Zeichen deuten

Philosophische Reise

Sie trägt knielange Röcke, Blusen aus Seide, feste Halbschuhe, Strümpfe. Elizabeth Finch, Titelfigur des neuen Romans von Julian Barnes, ist Geisteswissenschaftlerin und Dozentin. „Monotheismus, Monogamie, Monomanie, monoton, was so anfängt, kann nichts Gutes sein“, wird sie von Neil, einem ehemaligen Schauspieler und Drehbuchautor zitiert, der einen Abendkurs bei ihr belegt. Er nimmt in diesem Text die Position des Erzählers ein und ersinnt das Bild von EF, wie sie ihre Studierenden nennen. Und damit ahnt man als Hörerin gleich zu Beginn im ersten der drei Teile, wohin das Hörbuch Elizabeth Finch führt: in ein Leben und Werk, das zunächst alles andere als aufregend, fast klischeehaft wirkt, dann aber Überraschendes birgt. Und das zeigt, wie Menschen dazu neigen, Zeichen zu deuten und daraus ihr eigenes Bild auf ein fremdes Leben zu zeichnen.

Denn nach Finchs Tod erbt Neil all ihre Bücher, Unterlagen und Notizen und entdeckt, wie intensiv sie sich mit der Figur des Flavius Claudius Julianus (331 – 361) auseinandergesetzt hat. Diesem römischen Kaiser Julian Apostata, der im vierten Jahrhundert das Christentum rückgängig machen und den Polytheismus erhalten wollte, ist der zweite Teil des Romans gewidmet.

Wer sich für die ungekürzte Lesung statt des Romans entscheidet, bekommt sieben Stunden Hörunterhaltung, die mit all ihren Wirrungen und Wendungen eine aufmerksame Zuhörerin fordert, um der von Neil dominierten Geschichte zu folgen. Frank Arnold, Schauspieler und Hörbuchsprecher höchster Qualität, hat den Text eingelesen, ihm gelingt es mit seiner ruhigen Tonart, zunächst die Neugier auf diese auf den ersten Blick verschlossene Frau zu wecken und gleichzeitig die Lebenslügen des männlichen Erzählers zu entlarven.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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