Aus der Tiefe der Stille

Die Neuentdeckung des Künstlers Josua Boesch 100 Jahre nach seiner Geburt
Josua Boesch, Leeres Kreuz (1974)
Foto: Förderverein Josua Boesch
Josua Boesch, Leeres Kreuz (1974)

Josua Boesch und sein Werk sind  in diesem zu Ende gehenden Jahr anlässlich seines 100. Geburtstags erneut an die Öffentlichkeit getreten. Während er in den 1980er-Jahren mit seinen Werken in der Schweiz bei spirituell Suchenden eine Resonanz fand, war er in Deutschland und Österreich bisher nur ein Geheimtipp. Gelernter Gold- und Silberschmied, nach dem Theologiestudium reformierter Pfarrer, entschied es sich im Alter von  57 Jahren, Familie und Pfarramt zu verlassen um im katholischen Eremitenkloster Camaldoli in Italien ein Leben in der Stille zu führen. Schon vorher hatte er neben dem Pfarrhaus eine Werkstatt eingerichtet, um "den Pfarrer mit dem Künstler zu verbinden", wie er es ausdrückte. Er litt unter der "alten Welt", auch des bisherigen Christentums. Und träumte von einer "neuen", einer zutiefst biblisch-jesuanischen. Mit seinem Rückzug in die Stille zog er auch aus alten Denk- und Erlebensmustern aus, suchte und fand neue.

Ein zentrales Motiv seiner Werke geht auf das "Leere Kreuz" zurück: Inspiriert vom Damianskreuz in Assisi, von dem ein lebendiger statt ein toter Jesu den Betrachter anschaut, fiel im dieser Jesus, als er ihn aus dieser Kreuzform in einer Messingplatte sorgfältig heraussägte, am Schluss durch das Kreuz hindurch – und Josua sozusagen mit ihm. Ein Schlüsselerlebnis für Boesch, wie er in seinem Tagebuch Morgendämmerung, Tagebuch einer Wandlung beschreibt: "Geheimnis der Leere. Man beginnt wieder zu atmen. Alles ist wieder offen. Der Wind bläst hindurch. Ein heiliger Wind. Man spürt die Frische wie Morgenluft. Beginnt es zu dämmern? Beginnt ein Neues? Ein neues Denken – ein neues Begegnen?"

Aufrechter Mensch

Der Auferstandene mit erhobenen Armen war für Boesch nach diesem "Durchbruch" auch der Prototyp des aufrechten Menschen. Immer wieder taucht diese Figur aus seinem frühen Werk danach zentral in seinen weiteren Ikonen auf. Mit den ihm eigenen Möglichkeiten des Goldschmids fand Josua Boesch im Laufe der Jahre zu einer sehr eigenen, auch neuen Gestalt christlicher Ikonografie. Meist verwendete er dabei – in untypischer Weise – neben den beiden sogenannten edlen Metallen Gold und Silber auch zwei "unedle": Kupfer und Messing. Eine tief symbolische, für ihn auch theologische Verbindung, wenn das Göttliche (Gold) das Irdische (Kupfer, Messing und Silber) berührt. Inspiriert von der jüdischen Kabbalah und von C.G. Jung sind Zahlenproportionen und archaische Formen wie Kreis, Schale, Dreieck und Viereck, und vor allem die Parabel (die vom Göttlichen her alles Menschliche unterfasst und hält) zentrale Elemente seiner Bild-Gestaltungen.Ein Mönch aus Athos ermunterte ihn, seine Ikonen nicht mehr als "westliche", sondern als "archaische Ikonen" zu bezeichnen. Boesch liess sich von den materiellen Qualitäten der Metalle und der Symbolik der Formen leiten, und was er im Entstehungsprozess seiner Ikonen selber – oft überraschend – entdeckte. Der wahre Künstler war für ihn das Feuer, wenn er am Schluss die Metallteile miteinander verlöte: "Ich kreiere nur die Grundformen, das Übrige überlasse ich dem Feuer." Auf den golden aufleuchtenden Messinghintergründen hat das Feuer Spuren hinterlassen, rußige Schatten, ohne die diese Ikonen nicht "ganz" wären.

