Bedenkliche Bilder

Welchen Standards folgt die „Standardtheologie“ von Körtner, Thomas und Frisch?
Foto: Asmus Henkel

Die kirchlichen Pläne zum Klimaschutz treffen immer wieder auf die Kritik von drei evangelischen Theologen, die auch auf zeitzeichen.net nachzulesen ist. Doch die Bilder und Formulierungen, die Ulrich H.J. Körtner, Günter Thomas und Ralf Frisch benutzten, seien bedenklich und stellten Fragen nach ihrer politischen Agenda, meint Constantin Gröhn, Theologischer Referent beim Kirchenkreis Hamburg-Ost.

Während der Weltkirchenrat im vergangenen Jahr so dringlich wie noch nie zuvor vor einem unbewohnbaren Planeten warnte, scheint es so, als ob einige evangelische Ethikprofessoren nicht die Erderwärmung, sondern die Klimabewegung und die „Gesetzlichkeit“ kirchlichen Klimaschutzes als Gefahr identifizieren würden. Nach dem EKD-Beschluss zum freiwilligen Tempolimit der Synode im November warnte Günter Thomas, Professor für Systematische Theologie, Ethik und Fundamentaltheologie an der Ruhr-Universität Bochum, in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT vor „moralischen Rasern“, welche Radikalisierung vorantreiben würden.

Zum Jahreswechsel meinte nun aber auch Ulrich H. J. Körtner, Professor für Systematische Theologie in Wien, eine „Tendenz zu einem sektenhaften Reinheits- und Heiligkeitsideal“ in der EKD zu erkennen. Genau wie Thomas sieht er einen linken Flügel der Reformation am Werk. Nach seinem selbst zitierten „zeitzeichen“-Artikel von 2019 würde sich diese „in der EKD und ihren Gliedkirchen sich breitmachende Sektenmentalität“ in Mustern äußern, die wir aus der Religionssoziologie kennen würden. Um dies zu belegen, greift der Professor auf die gut 100 Jahre alte Typologie des 1923 verstorbenen Theologen Ernst Troeltsch zurück. In einer staatskritischen Zurückhaltung gegenüber „Gewalt, Eid, Krieg, Blut und Todesstrafe“, aber auch gegenüber „Amt“ oder „Recht“ sieht Körtner das Pendant zu den heutigen Verlautbarungen kirchlicher Funktionsträger. Lässt man sich auf Körtners Rahmung und Prämisse ein, könnte man ihm zunächst entgegen halten, dass auch Troeltsch in seinem Konzept der elastisch gemachten Volkskirche explizit die Aufnahme von Elementen der Sekte und der Mystik befürwortet.[1]

Körtner aber meint nicht nur das Sektenhafte, sondern auch die Neigung zu „gesinnungsethischen Positionen“ – „von der Friedens- und Sicherheitspolitik über Migrations- und Flüchtlingspolitik bis hin zum Klimaschutz“ – auf dem Vormarsch durch die EKD zu beobachten.  Tatsächlich aber scheint mir der Fall genau umgekehrt zu sein. Während die EKD-Synode sich um verantwortungsethisches Handeln müht, mit differenzierten Klimaschutzplänen und damit einhergehenden vielfältigen Diskussionen, scheinen – wenn auch unterschiedlich stark – manche evangelischen Professoren der Fachgebiete Ethik und Dogmatik steuerungspolitisches Handeln, das auch Vorgaben beinhalten muss, eher als unevangelisch oder gesetzlich abzulehnen. Überhaupt finden sich in der derzeitigen evangelischen Ethik kaum umfassende Entwürfe, welche der Erderwärmung die Aufmerksamkeit widmen, die ihr politisch und gesellschaftlich zukommt. Detailfragen sogenannter Materialethik scheinen aus der Mode gekommen, dafür sieht man sich, so der Eindruck, in der Systematischen Theologie vor allem in der „Fundamentaltheologie“ zuhause.

Theologische Besserwisserei

In eher grundsätzlicher Manier bedenken Professoren wie Körtner oder Thomas das kirchliche Klimaschutzhandeln als gesinnungsethische Fehlentwicklung. Dabei scheinen in Körtners Beiträgen kulturkritische Ansichten mit einer Art theologischer Besserwisserei zu verschwimmen. Äußern tut sich dies etwa in negativ konnotierten Kampfbegriffen wie „Klimareligion“, welche als Sprachfigur – trotz aller anders lautenden Beteuerungen – naturwissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels, aber auch Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Ecke eines neumodischen Aberglaubens rückt. Kennzeichen ist aber auch ein Habitus, der genau zu wissen meint, was „reines“ und „lauteres“ Evangelium und was „gesetzlich“ sei. Kritisch äußerte sich dazu bereits Eberhard Pausch in seiner Replik „Wider die dogmatische Wahrheitsemphase“.  

