Wie kaum ein anderer deutschsprachiger Theologe aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat der 2015 verstorbene Hamburger Systematiker Traugott Koch für einen rationalen Glauben und die Einsicht in die Gottbezogenheit eines jeden bewussten Lebens geworben. Die Aufgabe von Theologie und Kirche sah er darin, dieser Einsicht durch ein Verstehen des Glaubens sowie seiner Zugehörigkeit zum menschlichen Leben zum Zuge zu verhelfen und das allseitige Gespräch über die je eigenen Erfahrungen eines Lebens mit Gott zu befördern. Vielen ist das 1989 von Traugott Koch publizierte Buch Mit Gott leben, in dem er auf allgemeinverständliche Weise überzeugende Argumente für die befreiende Gegenwart Gottes in einem jeden selbstbewussten Leben entwickelt, zu einem wichtigen Wegbegleiter geworden.
Für alle, die das Konzept dieser existentiell-seelsorglichen, den Glauben radikal ins Leben eines jeden Menschen ziehenden Theologie noch besser verstehen und in seinen kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen erfassen wollen, hat jetzt Karl Tetzlaff, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Hallenser Universität, einen umfänglichen Band vorgelegt. Er versammelt wichtige Aufsätze Kochs von den 1960er-Jahren bis in die 2000er-Jahre.
Es tritt in diesen Aufsätzen hervor, wie sehr Kochs existentiell-seelsorgliche Theologie von einer kritischen Überbietung der neuzeitlichen Religionskritik angetrieben wird. Argumentiert die Kritik der Religion damit, dass diese den Menschen letztlich entmündige, indem sie ihn der Autorität und dem Willen Gottes unterstelle und von diesem die Lösung der Probleme erwarte, die er doch nur selbst bewerkstelligen könne, so gesteht Koch dieser Kritik ihr volles Recht zu. Die Religion des Menschen steht nämlich für ihn nicht gegen dessen Freiheit und Selbstbestimmung. Im Gegenteil, in der selbstbewussten Beziehung zu Gott als dem Sinn von allem findet der Mensch in ein selbstgewisses und zielorientiertes Leben.
Zu glauben bedeutet gerade nicht, sich gehorsam unter den Zuspruch und Anspruch des Wortes Gottes zu stellen, sondern in die Einsicht zu finden, dass die von uns selbst vollzogene Gründung unserer Freiheit in Gott uns zur Verwirklichung unserer besten Möglichkeiten verhilft. Dass das so ist, kann freilich jeder nur aus eigener Erfahrung und als seine persönliche Überzeugung dartun. Wovon ein Mensch persönlich überzeugt ist, das aber wird er auch anderen gegenüber auf überzeugende Weise zur Sprache bringen wollen.
Denn: Wovon ich wahrhaftig überzeugt bin, das ist für mich die Wahrheit. Eine Wahrheit bloß für mich kann es jedoch nicht geben. Was für mich wahr ist, muss für alle Menschen wahr sein. Dass Gott im Leben aller Menschen als der Grund von Daseinszuversicht und Sinngewissheit präsent ist, auch wenn sie ihn nicht bei seinem Namen nennen, das, so Koch, hat die Theologie argumentativ stark zu machen. Nicht soll sie mit dogmatischen Behauptungen und kirchlichen Bekenntnisaussagen operieren. Auch die Theologie hat keine andere Basis als die persönliche Überzeugung derer, die für sie sprechen. Sie kann jedoch dazu verhelfen, die eigene Wahrheitsgewissheit anderen auf nachvollziehbare Weise zu kommunizieren.
Dann werden auch die kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen sichtbar. Eine dieser Konsequenzen sei noch erwähnt: Aus der Perspektive religiös fundierter, auf das Göttliche in jedem Menschen setzender Selbstbestimmung ergibt sich die allgemeine Forderung nach der jedem Menschen zuzuerkennenden Unantastbarkeit seiner Menschenwürde, nach einer universalen Geltung der Menschenrechte sowie schließlich nach einem religiös-weltanschaulich neutralen Rechtsstaat, der den Menschenrechten zur Durchsetzung verhilft.
Wilhelm Gräb
Wilhelm Gräb ist Professor für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.