Kaffeebauern in der Krise

Guatemalas Landwirte verlassen die Plantagen und suchen ihr Glück in den USA
Nur die besten Kaffeekirschen werden geerntet. Doch es werden immer weniger.
Foto: Andreas Boueke
Nur die besten Kaffeekirschen werden geerntet. Doch es werden immer weniger.

Wir Deutschen konsumieren mehr Kaffee als Bier. Doch in den Anbauregionen der Welt werden immer mehr Kaffeepflanzen durch den Klimawandel zerstört. Die hochgelegenen Plantagen Guatemalas sind besonders hart getroffen. Der Journalist Andreas Boueke beschreibt die Konsequenzen für die betroffenen Landwirte und das Schicksal einer Familie, deren Suche nach einem besseren Leben in der Katastrophe endete.

Arturo Gonzales wischt sich mit seiner schmutzigen Hand den Schweiß von der Stirn. „Früher war das Klima hier angenehm kühl, aber jetzt arbeiten wir meist in der Hitze.“ Der dürre Mann mit den kräftigen Armen kann sich noch gut daran erinnern, wie die Sonne oft tagelang von dichten Nebelfeldern verdeckt blieb. Jahrzehntelang war die Umgebung des guatemaltekischen Dorfes El Escobal auf über 1 500 Metern Höhe ein ertragreiches Anbaugebiet für wertvollen Exportkaffee.

Heute ziehen nur noch selten Nebelschwaden durch die Täler. Die Durchschnittstemperatur in den fünf Erntemonaten liegt jetzt bei fast zwanzig Grad. Vor rund zehn Jahren tauchten die ersten Sporen des Kaffeerosts auf. Wegen steigender Temperaturen erreicht der Pilz nun auch höhere Lagen und zerstört dort die Felder. „Viele Pflanzen sind krank“, erklärt Arturo Gonzales. „Wenn es auf unserem eigenen Feld nichts zu tun gibt, versuchen wir, auf den Plantagen größerer Landbesitzer Arbeit zu finden. Dort müssen wir die Kaffeekirschen jetzt genau auswählen. Die meisten taugen nichts mehr. Das ist mühselig und braucht viel Zeit. Aber der Lohn für einen Sack geernteter Kaffeekirchen ist derselbe geblieben. So lohnt sich die Arbeit nicht.“

Im Welthaus Bielefeld sitzt der Entwicklungssoziologe Georg Krämer an seinem Schreibtisch. Als Autor zahlreicher entwicklungspolitischer Sachbücher hält er den fairen Handel mit Kaffee für einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung von Anbauregionen in Ländern wie Guatemala. „Doch im Bereich Ernährung haben wir Deutschen ein grundlegendes Problem: Nahrung muss billig sein. In anderen europäischen Ländern sind Lebensmittel deutlich teurer.“

Die Deutschen geben nur ungefähr zwölf Prozent ihres Einkommens für Ernährung aus. Die Tendenz: im Zweifelsfall billig, zumindest wenn es ums Essen und Trinken geht. Wenn ein halbes Pfund Kaffee zwei Euro billiger ist, wird das häufig als der entscheidende Grund dafür gesehen, dieses Angebot zu kaufen. Georg Krämer sagt, der Zusammenhang zwischen der Armut der Kleinbauern und den Kaufentscheidungen in Deutschland sei offensichtlich: „In den Jahrzehnten vor der Pandemie haben wir im Bereich der Armutsbekämpfung sehr viel erreicht. Jetzt aber droht uns die Kehrseite des Wohlstands. Der ökologische Ressourcenverbrauch könnte die Erde überfordern. Deshalb ist die heutige junge Generation die erste der Menschheitsgeschichte, die die Chance hat, weltweit die Armut auszurotten. Aber ebenso ist sie vielleicht die letzte Generation, die das Überleben der Menschheit retten kann.“