Wenn Ulrich H. J. Körtner behauptet, dass die EKD sich „in den Fallstricken einer neuen Gesetzlichkeit“ verheddere, „die sich um Tempolimits für kirchliches Personal und Photovoltaik auf Kirchendächern drehe“ und dabei das „Evangelium“ mit einem „neuen Gesetz“ verwechseln würde, müsste er zunächst einmal aufzeigen, ob und wie hier steuerungspolitisches Handeln tatsächlich mit „Heilserwartung“ einhergeht. Ohne Argumentation und Belege bleibt diese These eine polemische Behauptung. Dass sich die kirchlichen Verantwortlichen der Vorläufigkeit ihres Handels durchaus bewusst sind, erscheint dagegen sehr viel naheliegender. Ausdruck findet dies auch ganz pragmatisch darin, dass Klimaschutzpläne, seien sie von der EKD, von den Landeskirchen, den Kirchenkreisen, einzelnen Einrichtungen oder Gemeinden, regelmäßig überprüft und nachgebessert werden. Die EKD-Klimaschutzrichtlinie bietet lediglich dafür einen Rahmen.

Schließlich ist es unsere gesellschaftliche Verantwortung, einen möglichst großen Teil der als wirkungsvoll identifizierten Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise (im Vorletzten unserer Wirklichkeit) umzusetzen, wie auch „zeitzeichen“-Redakteur Stephan Kosch herausstellte. Dabei sind wir nur eine von vielen Organisationen, die dieser vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Verpflichtung nachkommen müssen. Noch können wir angesichts der sich verschärfenden Krise den Weg zur Treibhausgasneutralität selbstbestimmt und damit auch glaubwürdig gehen.

Herausforderung evident

Der Beschluss zum Tempolimit ist daher auch nicht isoliert zu betrachten, sondern als ein ergänzendes Angebot und zugleich ein öffentliches Signal. Wenn ein Beschluss einzelne kirchliche Mitarbeitende in ihrer Freiheit zur Selbstbeschränkung bestärkt, indem sie mit einem frei gewählten Tempolimit aus eigenen Stücken tätig werden, ist dies auch ein Zeichen evangelischer Freiheit und Identität. Sie sind frei, sich diese Selbstverpflichtung aufzuerlegen. Die November-Synode der EKD erinnerte auf diese Weise in einem verantwortungsethischen Rahmen an die Glaubensdimension des eigenen Handelns.

Denn die Herausforderung ist evident: Wenn sich bereits bei 1,2 Grad Erderwärmung überall auf der Welt Brände und Überschwemmungen häufen, was geschieht bei zwei oder drei Grad? Wie wird die Welt dann aussehen? Untätigkeit kann hier nicht die Antwort sein und auch nicht Resignation. Ein allumfassendes Schlaraffenland auf Erden wird es nicht geben. Deswegen können auch und vor allem auf der lokalen Ebene Antworten gefunden und Maßnahmen umgesetzt werden. In der Corona-Krise lernten wir, wie wichtig konsequentes, regionales Handeln in globalen Krisen ist. Und daran anknüpfend, und hier ist eine theologische Diskussion notwendig. Es stellt sich die Frage, was Evangelium, Freiheit und Hoffnung in der Klimakrise bedeuten. Hoffnung jedenfalls entsteht auch durch Handeln, Hoffnung lässt sich erden.

Dass Professoren der evangelischen Theologie in populärwissenschaftlichen Artikeln immer wieder und oft pauschal und abwertend die Klimabewegung kritisieren, lässt sich aufgrund der Vielzahl der diesbezüglichen Veröffentlichungen ohne politische Agenda der Akteure m. E. kaum noch nachvollziehen. Die Bilder und Formulierungen, die hier zur Sprache kommen, sind bedenklich. So schreibt beispielsweise der evangelische Ethikprofessor Ralf Frisch von einer „neuheidnischen Naturreligion“, die ein „Feind“ des Christentums sei,[2] und die sich als Krankheitserreger und Virus „der genetischen Logistik seines Wirts bedient und diese umkonfiguriert, um diesen Wirt von innen heraus zu schädigen und sogar zu zerstören“. Das Pendant dieser Übertragung eines Krankheitserregers auf eine „Fremdreligion“ hat antisemitische Tradition und findet sich etwa in Hitlers Übertragung vom Pest-Bazillus auf das Judentum (vgl. dazu die Verse 41-54 des Auszugs).

