Klimaschutz später?
Seit der Tagung der EKD-Synode im November wird heftig um den Umgang mit der „Letzten Generation“ und der Sinnhaftigkeit eines kirchlichen Tempolimits gestritten. Dabei geht es aber weniger um Klimaschutz als um kirchliche Grundsatzfragen, meint zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch. Über diese sollte man streiten – doch darüber die anstehenden Aufgaben beim kirchlichen Klimaschutz nicht vergessen.
Zum Anfang ein Transparenzhinweis: Der Autor dieser Zeilen hat den inhaltlichen Schwerpunkt des jüngsten EKD-Synodaltreffen im November mit vorbreitet und moderiert – und ist auch deshalb nicht glücklich über das, was von dem theologischen Deep-Dive als auch den vielen praktischen Impulsen zu Kirche und Klimaschutz in der inner- und außerkirchlichen Wahrnehmung übrigblieb: Die Diskussionen über den Umgang mit der „Letzten Generation“ und über das „kirchliche Tempolimit“. In beiden Debatten scheinen jedoch Fragen des Klimaschutzes mit den sehr grundsätzlichen des kirchlichen Selbstverständnisses so fest miteinander verklebt wie die Hände der „Letzten Generation“ mit dem Asphalt. Das führt auch in diesem Falle zu Erregung, dient aber nicht unbedingt der jeweiligen Sache. Deshalb hier ein Lösungsversuch im wörtlichen Sinne, damit sowohl die Möglichkeiten des Klimaschutzes durch die Kirche als auch die Frage ihrer Positionierung in der Gesellschaft und im Leben jedes Christenmenschen angemessen besprochen werden können.
Ein Teil der Debatte entzündet sich an dem Auftritt von Aimée von Baalen vor der Synode. Die Vertreterin der „Letzten Generation“ kam auf Einladung des Präsidiums nach Magdeburg, um in einem Statement die umstrittene Protestbewegung zu verteidigen und um die Unterstützung der evangelischen Kirche zu bitten. Etwa die Hälfte der Synodalen signalisierte diese mit stehenden Ovationen nach dem Statement, andere hatten den Raum verlassen oder blieben sitzen. Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich zeigte hingegen deutlich Nähe und sagte etwa in der Pressekonferenz nach der Veranstaltung, dass Straßenblockaden „ein legitimes Mittel des zivilen Widerstandes von Klimaaktivisten“ seien. Das war eine Steilvorlage für diejenigen, die der EKD generell eine viel zu große Nähe zu rot-grüner Politik vorwerfen, so etwa der evangelische Arbeitskreis der CDU in Nordrhein-Westfalen, der „die Unterstützung gewaltbereiter Aktivisten in einem demokratischen Gemeinwesen“ in einer Erklärung als „friedensfeindlich und brandgefährlich“ brandmarkte.
Während nun die einen darüber diskutierten, ob Straßenblockaden wirklich Gewalt seien oder nicht, verwies Ulrich Körtner, Professor für Systematische Theologie in Wien und steter Kritiker der EKD und ihrer Vertreter in einem Beitrag auf zeitzeichen.net zurecht explizit daraufhin , dass hinter dieser Debatte die Frage nach dem (zukünftigen) Selbstverständnis von Kirche steht. „Manche Synodale scheinen in dieser Solidarisierungsaktion auch den Aufbruch ihrer Kirche in eine lichte Zukunft gesehen zu haben“, schreibt Körtner und verweist auf das kirchliche Engagement in der Seenotrettung für Geflüchtete und die „zwölf Leitsätze“ der EKD zur Zukunft der Kirche aus dem Sommer 2021. In denen heißt es, es werde auch „immer wichtiger, nach geeigneten Partnern aus der Zivilgesellschaft Ausschau zu halten und Themenkoalitionen einzugehen“.
"Irdische Vernunft"
Für Körtner und andere Kritiker dieses Kurses ist das ein Irrweg, der auch aus einem theologischen Vakuum heraus beschritten wird. Für andere hingegen, die die Zukunft der Kirche weniger in einer staatsnahen und ihn mittragenden Rolle, sondern in der einer NGO sehen, ist das hingegen der angemessene Weg in eine nahe Zukunft, in der Kirche eben nur eine von vielen Stimmen ist. Und die sollte sie weniger für die Mächtigen als für die Machtlosen erheben. Zur Durchsetzung ihrer Ziele dürfte sie dabei mehr als heute auf Verbündete angewiesen sein.
