Wer sind wir und wenn ja, wie viele?

Die Sucht der Kirche nach Selbstbeschäftigung
Foto: Christian Lademann

Selbstbeschäftigung ist ein natürlicher Reflex niedergehender Institutionen. 15 neue Ausschüsse zu gründen und zwölfeinhalb großangelegte Verständigungsprozesse über den eigenen Auftrag zu initiieren könnte ja die Echokammern schaffen, in denen wir das Kleiner-Werden unserer Kirche aushalten können, ohne es so richtig spüren zu müssen. Man ist ja immerhin laufend beschäftigt. Aber was wäre, wenn all die vollgeschriebenen Flipchart-Blätter und Padlets gar nicht ins gelobte Land führen? Was, wenn wir vor lauter Fragen danach, wer wir als Kirche eigentlich sind, völlig vergessen, einfach Kirche zu sein?

Die ständige Frage nach der eigenen Daseinsberechtigung führt in die Enge und nicht in die Weite. An vielen Stellen wird gegenwärtig immer und immer wieder der Versuch unternommen, Kirchendistanzierte für die Teilnahme an Verständigungsprozessen zum Auftrag der Kirche zu gewinnen, meistens ohne Erfolg. Überraschend ist das nicht, denn warum sollten diese Fragen kirchlicher Selbstverständigung ihre Fragen sein? Diese vergeblichen Versuche zeigen etwas davon, dass es paradox ist, darauf zu hoffen, dass Selbstbeschäftigung uns in gesellschaftliche Vernetzung führt.

Was wohin gehört

Ich möchte nicht missverstanden werden. Die Frage nach dem eigenen Auftrag und danach, wer wir eigentlich sind und zukünftig sein können, sind integraler Bestandteil der Veränderungsprozesse, in denen wir uns gerade als Kirche befinden und sie müssen sorgsam bearbeitet werden. Meiner Wahrnehmung nach findet aber gegenwärtig eine folgenschwere Verwechslung statt. Laufend wird die Illusion kultiviert, als seien es diese Formen der Selbstvergewisserung, in welchen die spirituellen Ressourcen zu finden seien, die imstande sind eine Vitalität und Dynamik ´der bevorstehenden Umbildungsprozesse freizusetzen und uns kirchlich Aktive geistlich zu nähren in all den Veränderungen. Aber dieses Versprechen bleibt leer und anstatt das zu verstehen, gründen wir den 16. Ausschuss zum Ventilieren kirchlicher Zukunftsfragen in dem Glauben, dass nun hier doch endlich mal der Geist beginnen könnte zu wehen.

Wir müssen innerhalb der laufenden Transformationsprozesse neu lernen zu unterscheiden, was wohin gehört. Der Schatz spiritueller Ressourcen des Wandels liegen nicht in der Selbstbeschäftigung, sondern in heiligen Augenblicken institutioneller Selbstvergessenheit. Die spirituellen Ressourcen liegen dort verborgen, wo wir ins Risiko gehen. Sie könnten sich finden lassen, wenn wir z.B. am Valentinstag Paare einladen in unserer Kirche ihre Liebe zu feiern und am Tag selber aufgeregt in der leeren Kirche warten, ob überhaupt Irgendjemand kommt. Wenn dann die kommen, von denen wir es nicht geahnt hätten und dabei ein Kirchenbild aufscheint, das nach Zukunft schmeckt, dann ist da etwas von dieser Vitalität des Wandels, nach der wir uns sehnen. Wo wir schon wieder meinen, wissen zu können, wer wir sind, entsteht keine Bewegung, sondern da wo wir einen Augenblick die Leere zulassen in der Hoffnung, dass daraus etwas wird, das wir nicht für möglich gehalten hätten. Unsere spirituellen Ressourcen des Wandels finden wir da, wo wir Räume betreten, in denen wir potentiell Scheitern zulassen und dann vielleicht erleben können, dass das Evangelium unendlich größer und krisenfester ist als wir dachten.

Empty Space

Die Theaterwissenschaftler Peter Brooke hat eindrücklich diese schöpferische Kraft der Leere beschrieben. Es braucht den „empty space“, damit wirklich Neues werden kann. Der leere Raum ist der Moment in einem kreativen Prozess, in dem mir nichts mehr einfällt, in dem ich keine vorgefertigten Lösungen parat habe und nicht weiß, was ich machen soll, eine schmerzhafte Form des Kontrollverlustes. Wer ihn erlebt, will mit aller Macht herauskommen, diese Leere irgendwie füllen. Wenn es aber gelingt, diesen „empty space“ zuzulassen und als Geschenk zu betrachten, dann ist der Kontrollverlust der erste Schritt hin zu etwas Neuem. 

Meiner Wahrnehmung ist die ständige Geräuschkulisse kirchlicher Selbstbeschäftigung genau dieser verzweifelte Versuch, diesen „empty space“ laufend füllen zu wollen, um ihn nicht aushalten zu müssen. Welche Kräfte könnten entstehen, wenn es uns gelänge diese schmerzhafte Stille zuzulassen und was wäre, wenn dahinter wirklich etwas wäre und nicht vielmehr nichts?

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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