„Von der Amtskirche im Stich gelassen“
zeitzeichen: Frau Senne, wie ist die Stimmung in Lützerath kurz vor der angekündigten Räumung?
CORNELIA SENNE: Im Moment ruhig, noch gibt es keine Anzeichen, dass die Polizei aktiv wird. Angekündigt ist die Räumung ja auch erst frühestens für Mittwoch. Unter dieser Ruhe gibt es bei uns Aktivista aber eine Anspannung, eine Mischung aus Angst und Trauer.
Wovor haben Sie Angst?
CORNELIA SENNE: Davor, dass es hier bei der Räumung sehr heftig zugehen wird und Menschen zu Schaden kommen. Aber auch vor der Zerstörung. Viele, die hier sind, verbinden zahlreiche Erinnerungen an diesen Ort. Es macht traurig zu sehen, welche Energie aufgewendet wird, um ihn zu zerstören.
Der zwischen der Landesregierung in NRW und dem Energiekonzern RWE gefundene Kompromiss sieht allerdings vor, dass noch dieses eine, von der Bevölkerung mittlerweile verlassene Dorf, zerstört wird, aber fünf Dörfer stehen bleiben, die ursprünglich auch dem Bagger zum Opfer fallen sollten. Zudem wird der Kohleausstieg um acht Jahre vorgezogen. Warum reicht ihnen das nicht?
CORNELIA SENNE: Weil es weniger darum geht, in wieviel Jahren wir aussteigen. Die entscheidende Frage ist doch, wieviel CO2 noch in die Atmosphäre kommt. Und wenn ich sage, dass ich früher aufhöre mit der Kohleverstromung, dafür in der verbleibenden Zeit aber mehr CO2 ausstoße, bringt das am Ende nichts. Dazu gibt es ja entsprechende Studien. Aber die wurden nicht berücksichtigt. Der Kompromiss ist ein Geschenk an RWE.
Sie sind Christin. Liegt darin auch die Motivation zum Widerstand gegen die Räumung?
CORNELIA SENNE: Ja. Die Folgen der Kohleverstromung kennen wir alle, hier sind sie deutlich zu sehen. Es ist eine brachiale Form der Zerstörung. Dabei bedeutet Bewahrung der Schöpfung doch auch Bewahrung des Lebens. Allen auf der Welt ist ein gutes Leben in Fülle verheißen. Dafür müssen wie diese Zerstörung stoppen. Das säkulare Wort dafür ist Klimagerechtigkeit, die gilt auch für die junge Generation. Wir stehen hier Seite an Seite mit den jungen Aktivista und sehen unsere Aufgabe auch darin, sie vor Gewalt zu schützen. Auch deshalb gehe ich mit ihnen in die Räumung.
Wie sehen sie die Rolle der Kirchen in diesem Konflikt?
CORNELIA SENNE: Die evangelische Kirche hat das Thema immerhin auf die Agenda, die rheinische Landeskirche hat unseren Kreuzweg der Schöpfung von Gorleben nach Garzweiler unterstützt. Vor Ort sind allerdings keine Vertreter der Amtskirche zu sehen, keine Pastor*innen, die Seelsorge oder Gottesdienste anbieten. Die feiern wir dennoch in weiter Ökumene, organisiert von einem Team aus Laien in einer kleinen Kapelle am Ortsrand, die völlig überwuchert war und die wir freigelegt haben. Offiziell gehört sie sogar noch der katholischen Kirche. Aber die hat die Nutzungsrechte RWE übertragen, so wie sie auch ohne Not drei Kirchen in diesem Gebiet an RWE verkauft und auf einen Schlag entwidmet hat. Einfach so, ohne Gottesdienst. Das war sehr enttäuschend.
Würden Sie sich ein stärkeres amtskirchliches Engagement bei den Protesten wünschen?
CORNELIA SENNE: Die Menschen hier fühlen sich von der Amtskirche im Stich gelassen. Aber Religion gehört sowieso in die Hände der Menschen, insofern ist religiöses Spezialistentum nicht wirklich notwendig. Doch ich wünsche mir, dass Kirchenvertreter ihren Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung ernst nehmen und an der Absperrung stehen, wenn die Räumung beginnt. Sie sollten den Mund aufmachen und dort laut rufen: Das ist falsch!
Das Interview führte Stephan Kosch am 9. Januar via Telefon.
Cornelia Senne
Cornelia Senne ist evangelische Theologin und Aktivistin bei „Die Kirche(n) im Dorf“ lassen.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".