Kranke Pflanzen

Man könnte meinen, hierzulande sei fair gehandelter Kaffee längst etabliert. Doch tatsächlich ist der faire Handel noch immer ein Nischenbereich. Zuletzt lag der Anteil des fair gehandelten Kaffees bei sechs Prozent des Gesamtumsatzes. England ist da schon viel weiter. Dort stammen über dreißig Prozent des Kaffees aus fairem Handel. Auch in der Schweiz ist der Anteil deutlich höher als in Deutschland. Doch Georg Krämer sieht auch Fortschritte: „Zumindest weiß heute ein erheblicher Teil der Bevölkerung, was fairer Handel ist. Viele kennen das Fairtrade-Siegel.“ Weniger erfolgreich hingegen sei der Ansatz gewesen, durch den fairen Handel ein entwicklungspolitisches Bewusstsein zu schaffen. „Es gibt zwar viele Menschen, die den fairen Handel kennen. Aber ob dieses Wissen auch ihr Bewusstsein im Sinne globaler Nachhaltigkeit verändert, ist eine ganz andere Sache.“

Doch die Kleinbauern in Guatemala haben nicht mehr die Zeit, auf einen Sinneswandel der Konsumentinnen in Deutschland zu warten. Fast hundert Jahre lang hat der Kaffeeanbau die guatemaltekische Volkswirtschaft geprägt. Arturo Gonzales erinnert sich an Zeiten, als er auf einem Hektar Land 200 Säcke Kaffeekirschen ernten konnte. Jeder Sack wiegt knapp siebzig Kilo. Heute sind so viele Pflanzen krank, dass dasselbe Grundstück nur noch 15, 20 Säcke produziert. „Von dem Verdienst können wir nicht mal genug Dünger kaufen.“ Deshalb suchen er und andere Landwirte woanders nach Einkommen. „Aber die Großgrundbesitzer geben uns keine Arbeit mehr. Sie haben dasselbe Problem. Auch für sie ist der Kaffee nicht mehr rentabel.“

Nicht mehr rentabel

Die vergangenen Jahre waren so heiß und trocken, dass auch Pflanzungen im Schatten nur noch sehr wenige Kaffeekirschen produzieren. Deshalb verlassen immer mehr Nachbarn von Arturo Gonzales das Dorf El Escobal. Seine Frau Maria zeigt auf mehrere Hütten, die seit Langem leer stehen. Die Klimaveränderungen tragen dazu bei, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen. Auch der älteste Sohn von Maria und Arturo hat sich auf den Weg Richtung Norden gemacht, zusammen mit seinem Vater, seinem Onkel und dessen Sohn. „Früher gab es hier im Dorf mehr Möglichkeiten, Geld zu verdienen“, sagt die Mutter. „Auch eine Frau fand Arbeit. Ich habe Strümpfe und Unterhosen verkauft. Aber heute haben die Leute kein Geld mehr. Wie soll man so aus der Armut rauskommen?“

Maria weiß, wie gefährlich die Reise durch Mexiko ist. Aber im Grunde genommen sieht sie keine Alternative für ihre Kinder. „Tag für Tag denkst du darüber nach, wie es weitergehen soll. Wovon sollen wir leben? Was kannst du deiner Familie zu essen geben? Ist es besser, wenn die Kinder arbeiten und ein wenig Geld verdienen, anstatt zur Schule zu gehen?“

Als die Männer der Familie ihr Dorf El Escobal zum ersten Mal verließen, war auch der 17-jährige Sohn Byron dabei: „Schon als ich klein war, habe ich jeden Tag Geld verdient,“ erzählt der Junge. „Aber der Lohn hier reicht nicht zum Überleben. Deshalb haben mein Vater und ich beschlossen, nach Norden zu gehen. Meine Mutter war sehr traurig. Aber wir hatten keine andere Wahl.“

Doch in Mexiko erwartete die Männer kein besseres Leben, sondern eine Kata­strophe, erzählt Vater Arturo. „Es ist uns schlecht ergangen. Mein Bruder wurde ermordet, sein Sohn schwer verletzt, und fast hätten auch mein Sohn und ich nicht überlebt.“ Die Männer wurden überfallen und verschleppt. „Die Entführer haben uns eingesperrt“, erinnert sich Byron. „Sie fotografierten uns und schickten die Bilder an unsere Familien, um Geld zu erpressen. Eine Art Lösegeld für unsere Freilassung.“ Für die Angehörigen in den USA und in Guatemala war das ein Schock. Mutter Maria bekam einen Anruf von Verwandten in den USA: „So erfuhren wir, dass die vier entführt worden waren und wir ein Lösegeld zahlen sollten. Zwölftausend Dollar. Sie gaben uns 24 Stunden, um das Geld aufzubringen und ihre Leben zu retten.“ Derweil war der junge Byron den Kriminellen ausgeliefert: „Sie sagten, sie würden uns den Hals durchschneiden, wenn sie das Geld nicht bekämen.“

