Hinaus mit den Ehrenamtlichen!

Auch die Pop-Up-Church braucht Menschen mit und ohne Talar
Foto: Christian Lademann

Eine Handvoll Pfarrerinnen und Pfarrer stehen an einer Hamburger U-Bahnstation. Dazu 5 Brote und zwei Tische und die Frage, was heute für Dich auf Dein Brot zum Leben geschmiert werden soll. Rund um Hoffnungs-Kresse und Geborgenheits-Honig entwickeln sich dann schnell berührende Gespräche mit den Passantinnen und Passanten, die sich auf dieses Spiel einlassen.

Pop-Up-Church heißt die Bewegung, die in der Nordkirche ihren Anfang nahm und experimentell den öffentlichen Raum erkundet und kreativ neue Formen kirchlicher Präsenz erprobt. Seitdem haben an vielen Orten Pfarrerinnen und Pfarrer diesen Faden aufgenommen und gehen auf die Suche nach neuen Resonanzflächen. In Marburg entstand die augenzwinkernde Idee der „Holy Jukebox“, bei der Pfarrerinnen und Pfarrer auf dem Weihnachtsmarkt stehen und sich auf Knopfdruck zum Singen bringen lassen, so dass Adventslieder erschallen. In Hanau war ich in diesem Sommer mit einer Kollegin auf dem Marktplatz unterwegs und habe an einem warmen Sonnentag Menschen mit einer Sprühflasche Erfrischungen angeboten und dabei allerlei eindrückliche Begegnungen gehabt.

Angeregt durch die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in der Nordkirche ist in den vergangenen Jahren der öffentliche Raum zu meinem Spielfeld pastoraler Arbeit geworden. Ich habe eine Leidenschaft dafür entwickelt, mich in dieser Weise aufs Spiel zu setzen und erlebe, wie gern sich Menschen ins Spiel bringen lassen rund um religiöse Themen, wenn sie spüren, dass ihr Gegenüber ebenso tastend unterwegs ist wie sie selbst.

Erkennungszeichen Talar

Meistens ist bei Aktionsformaten dieser Art der Talar ein wichtiges Element und fungiert dabei wie eine Art Erkennungszeichen für Kirche. Seit einiger Zeit schon denke ich darüber nach, was da bei dem, was wir tun, neben allem Neuaufbruch und der Vitalität eigentlich für ein pfarrer*innenzentriertes Kirchenbild mit aufploppt in der Öffentlichkeit. Ich begann mich zu fragen, ob die Kirche im öffentlichen Raum eigentlich notwendig ein Beffchen tragen muss und wie man Ehrenamtliche mit in diese Bewegung ins Offene nehmen könnte.

Klar, als Hauptamtliche ist es in gewisser Hinsicht auch unsere Aufgabe, die Vorhut zu sein und erste Erfahrungen auf unsicherem Terrain zu generieren. Aber langsam ist die Zeit angebrochen, dass diese Resonanzerfahrungen im öffentlichen Raum nicht mehr nur Hauptamtlichen vorbehalten bleiben dürfen, sondern auch Ehrenamtliche dabei mitentwickeln. Kühn überlegte ich mir, dass ich in meinen Gemeinden ein Team gründen wollte, das solche Aktionsformate aus ehrenamtlichen Reihen entwickelt und war der Meinung, dass ich mit diesem Gedanken ziemlich der Zeit voraus sei.

Vor Kurzem wurde ich eines Besseren belehrt, denn ich wurde Zeuge, dass in Mainz all das schon längst passiert. Ich war dort eingeladen bei einer Gruppe mit dem Namen „Träum weiter, Kirche“, die zu großen Teilen aus Ehrenamtlichen besteht. Man hatte mich gebeten, zu berichten, was ich in den vergangenen Jahren an Pop-Up-Church-Projekten in Marburg und Hanau entwickelt und auf die Straßen und Plätze gebracht hatte. Nach meinen Impulsen war vorgesehen, gemeinsam eine Aktion zum Valentinstag zu entwickeln. Was ich dabei erlebt habe, hat mich zutiefst begeistert. Mit so viel Experimentiergeist und Engagement haben die Ehrenamtlichen kreative Ideen geboren. Ich verrate natürlich jetzt nicht, wie die Kirche dort am Valentinstag aufploppen wird, aber es lohnt sich in jedem Fall am 14. Februar 2023 mal durch die Mainzer Innenstadt zu streifen.

Übergang als Normalzustand

Bei „Träum weiter, Kirche“ in Mainz lässt sich lernen, dass nicht nur Pfarrer*innen die kreativen Köpfe der Kirchenentwicklung sind, sondern dass diese Bewegungen auch maßgeblich von Ehrenamtlichen ausgehen. Ich glaube, es handelt sich um ein Missverständnis, wenn man meint, wir müssten kirchlich erst wieder sicheres und festes Land betreten, bis die Ehrenamtlichen wieder ans Ruder dürfen. Was wir gerade erleben ist keine Übergangszeit, sondern Kirche im Übergang zu sein, wird für lange Zeit der Normalzustand sein. Hier zu meinen, es müssten nun erstmal „die Profis“ ran, bis wir wissen, wie es geht, unterschätzt den Umstand, dass wir alle miteinander für lange Zeit nicht genau wissen werden, wie es geht. Hier und da darf es sicher nochmal die Handvoll Talartragende sein, die den öffentlichen Raum unsicher machen. Aber die Devise muss sein: Raus mit den Ehrenamtlichen auf die Straßen und Plätze. Dann wird Pop-Up-Church nicht mehr ein kreativer Nebenschauplatz einzelner Mutiger und Freigeister sein, sondern entwickelt sich zum wesentlichen Katalysator einer umfassenden Transformation hin zu einer zukunftsfähigen Kirche.

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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