"Feind des Lebens"

Sein Kollege Günter Thomas, dem Frisch in seiner jüngsten Buchveröffentlichung „Widerstand und Versuchung“ für dessen unermüdliche Inspiration dankt, bot in seinem auf zeitzeichen.net in drei zeitlich versetzten Teilen veröffentlichten Aufsatz „Jenseits von Eden und Blühwiesenromantik“ dafür eine Grundlage. Am Beispiel des Coronavirus würde sich zeigen: Gott sei zugunsten „heilvoll gelingenden Lebens“ ein „Feind manchen biologischen Lebens“. Diesen Beitrag bestärkten und verteidigten sowohl Ralf Frisch als auch Ulrich H. J. Körtner. Bereits wenige Monate zuvor fand sich die Bewertung von wertvollem und weniger wertvollem Leben ebenso in einem Beitrag mit dem assoziationsreichen Titel „Vom Mut zur Wut“: „Ist Gott ein Freund des Lebens? Hoffentlich nicht! Wer so denkt, macht ihn zum Dämon. Gott ist auch ein Feind des Lebens – des bedrohenden und chaotischen, als Nacht und Zerstörung hereinbrechenden Lebens.“ Und auch dort wurde nicht auf den Euthanasieerlass verwiesen und darauf, wie in der NS-Ideologie der Wert eines Lebens von dessen vermeintlichem Wert für die nationale Gesellschaft abhing. Das mag im Einzelfall nicht weiter auffallen, aber wenn sich immer wieder solche Sätze finden lassen, die mehrdeutig interpretierbar sind und in anderen Kontexten auf bedenkliche Weise fortentwickelt werden könnten, wirft dies schon die Frage auf: Aus welchen Quellen speisen sich diese theologischen Denkfiguren? Belege jedenfalls finden sich äußerst selten. Bestimmte Standards in der sogenannten Standardtheologie scheinen nicht mehr etabliert.

Günter Thomas, Ralf Frisch oder auch Ulrich H. J. Körtner sprechen nicht nur von der „Letzte[n] Generation“ als „endzeitlicher Sekte“ oder von „Klimaapokalyptikerinnen und Klimaapokalyptikern, die nicht aggressiv für Zwangssterilisation oder für den Suizid der Spezies plädieren“ (ich selbst musste diesen Satz auch mehrfach lesen),[3] sondern auch von der „sich in der EKD und ihren Landeskirchen breitmachenden Sektenmentalität“. Dabei sehen sie diese nicht nur religionssoziologisch gegeben, sondern spielen auch auf dogmatische (und absolute?) Rechtgläubigkeit an, als deren Hüter sie sich zu sehen scheinen. Bei Günter Thomas oder Ralf Frisch ist von „Versuchungen“ die Rede, von „ethischen Häresien“, von einem „Bonhoeffer-Nietzscheanischem Überchristentum“, von „Irrglaube“ und „Irrwegen“. Einer „neuheidnischen“ Gesetzesreligion, so mein Eindruck, will man das strahlende Licht des Evangeliums entgegenhalten. In der üblichen Fokussierung auf Abgrenzung zeigt sich aber auch eine entscheidende Schwäche dieser evangelischen Ökokritiken: sie erklären das, was ihnen bedeutsam ist, zu wenig aus sich selbst heraus. Der Konsens findet sich im Dagegensein, und es wirkt so, als bräuchte man erst diesen vermeintlich dunklen Hintergrund, um das Licht Christi leuchten zu lassen. Wo aber die Liebe fehlt, ist auch Theologie meist nur ein tönendes Erz oder schepperndes Blech. 