Viele Ikonen und Texte von Josua Boesch sind langsam in der Tiefe der Stille gewachsen. Auch unter Schmerzen, in Auseinandersetzung mit eigenen Themen und Altlasten, etwa seinen männlichen und weiblichen Anteilen, die er in einer konfliktreichen Spannung erlebte. Oder auch mit dem "Abel" in sich (als Hochsensibler erlebte er sich oft als Unterlegener, gar Opfer), der jedoch alsdann auch seinen "Kain-Schatten" entdeckte und sich mit ihm auseinandersetzte. Daraus entstand etwa sein Triptychon "Versöhnung von Kain und Abel", das heute im Gemeindesaal von Marzabotto hängt, der italienischen Stadt, die 1944 das schlimmste Massaker der deutschen Armee in Italien erlebte. Einige Jahre später entstand seine Friedensikone, in der Jesus den Verräter und Selbstmörder Judas aus dem Abgrund herausholt – im Anklang an die ostkirchliche Ikone der Höllenfahrt Christi als Beginn der Auferstehung, wie wir es im apostolischen Glaubensbekenntnis mit dem "hinabgestiegen in das Reich des Todes" kennen: "Aufersteht uns jetzt Judas, weil wir ihn 2000 Jahre verdrängten? War er nicht einer, der seine Identität kannte, und wusste, was er wollte? Nur Jesus schien seine Identität nicht eindeutig zu kennen … Und wir? Wo stehen denn wir, nachdem ER auch unsere Träume seit Konstantin nicht erfüllte? Wir wussten doch auch genau, was wir wollten: Ein corpus christianum. Die christliche Welt. An christlicher Identität war kein Zweifel. Aber war es das, was ER wollte? Identität oder Ikone, das ist die Frage. Genau umrissenes Bild – klar fixierte Idee – Ideologie. Oder offenes Inbild – ähnlich werdendes Abbild – gemeinsamer Weg …"

Präsenz im Heute Gottes

Nebst zahlreichen Ikonen hat Boesch auch neue Sprachgestaltungen geschöpft – dem Evangelium in der Stille sozusagen neue Inhalte abgespürt. Einmal als (origineller, obschon originaler) Übersetzer der Psalmen und des Johannesevangeliums in die eigene Mundart (also in die eigene Muttersprache und damit nahe in sich hineinlassend), aber auch mit poetischen Texten und Wortschöpfungen wie etwa dem genialen Wort auferstehungsleicht (so der Titel der ikonografischen Biografie von Josua Boesch des katholischen Theologen Simon Peng-Keller, ebenfalls 2022 neu erschienen).

 

Die Resonanz auf die Projekte anlässlich seines 100. Geburtstags zeigen, dass sein Werk auch nach 40  Jahren keine Patina angesetzt hat. Die Mystik, der sich Boesch verwandt fühlte, scheint für das Christentum im 21. Jahrhundert tatsächlich ein Schlüssel zu sein, wie dies Karl Rahner vor über 50 Jahren voraussagte. "Inspiration und Kraft aus der Tiefe", nennt dies etwa der in Genfer Sozialethiker Christoph Stückelberger, einer der Autoren des Sammelbands mit neuen Texten, die sich aus vielfältiger Perspektive von Boech’s Werk inspirieren lassen. Unter dem Titel Präsenz im Heute Gottes gehen 13 Autorinnen und Autoren aus evangelischer, katholischer und ostkirchlicher Perspektive Boeschs Weg in die Stille nach. In theologischen, psychologischen, aber auch persönlichen Beiträgen nehmen sie seine Impulse für eine heutige Spiritualität in den Blick.

Der Band ist im Theologischen Verlag Zürich erschienen, dem Verlag der evangelisch-reformierten Zürcher Kirche, in welcher Boesch Pfarrer war. Ebenfalls neu erschienen sind drei Bücher Boeschs.  Zum Auferstehungsweg via ressurrectionis entstand 2022 ein großes Oratorium, sowie der  Dokumentarfilm Ein Mensch der Dämmerung, und eine Reihe weiterer Materialien, die sich auch für die Gemeindearbeit eignen. www.josuaboesch.ch    
 

Literatur

Josua Boesch,  via ressurrectionis. Im Heute Gottes leben. Auferstehungsweg von Josua Boesch; Leseprobe

Josua Boesch,  arte contemplativa. Heilkraft aus dem Schauen. Bilder und Texte von Josua Boesch; Leseprobe

Josua Boesch,  Johannesevangelium züritüütsch, aus dem Griechischen übertragen; Leseprobe

Simon Peng-Keller, auferstehungsleicht. Der ikonografische Weg von Josua Boesch; Leseprobe

Samuel Jakob (Hg.), Präsenz im Heute Gottes. Impulse für eine Spiritualität auf den Spuren von Josua Boesch». Sammelband mit neuen Beiträgen von 13 AutorInnen verschiedener Konfessionen. Diese beleuchten verschiedene Aspekte von Josua Boesch’s Werk und seiner Mystik im Hinblick auf eine Spiritualität für unsere Zeit. Leseprobe

 

                                                                                                        

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Foto: Förderverein Josua Boesch

Samuel Jakob

Dr. phil.  Samuel Jakob ist Psychologe und Vizepräsident des Fördervereins Josua Boesch. Er lebt in Gontenschwil in der Schweiz.


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