Unverzichtbar

Über das globale Christentum

Im Zeitalter der Globalisierung ist die Welt stärker zusammengerückt. Globale ökonomische Prozesse, stark erleichtertes Reisen, das Internet und auch die Migrationsströme der Gegenwart haben für eine gewaltige Horizonterweiterung gesorgt, auch im Bereich des Christentums. Die Kenntnis von nicht-westlichen Konfessionskulturen wird auch deswegen immer wichtiger, weil diese inzwischen im sogenannten Westen an vielen Stellen eine Heimat gefunden haben. Dabei wird auch ein Blick auf deren historische Genese immer bedeutsamer. Globale Geschichte ist im Kontext der allgemeinen Geschichtsschreibung inzwischen ein fest etabliertes Fach. Für die Kirchengeschichte bietet der emeritierte Münchener Christentumshistoriker Klaus Koschorke nun eine erste Synthese, die gegenüber vorhergehenden Ansätzen wie der von Jens Holger Schjørring, Norman A. Helm und Kevin Ward 2018 publizierten dreibändigen Geschichte des globalen Christentums insbesondere durch ihren klaren synthetischen Ansatz besticht.

Koschorke führt in seinem als Lehrbuch konzipierten Band seinen Ansatz einer polyzentrischen Entwicklung des Christentums konsequent durch. Damit stellt er deutlich nicht nur die klassische missionsgeschichtliche Perspektive auf außereuropäisches Christentum in Frage, sondern auch die postkoloniale Zugangsweise zu dem Phänomen. Außereuropäisches Christentum wird verstärkt als ein eigenständiger Akteur wahrgenommen. In manchen Regionen war es schon lange präsent, bevor westliche Missionare kamen – so etwa im südlichen Indien. Weitgehend unbekannt sind Prozesse einer Selbstmissionierung wie etwa in Korea. Koschorke benennt ferner das Eigeninteresse und die Eigenperspektive von christlichen Gruppierungen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Dazu zieht er auch indigene Quellen heran, die eben nicht die Perspektive missionarischer oder kolonialer Quellen präsentieren. Koschorke verdeutlicht auch, dass es losgelöst vom Missionskontext Interaktionsprozesse zwischen Vertreterinnen und Vertretern außereuropäischen Christentums gegeben hat. Ferner hält er fest, dass westliche Missionare keineswegs immer nur getreue Förderer kolonialer Interessen waren. Gelegentliche Widersprüche gegen koloniale Gewalt werden deutlich benannt. Missionsschulen hatten sogar eine Bedeutung für die Formierung einer antikolonialen Elite.

Der Blick auf die globale Geschichte des Christentums fördert die Einsicht, dass auch schon lange vor der Globalisierung weltweite Interaktionen zu beobachten sind. Einschneidende historische Ereignisse wie der Erste Weltkrieg oder der Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich ebenso auf das gesamte Christentum ausgewirkt wie auch im engeren Sinne christentumsgeschichtliche Entwicklungen, wie die Diskussionen um das Erste oder insbesondere das Zweite Vatikanische Konzil. Koschorke eröffnet durch seine historische Darstellung nicht nur ein besseres Verständnis für die historische Genese außereuropäischer Christentumsvarianten, sondern vielmehr auch für die historischen weltweiten Zusammenhänge bei deren Entwicklung.

Das Buch stellt die Entwicklung der Christentumsgeschichte in fünf Epochen nacheinander für die Regionen Asien, Afrika und Lateinamerika vor. Dadurch entstehen gelegentlich Überschneidungen und Doppelungen, die sich vermeiden ließen. Durch die Fokussierung klar umgrenzter Zeitabschnitte werden Parallelentwicklungen aber noch deutlicher hervorgehoben.

Während das Christentum in seinen Stammländern immer stärker zur Minderheit wird, im Nahen Osten sogar inzwischen fast gänzlich ausgelöscht ist, nimmt es in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas auch heute noch deutlich zu. Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts lässt sich der Übergang von einer Nord- zu einer Südmajorität auch im Protestantismus festhalten. Koschorke erklärt solche Entwicklungen historisch. Das Christentum hat sogar bei der Befreiung von kolonialer Herrschaft, bei der Etablierung neuer nationaler Identitäten (besonders in Korea) und bei dem Anschluss an die Moderne (die allerdings in ihrer Ambivalenz durchaus noch genauer als bei Koschorke reflektiert werden könnte) unter anderem durch Schulen einen entscheidenden Beitrag geleistet. Dies wird auch durch einen Quellenband und eine Fotosammlung, die sich durch das Arbeitsbuch erschließen lassen, anschaulich verdeutlicht.

Die Grundzüge der Außereuropäischen Christentumsgeschichte stellen fortan ein unverzichtbares Hilfsmittel für alle diejenigen dar, die sich um interkulturellen Dialog bemühen und bereit sind wahrzunehmen, dass sich die aktuell spannendesten und vor allem am meisten Hoffnung stiftenden Entwicklungen des Christentums außerhalb Europas ereignen.

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