Wer sich von der neuen Klimareligion distanziert, trennt sich vom Heil“, schreibt Ulrich H. J. Körtner in seinem jüngsten Beitrag auf Zeitzeichen.net. Dabei wirkt die offensichtliche Anspielung auf Dietrich Bonhoeffers „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche trennt, trennt sich vom Heil“ wie die fragwürdige Ironisierung eines Satzes, mit dem Bonhoeffer in ganz anderen Zeiten die Grenze zur totalitären Ideologie des Nationalsozialismus‘ ziehen musste.[4] Es ist zudem nicht das erste Mal, dass der Wiener Professor das problematische Bild der „Klimareligion“ aufnahm. Erinnert sei an seine Aussagen von 2020, mit denen er Ralf Frischs Rede von „Klimahysterie“ und „Klimahäresie“ gerade rücken wollte: „An der Bewegung ‚Fridays for Future‘ fällt wiederum ihre Wissenschaftsgläubigkeit auf“.

Zeitliche Nähe

Bei Körtner aber wurde der Begriff „Klimareligion“ in seinem letzten Beitrag auch noch angereichert mit dem Sprachbild der Sekte. Und dieses Sprachbild wiederum erinnert mich auch an die Kampfschriften gegen die Weimarer Republik. „Es gibt nur Ein Reich, wie es nur Eine Kirche gibt. Was sonst diesen Namen beansprucht, das ist Staat, oder das ist Gemeinde oder Sekte“ zitierte der Historiker Volker Weiß den deutschen Kulturhistoriker Arthur Moeller van den Bruck.[5] In den christlichen Kreisen der „Konservativen Revolutionäre“ war solche geschichtstheologische Lesart der Weimarer Zeit populär. Die Bezugnahmen Körtners auf Ernst Troeltsch und die spätere Zitierung von Carl Schmitts Definition des Ausnahmezustands von 1922 als „phänomenologische“ Grundierung, um die EKD auf dem Weg zur Sekte darzustellen, sind zumindest auch zeitlich nah bei an dem Zitat von Moeller van den Bruck und dessen Buch „Das Dritte Reich“.

Der bis zum Sommer 2022 Beauftragte für interreligiösen Dialog der Bayerischen Landeskirche Dr. Rainer Oechslen hatte 2018 in einer kritischen Auseinandersetzung zu Ralf Frischs Islam-Polemik darauf hingewiesen, dass sich dogmatische Wahrheit nicht von den gewaltvollen Ereignissen christlicher Kirchengeschichte trennen ließe. Ethische Anliegen daher als moralisierend zu diffamieren und sich dabei geschichtlich bedenklicher Motive zu bedienen, ist eine äußerst fragwürdige theologische Entwicklung. Denn – anders als von Körtner zuletzt behauptet – verkündigte Jesus eben nicht nur die anbrechende Gottesherrschaft, sondern auch Moral.

So halte ich es in der uns kirchlich berührenden Angelegenheit „Klimaschutz und Protest“ auch lieber mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, auch wenn er das Evangelium – wenn überhaupt – mit seinem um Versöhnlichkeit bemühten Gestus nur sehr indirekt aufscheinen ließ. In seiner Weihnachtsansprache wünschte er sich, „dass die Älteren auch spät im Leben noch einmal bereit sind, sich zu verändern. Und dass die Jüngeren sich engagieren, dass sie kritisch sind – ohne der Sache des Klimaschutzes zu schaden, indem sie andere gegen sich aufbringen. Wir brauchen doch beides: den Ehrgeiz der Jungen und die Erfahrung der Alten. Denn wir alle haben doch ein gemeinsames Ziel: dass die Jüngeren nicht die ‚letzte Generation‘ sind, sondern die erste Generation einer klimafreundlichen Welt.“

 

[1] Vgl. Kristian Fechtner, Volkskirche im neuzeitlichen Christentum. Die Bedeutung Ernst Troeltschs für eine künftige praktisch-theologische Theorie der Kirche, Gütersloh 1995.

[2] Vgl. Ralf Frisch, Widerstand und Versuchung. Als Bonhoeffers Theologie die Fassung verlor, Erlangen 2022, S. 82.

[3] Ralf Frisch, Eschatologische Existenz heute. Grundzüge eines evangelischen Gegenprogramms zur moralistischen Apokalyptik des Anthropozäns, in: theologische beiträge 53. Jg. (2022), 297-312, S. 308.

[4] DBW 14, S. 676.

[5] Zitiert nach Volker Weiß, Die autoritäre Revolte. Die NEUE RECHTE und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017, S. 189.

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Foto: Asmus Henkel

Constantin Gröhn

Constantin Gröhn (geboren 1976) ist theologischer Referent für Diakonie und Bildung in Hamburg. Er versucht dem Motto Ludwig Feuerbachs „Du bist, was Du isst“, immer mal wieder auf die Spur zu kommen.


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