Dieser Richtungsstreit ist wichtig, er sollte offen geführt werden, gerne auch auf einer der nächsten EKD-Synodaltagungen. Aber er hat nur wenig mit der Frage zu tun, wie die Kirchengemeinden und Landeskirchen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Denn das, so Eberhard Pausch, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Frankfurt, in seiner Reaktion auf Körtner, sei „eine Forderung rein irdischer Vernunft, sie hat mit Religion und mit Christentum zunächst einmal gar nichts zu tun“. Mit Luthers klassischer Unterscheidung gesagt, handele es sich um eine Aufgabe des „weltlichen Regiments“, wobei dieses bereits nach Auffassung der Barmer Theologischen Erklärung nicht nur die „Regierenden“ umfasst, sondern auch die „Regierten“ (These V). „In einer Demokratie sind erst recht ‚wir alle‘ ständig (und nicht nur an Wahltagen) verantwortlich für die Entwicklung, die unsere Gesellschaft nimmt.“
In diesem Sinne, wenn auch an die Schöpfungstheologie angebunden, fasste die Synode den Beschluss, der ebenfalls für heftige Reaktionen sorgte. „Um dem Auftrag der Kirche für die Bewahrung der Schöpfung gerecht zu werden, hält es die Synode für geboten, bei allen PKW-Fahrten im kirchlichen Kontext ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen einzuhalten, um Treibhausgas-Emissionen spürbar zu reduzieren. Sie bittet das Kirchenamt, eine öffentlichkeitswirksame Kampagne für eine entsprechende Selbstverpflichtung zu initiieren.“
Schwierige Selbstverpflichtung
Daraus wurde in der öffentlichen Debatte ein „kirchliches Tempolimit“, was prompt als Zeichen für hypermoralisches Auftreten und „neuer Gesetzlichkeit“ (Ulrich Körtner) statt des Lebens in der Gnade Gottes gewertet wurde. Entsprechend schwer taten sich dann auch nicht nur Pfarrer*innen in ländlichen Regionen mit weiten Wegen und vielen Terminen dieser Ankündigung, nachzulesen auf vielen Social-Media-Accounts. Auch der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl kritisierte den Beschluss. In einem Interview mit der FAZ erklärte er, dass er sich nicht an das vorgeschlagene Tempolimit halte. „Diese Selbstverpflichtung war nicht sinnvoll", so der Landesbischof. „Solche Vorschriften sind nicht die Aufgabe der Kirche.“ Die Kirche dürfe nicht in erster Linie als Moralinstitution wahrgenommen werden, die bevormundet. „Da reagieren die Menschen zunehmend allergisch“, unterstrich Gohl.
Auch die badische Landesbischöfin Heike Springhart war in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen auf Distanz zu dem Beschluss gegangen und hatte gesagt, dass ein Limit bei 120 oder 130 Kilometern pro Stunde wissenschaftlich deutlich sinnvoller sei als 100 Kilometer pro Stunde, um die Emissionen zu senken. Springhart korrigierte diese Aussage später unter Bezug auf Berechnungen des Umweltbundesamtes, wonach der Emissionsgehalt sinke, je niedriger die Geschwindigkeit sei. Allerdings könne vermutet werden, dass die Akzeptanz eines freiwilligen Tempolimits von 120 oder 130 Stundenkilometer deutlich höher wäre als bei einem Tempolimit von 100 Stundenkilometern. In Summe könne daher die reale CO2-Einsparung bei 120 bis 130 Kilometern pro Stunde höher ausfallen als bei anvisierten 100 Kilometern pro Stunde.
Dabei ging dem Beschluss auf der Synode ja bereits eine Debatte um die Frage voraus, wie „moralisch“ die evangelische Kirche in der Öffentlichkeit auftreten soll. Im ursprünglichen Antrag war noch ein allgemeines Tempolimit von 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen gefordert worden, unter anderem die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus setzte sich stattdessen für eine Selbstverpflichtung ein. Konsequent handeln also und das selber tun, was man von anderen wünscht – eigentlich kein unchristlicher Gedanke, der aber hier nicht verfing. Denn wieder wurde aus der Debatte um Klimaschutz eine über die Rolle der Kirche. Führt der Versuch, zeugnishaft zu leben zurück in vorreformatorische Werkgerechtigkeit? Ist die mahnende prophetische Rede an die Mächtigen noch möglich? Oder muss eine kleiner werdende Kirche entsprechend leiser und demütiger auftreten? Und was bedeutet eigentlich ein Beschluss der EKD-Synode für die Lebensführung eines evangelischen Christenmenschen und seine Freiheit? Wichtige Fragen. Doch müssen sie erst beantwortet werden, bevor konkret anstehende Aufgaben des Klimaschutzes angegangen werden? Klimaschutz später?
Richtlinie umsetzen
Dafür ist keine Zeit, wenn man die Warnung der Klimawissenschaftler und die eigene Klimarichtline ernst nimmt. Die wurde zwar leider nicht durch die Synode beschlossen, aber von ihr initiiert und nachgeschärft. Möglichst bis 2035 klimaneutral werden, bis dahin mindestens 90 Prozent weniger C02 ausstoßen. Ein anspruchsvoller Plan, der im Vergleich zu den genannten Themen viel zu wenig mediale Aufmerksamkeit bekommen hat. Jedes Jahr müssen die Emissionen jeder Landeskirche von nun an im Schnitt um 7,5 Prozent sinken. Ein entsprechendes Gesetz hat die westfälische Landeskirche auf ihrer Synodaltagung beschlossen, die bayerische Landeskirche will es im kommenden Jahr vorlegen, in anderen Landeskirchen gibt es bereits entsprechende Gesetze.
Was das für die einzelnen Kirchengemeinden bedeutet, für Bauprojekte, für den Einkauf, die Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz wegen möglicher Solaranlagen auf den Kirchendächern und natürlich, wie das alles finanziert werden soll, das sind Fragen, die schnell beantwortet werden müssen. Doch das ist auch möglich, ohne sich über den Umgang mit der Letzten Generation oder mit dem Gaspedal auf Dienstfahrten zu einigen.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".