Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln zeigt die weltweit erste Ausstellung zur biblischen Susanna in der Kunst. Ein Besuch berührt und hinterlässt Spuren, wie die Journalistin Theresa Demski berichtet.
Es soll ein heißer Tag gewesen sein. Einer, an dem ein kaltes Bad zur Wohltat wird. Susanna macht sich mit ihren Mägden auf den Weg in den Park, der zum Anwesen ihres Mannes Jojakim gehört. Die Frauen schließen die Türen, die Mägde holen das Wasser und machen sich dann auf den Rückweg. Wären da nur nicht die beiden Ältesten, die gerade erst zu Richtern bestellt worden sind. „Sie waren beide zugleich für sie entbrannt“, erzählt die Bibel, „und wurden darüber zu Narren.“ Und dann ereignet sich eine Szene, die sich Jahre, Jahrhunderte und Jahrtausende später fast täglich wieder ereignen soll: Die beiden Männer setzen die Frau unter Druck, sie belästigen sie, nötigen sie, werden übergriffig. Es passiert im Beruf, in Hollywood, auf Partys: „Wir sind in Liebe zu dir entbrannt: Darum sei uns zu Willen“, erklären die Männer. Und sie schieben eilends hinterher: Wolle sie nicht nachgeben, dann würden sie Susanna beschuldigen, sich im Park einem jungen Mann hingegeben zu haben. Es wäre ihr Todesurteil. Und Susanna? Die junge Frau, verheiratet und Mutter, beginnt zu schreien. Sie wehrt sich. Das lassen die Ältesten nicht auf sich sitzen: Es kommt zum Prozess, das Volk glaubt den beiden Männern, Susanna wird zum Tode verurteilt. Die Geschichte nimmt eine unglaubliche Wendung und ist vielleicht genau aus diesem Grund in die Geschichte eingegangen – in juristische Diskurse, in gesellschaftliche Diskussionen, theologische Deutungen und in künstlerische Auseinandersetzungen. Der junge Daniel schreitet ein, befragt die beiden Alten getrennt voneinander und deckt die Falschaussage und die Verleumdung auf – die beiden müssen sterben.
Unzählige Künstler haben in den vergangenen Jahrhunderten die Geschichte der biblischen Susanna gemalt. Weltweit zum ersten Mal hat das Wallraf-Richartz-Museum hochklassige Werke zusammengestellt und nach Köln geholt, die sich genau diesem künstlerischen Motiv widmen: der biblischen Susanna. Das Ergebnis ist eine bewegende, manchmal schmerzhafte Sonderausstellung, die viel mehr erzählt als nur die biblische Geschichte aus dem Buch Daniel. „Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo.“ In diesem Spannungsfeld gelingt der Ausstellung etwas Ungewöhnliches: Ein Besuch lässt den Betrachter, und womöglich noch mehr die Betrachterin, zuweilen erschaudern – aus unzähligen verschiedenen Gründen. So weist der Prolog zur Ausstellung nicht umsonst darauf hin, dass die Bilder bei Betroffenen traumatische Erinnerungen wachrufen können. Kontakt zu Beratungs- und Hilfsangeboten finden sich gleich im ersten Ausstellungssaal.
Und auch für diejenigen, die nicht selbst von sexueller Gewalt oder Nötigung betroffen sind, wird die Ausstellung zur Herausforderung. Weil sie Fragen stellt – an den Künstler, an den Betrachter und an die Gesellschaft. Vor allem im ersten Teil der Ausstellung braucht es nicht mal einen zweiten Blick, um zu entdecken, dass die Künstler der Nacktheit der Susanna besondere Aufmerksamkeit schenken. Bénédict-Alphonse Nicollet scheint den weiblichen Körper im 18. Jahrhundert genüsslich auszuleuchten. Rund hundert Jahre später widmet sich auch Lovis Corinth vor allem der Aktmalerei, genauso wie Orazio Samacchini schon Ende des 16. Jahrhunderts. Susanna wird in ihrer ganzen Nacktheit gezeigt – sinnlich, schön und reizvoll. „Voyeurismus in reflektierter und unreflektierter Form“, befinden Kuratorin Anja Sevcik und Kurator Roland Krischel. Gelegentlich verwandeln Künstler den verbalen Angriff in einen physischen. So hat die feministische Kunstgeschichte seit jeher Susanna-Bilder als „religiös verbrämte Pornografie für ein männliches Publikum“ kritisiert. Und auch dieser Kritik gibt die Ausstellung Raum. Wann wird ein Bild selbst zum Problem? Wann macht sich ein Künstler schuldig, zumindest nach heutigen Maßstäben?
