journalist. Der gebürtige Leipziger war mehr als 20 Jahre beim ZDF, unter anderem als Moderator un Reporter. Außerdem engagiert er sich bei der Initiative „Wir sind der Osten“. Kontakt: www.ericmarr.net


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