Bis heute ist die Mutter in El Escobal dankbar für die Solidarität ihrer Nachbarinnen und Nachbarn: „Gott segne all die Leute aus unserem Dorf, die uns geholfen haben. Sie standen Schlange, um uns Geld zu geben. Einige sind sogar auf ihren Motorrädern losgefahren, um Geld aufzutreiben, damit meine Familie überlebt.“ Es gelang nicht, das gesamte Lösegeld zu besorgen. Byrons Onkel wurde getötet. Byron erinnert sich an diese Tage wie an einen Albtraum. „Manchmal bekamen wir etwas zu essen. Irgendwann brachten sie uns nach draußen und sagten, sie würden uns in die USA bringen. Doch plötzlich wurden wir überrumpelt, und sie schnitten uns die Hälse auf. Wir konnten uns nicht wehren. Fast wären wir gestorben.“

Byron, sein Vater und sein Cousin waren schwer verletzt. Seinem Onkel hatten die Entführer so tief in den Hals geschnitten, dass er sofort starb. Die Überlebenden lagen blutend im Wald. Währenddessen wusste niemand in El Escobal, was geschehen war. „Mehrere Nächte lang warteten wir auf eine Nachricht, aber es kam keine“, sagt Maria. „Dann schickte uns jemand ein Foto von der Leiche meines Schwagers. Erst Tage später erfuhren wir, dass sein Junge schwer verletzt war. Mein Sohn und mein Mann waren noch länger verschwunden.“

Mit einem Finger zieht Byron eine Linie über seinem Hals nach. „Hier sieht man die Narbe. Sie haben die Haut vom einen Ohr zum anderen aufgeschnitten. Ich weiß nicht, was genau passiert ist. Mein Vater hat mich getragen und um Hilfe gebeten. Er hat alles getan, damit ich überlebe. Vier Tage lang war ich im Koma.“ Arturo Gonzales konnte seinen Sohn retten: „Gott sei Dank traf ich zwei mexikanische Polizisten, die uns in ein Krankenhaus brachten. Fünf Tage lang waren wir auf der Intensivstation. Ich dachte, ich würde sterben.“

Der Traum von einer besseren Zukunft in den USA war geplatzt. Einen Monat später kamen die beiden zurück nach El Escobal, obwohl Arturo Gonzales nicht weiß, wie er dort das Überleben seiner Familie sichern soll. Trotzdem war Maria glücklich: „Es war so eine große Freude, als mein Sohn und mein Mann zurückkamen. Dafür danken wir Gott. Es war, als wären sie wiedergeboren worden. Doch die Erfahrung der Entführung war furchtbar, traumatisierend. Ich weiß nicht wirklich, was mein Sohn alles erlitten hat. Auch danach gingen die Drohungen weiter. Die Mörder riefen hier an und sagten, sie würden uns alle töten. Wir hatten Lösegeld gezahlt und mein Schwager war tot, aber sie sagten, sie würden auch seine Frau und mich umbringen.“

Finanzielles Desaster

Für Arturo Gonzales war der misslungene Versuch, die USA zu erreichen, ein finanzielles Desaster: „Wir haben Schulden. Die Bank macht uns täglich Druck. Aber wir besitzen nichts mehr. Das Abenteuer, in die USA zu ziehen, um unsere Situation zu verbessern, hatte schlimme Folgen. Nichts hat sich verbessert.“

Das Elend ist groß. Was bleibt dem Familienvater in dieser Situation anderes übrig, als die Reise in die USA bald noch einmal zu versuchen? „Hier im Dorf verdienen wir nicht genug, um unsere Schulden tilgen zu können. Wenn wir uns nicht wieder auf den Weg machen, nehmen uns die Banken unser Haus weg. Wir schulden noch vierzigtausend Quetzales, fünftausend Euro. Für uns ist das eine unbezahlbare Summe.“

Durch die Pandemie sei alles noch schlimmer geworden. Wahrscheinlich wird Don Arturo es nicht mehr lange aushalten, bevor er erneut versuchen wird, in die USA zu gelangen – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. 

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