Ein goldenes Fischlein
Es ist ein kleines Paradies, das Damenstift Fischbeck an der Weser, zwischen dem niedersächsischen Hameln und Rinteln am Pilgerweg von Loccum nach Volkenroda gelegen.
Auf dem Vorplatz, am Heuerhof und dem alten Brunnen angekommen, holt es den Besucher schnell aus dem Alltag. Platz nehmen auf der Rundbank. Von hier blickt man auf das Abteigebäude aus Fachwerk, eine kleine Freitreppe führt in das Reich der Äbtissin. Die Stiftsdamen leben in den historischen Gebäuden um den stillen Kreuzhof herum. Es ist der Klausurbezirk. Geschichte lässt sich an Architektur ablesen: Fachwerk, geputzte Mauern und rohes Mauerwerk reihen sich in dem Ensemble aneinander. Immer öffnen sich Ausblicke in die Gärten, auf Kräuterbeete, Rosen und alte Bäume, durch Rundbögen in den historischen Abteigarten, in Ruheoasen.
Ohne Unterbrechung wird das Stift seit dem Jahr 995 bewohnt, heute als gemeinnützige Stiftung. Die Stiftsdamen führen die Tradition fort, gestalten Gottesdienste, Veranstaltungen und Führungen, wobei sie gern die wild-romantische Legende des Ortes erzählen.
Wild-romantische Legende
Und die ging so: Die brave Helmburgis wartet in der Burg auf ihren Gemahl, bis er vom Krieg zurückkehrt. Argwöhnisch, eifersüchtig ist er und bezichtigt sie, seinen Trank vergiftet zu haben. Ein Gottesurteil soll ihre Unschuld erweisen, so geht sie gleich dreimal betend durch ein loderndes Feuer und bleibt unversehrt. Ricpert, der Gatte, entdeckt auf ihrer Schulter noch ein kleines Funkenmal, zweifelt, wird wütend. Er lässt sie und ihre Magd auf einen Karren binden und von wilden Pferden fortreißen. Nur Gottes Gnade rettet sie, dankbar fallen die Frauen auf die Knie an einer Beke (Bach), und Helmburgis schöpft mit der Hand Wasser daraus. Siehe da, ein goldenes Fischlein ist darin. Zeichen und Wunder! Fortan will die Frau im Dienst Gottes leben und gründet im Jahr 955 hier das Kanonissenstift Fischbeck. Kein Geringerer als König Otto I. schenkt der adligen Frau das Grundstück und stellt es unter seinen Schutz. Diese Legende wird Mitte des 16. Jahrhunderts in sechs Medaillons in Flandern auf einen Wandteppich gewebt, ein Besuchermagnet, der im Laufe der Jahrhunderte so oft restauriert werden musste, dass man ihn heute zum Schutz im Depot der Klosterkammer Hannover aufbewahrt. Das Stift hat sich für eine maßstabsgetreue Kopie im Druckverfahren entschieden.
Bei dem Spaziergang über das Gelände erfährt man, dass dieses Kanonissenstift den unverheirateten Töchtern des Landadels vorbehalten war, die sich ohne ewiges Gelübde geistiger Bildung und karitativen Tätigkeiten widmen konnten. Kurze Zeit wurde es im 15. Jahrhundert ein Augustinerinnenstift, nach der Reformation dann ein evangelisch-lutherisches Fräuleinstift. Früher lebten hier zwölf Bewohnerinnen, heute sind es nur noch sechs, denen eine Äbtissin vorsteht.
Weiter geht es zur romanischen Stiftskirche St. Johannis mit den mächtigen, schweren Mauern, die ihren Ursprung im 12. Jahrhundert haben. Davon zeugt die Hallenkrypta ebenso wie Grabdenkmäler und der „Christus im Elend“. Nach einem verheerenden Brand 1234 mussten viele Teile des Stiftes wieder errichtet werden. Vieles wurde auch im Dreißigjährigen Krieg verwüstet, und im 18. Jahrhundert bereicherten neue Wohngebäude den Stiftsbezirk. Noch vor dem tausendjährigen Jubiläum bedachte Kaiser Wilhelm II. das Stift mit einer Spende, die es erlaubte, den Innenraum der Kirche im Stil des Mittelalters auszumalen, nach Kaisers Gusto. Wandert der Blick nach oben an die Holzdecke, sieht man einen mächtigen Reichsadler, zu seinen Ehren dort angebracht. Die Hoheiten waren erfreut – Kaiser und Kaiserin ließen es sich nicht nehmen, 1904 persönlich bei der Neu-Einweihung der Kirche dabei zu sein. Heute wird die Kirche unter anderem von der evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis für Gottesdienste genutzt.
Angelika Hornig
Angelika Hornig ist Journalistin und beschäftigt sich vor allem mit kulturellen Themen. Sie lebt und arbeitet in Minden.