Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Sein Verfasser leitet das Alt-Katholische Seminar der Universität Bonn. Hier studieren angehende alt-katholische Geistliche und diejenigen, die sich für eine katholische Kirche interessieren, die sich nicht dem Papst unterordnet. In der alt-katholischen Kirche (die in der Schweiz christkatholisch heißt) sammelten sich ab 1870 diejenigen, die aus der römisch-katholischen Kirche ausgeschlossen wurden, weil sie nicht akzeptierten, dass das Erste Vatikanische Konzil dem Bischof von Rom auf fragwürdige Weise die absolute Herrschaft über die römisch-katholische Kirche übertragen hatte.
Die alt-katholische Kirche in Deutschland hat heute nur noch rund 15000 Mitglieder. Vielleicht hat auch diese Minderheitssituation dazu beigetragen, dass sich Andreas Krebs mit diesem Buch nicht einfach im theologischen Mainstream bewegt, sondern neugierig suchend Neuland betritt. Und es ist spannend, dem 47-jährigen Professor dabei zu folgen. Krebs hat den Eindruck gewonnen, dass in unserer Zeit „die herkömmliche Rede von Gottes Spur in der Vergangenheit“ und „von seiner Nähe und Künftigkeit brüchig“ geworden ist.
Er beginnt seine Überlegungen, wie man in einer säkularen Gesellschaft von Gott reden kann, mit 2. Mose 3,14. Da fragt Mose Gott nach seinem Namen. Und der antwortet: „Ich bin, der ich bin.“ So übersetzt die römisch-katholische „Einheitsübersetzung“. Nach der Lutherbibel sagt Gott von sich dagegen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Das dynamische Sein Gottes, das der hebräische Text vermittelt, ist im Laufe der Geschichte durch den Einfluss griechischen Denkens statisch verstanden worden. Krebs gibt einen Überblick, der von Philon, dem im Jahr 40 gestorbenen jüdischen Theologen, über die Philosophen des deutschen Idealismus bis zum Jesuiten Karl Rahner (1904–1984) reicht.
Krebs kritisiert, dass selbst Theologen des 20. Jahrhunderts, die betonten, dass Gottes Sein im Werden ist, die „Beziehung zwischen Gottes Sein“ und „dem Sein von Welt und Mensch … als uneingeschränkt asymmetrisch gedacht“ hätten. So fehle die Einsicht, dass Gott durch die Beziehungen, die er mit den Menschen eingegangen ist (zum Beispiel in 2. Mose 3,12), „auch an sich selbst etwas riskiert“. Denn Gott würden diese Beziehungen „berühren und verändern“, wie die in den USA entwickelte Prozesstheologie betont.
Andreas Krebs ist von ihr inspiriert, aber auch von einem italienischen Zollbeamten. Sergio Quinzio (1927–1996) war ein kluger theologischer Autodidakt. Obwohl sein Buch Die Niederlage Gottes auf Deutsch erschien, ist er weitgehend unbekannt geblieben. Der Italiener beklagt, dass Fehlschläge die Heilsgeschichte durchziehen, von der Vertreibung Evas und Adams aus dem Paradies bis zur ausstehenden Erfüllung der Seligpreisungen. Und die ausgebliebene allgemeine Auferweckung der Toten ist für Quinzio „eine Niederlage Gottes“.
Krebs plädiert dafür, sowohl „Quinzios Verzweiflungsgeschichte“ als auch „die christliche Vergewisserungsgeschichte“ zu hören. „Gegen Quinzio“ möchte er „an der Verheißung und an dem Vertrauen festhalten, dass Gott auch dort noch Möglichkeiten hat, wo sie dem Menschen verschlossen, sogar unvorstellbar sind“. Gleichzeitig hält Krebs mit Quinzio daran fest, dass der Glaube „von einem Ende her“ schaut, „das auch nicht eintreffen könnte“.
Die „Theologie im Horizont der offenen Gottesfrage“, die der alt-katholische Professor gegen Ende seines Buches skizziert, ist wahrhaftig, intellektuell redlich, fordert zum Nach- und Weiterdenken heraus. Und der Gedanke, dass Gott (an den Menschen) scheitern könnte, rührt den Rezensenten an, den das Karfreitagsgeschehen jedes Jahr wieder erschüttert.
Jürgen Wandel
Jürgen Wandel ist Pfarrer, Journalist und ständiger Mitarbeiter der "zeitzeichen".