Mehrheitlich männliche Künstler
Dass nämlich durchaus der biblische Text – der sich nur in den Apokryphen findet – diesen Bildern Vorschub leistet, erklärt Theologin Christina Leisering im Audioguide, der sich für Besucher der Ausstellung durchaus lohnt. Die Theodotionfassung, die jüngere und prägende der beiden überlieferten hebräischen Schriften, lade zur Erotisierung und Psychologisierung ein. Damit entstünden Bilder, die „nicht positiv beitragen zu der Frauenfigur“. Und das dürfte dann auch für viele der Werke gelten, die im ersten Teil der Ausstellung zu sehen sind. Künstlerisch auf höchstem Niveau – ohne Frage. Aber mit der MeToo-Debatte im Rücken müssten sich die Künstler heute unangenehme Fragen gefallen lassen. Zumal, und das wird niemanden wundern, es sich natürlich mehrheitlich um männliche Künstler handelt. Diese Fragen vor den Bildern leise zu formulieren: Schon in dieser Möglichkeit liegt ein großer Wert des Ausstellungsbesuchs.
Ohnehin darf es persönlich werden. Denn dem vierten der insgesamt acht Themenkomplexe der Ausstellung haben die Kuratoren den Titel „Appell ans Publikum“ gegeben. Schon vorher sind dem Betrachter Darstellungen begegnet, die dem lauten Schrei der Susanna einen künstlerischen Ausdruck geben – und damit ihrem Widerwillen, ihrem Kampf gegen die Männer. Aber im „Appell ans Publikum“ scheint sie den Betrachter plötzlich anzusehen. Susanna richtet ihre Augen nicht zum Himmel, nicht versonnen in die Ferne. Angelika Kaufmann hat 1763 der Hauptfigur ihr eigenes Gesicht gegeben: Mit traurigen Augen blickt sie den Besucher an – während die Alten sie bedrängen. Rembrandt Harmensz van Rijn hat der Susanna Gemälde voller Mitgefühl gewidmet. Es sind Bilder, die weiter wirken können mitten in die MeToo-Debatte. Denn in ihnen klingt der Aufruf an die Gesellschaft mit – nicht schweigend daneben zu stehen, nicht Betrachter zu bleiben.
Zu diesem Mitgefühl gesellt sich beim Ausstellungsbesuch aber immer mal wieder die Empörung: Wenn Susanna als Heldin der Tugend auf Hochzeitskästchen verewigt wird, als Mahnung zur Treue an die frisch gebackene Ehefrau. Oder wenn Künstler die beiden Alten bildreich in Vertreter des Islams und des Judentums verwandeln, und der rassische Anstrich fast unerträglich ist. Und auch der Themenkomplex, der sich Alfred Hitchcock und seinem Filmklassiker „Psycho“ widmet, hinterlässt zumindest einen faden Beigeschmack. Der Filmemacher positionierte vor dem berühmten Guckloch des Hotelbesitzers Norman Bates ein Susanna-Gemälde – und schuf damit eine „moderne, pessimistische Variante des Bildthemas“, wie Besucher der Ausstellung lernen. Die Frau auf der anderen Seite des Gucklochs in der Duschkabine wird bedrängt und getötet. Die Ausstellung verschweigt allerdings auch nicht, dass Hitchcock selbst nach seinem Tod der sexuellen Nötigung beschuldigt wurde.
Vom Schrei verzerrt
Und damit macht sich der Betrachter auf die Zielgerade der Ausstellung. Das Titelbild für The New Yorker vom 5. März 2018 mit der „Besetzungscouch“ in Hollywood findet hier seinen Platz, genauso eine fragwürdige Zeichnung aus dem satirischen Männermagazin Le Sourire. Und während sich beim Ausstellungsbesucher schon der Eindruck verfestigen will, dass sexuelle Nötigung und Machtmissbrauch sich festgefahren haben und keine Lösung in Sicht ist, betritt er den letzten Raum der Ausstellung. „Gegenwehr“. Hier berührt vor allem ein Werk von Barockmalerin Artemisia Gentileschi, selbst Opfer einer Vergewaltigung. Unter einem ihrer Susanna-Gemälde hat Künstlerin Kathleen Gilje ein fiktives Bild der sich wehrenden Malerin festgehalten – mit einem vom Schrei verzerrten Gesicht und einem Messer in der Hand der jungen Frau. Und weil diese Untermalung mit weißer, besonderer Farbe aufgetragen wurde, wird sie bei einer Röntgenaufnahme wieder sichtbar. Das Gemälde, übermalt mit Gentileschis Susanna-Bild, und die Röntgenaufnahme hängen Seite an Seite. Endlich scheint Susanne eine Stimme bekommen zu haben, die sie verdient hat.
Information
Die Ausstellung „Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ ist bis zum 26. Februar 2023 im Wallraf-Richartz-Museum in Köln zu sehen. Weitere Information unter www.wallraf.museum.de
Theresa Demski
Theresa Demski ist Journalistin. Sie lebt in Wermelskirchen.