Kind und Opfer seiner Zeit

… und auch ein großer Schriftsteller: Joseph Roth
Seit Mai 1925 arbeitete Joseph Roth in Paris als Korrespondent für die Frankfurter Zeitung.
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Seit Mai 1925 arbeitete Joseph Roth in Paris als Korrespondent für die Frankfurter Zeitung.

Im sozialistischen Vorwärts erschien am 30. Dezember 1922 eine Glosse von Joseph Roth unter dem Titel „Die Freuden des Winters. Fürs deutsche Lesebuch bearbeitet“, in der die Welt der Armen und die der Reichen ein wenig lesebuchsimpel, aber polemisch gegeneinander gestellt werden. So kehrt die „vornehme Welt“ „heim zu Kränzchen und Karneval. Ein gerechter Himmel streut Kaviar auf ihren Weg, das Manna der Reichen.“ In der Silvesternacht „erknallt das Trommelfeuer des Friedens und der Eintracht“, und „mit Wohlgefallen betrachtet man (die Reichen nämlich) hinter glänzenden Spiegelscheiben frierende Bettler, Objekte der Wohltätigkeit und der duldsamen Polizei.“

„Wer um alles in der Welt ist Joseph Roth“, werden viele Jüngere fragen, „muss man den kennen?“ Nun ja, man muss nicht, sollte aber: Ältere, sofern Leser, haben’s natürlich drauf: Das war doch dieser österreichische Schriftsteller mit der großen k.u.k.-Nostalgie, sein berühmtester Roman Radetzkymarsch. – Und ja, da haben sie recht, die Älteren, das war er, Joseph Roth, der 1939, im Exil, auf der Flucht vor den Nazis, in Paris im Alter von 44 Jahren starb. Er starb an Alkoholismus.

Was viele nicht wissen, nicht einmal viele der lesefreudigen Älteren, ist, dass er in seiner Frühzeit ein sehr entschiedener Linker war, der in vielen Kolumnen sich über Bürger, Offiziere und überhaupt das untergegangene Regime lustig machte – zumeist mittels Kommentierung genauer Beobachtungen. Mit anderen Worten: Auch wenn er nicht Jude gewesen wäre, hätte er allen Anlass gehabt, aus Deutschland zu fliehen.Aber er war Jude, geboren in dem damals österreichischen galizischen Schtetl namens Brody. Und er war ganz und gar nicht der allzu milde Mann, der sich aus Kummer über die üblen Zeitläufte dem Trunke hingab, als der er in die Literaturgeschichte einging. Er war vielmehr ein „schattierter Charakter“, der schon früh über seine Herkunft mehr als einen Schleier warf: Er sei in größter Armut aufgewachsen (was nicht stimmte), er sei im Ersten Weltkrieg Leutnant gewesen und habe in russischer Kriegsgefangenschaft schwer gelitten (was nicht stimmte), er sei nicht im hauptsächlich jüdischen Brody, sondern in einem von Deutschen bewohnten nahegelegenen Dorf geboren …

Schon früh hatte er seinen Vater verloren, nicht, dass der gestorben war, er war vielmehr wahnsinnig geworden, was unter den orthodoxen Juden, unter denen Roth aufgewachsen war, als Makel galt (auch seine zweite Frau – er war dreimal verheiratet – endete im Wahnsinn). Und je älter Roth wurde, umso mehr empfand er den Verlust seines „Vaterlandes“, des k.u.k.-Reiches, als etwas, was er nur schwer verschmerzte, habe dieses ihm doch erlaubt, „Weltbürger zu sein“. Aus dieser seiner Seelenlage entsprangen denn auch seine heute bekanntesten Romane, neben dem Radetzkymarsch ist dies Die Kaputinergruft.

Ja, Joseph Roth war ein Kind, aber auch ein Opfer seiner Zeit, im Grunde vielleicht ein verspäteter Romantiker, jedenfalls war seine frühe linke Phase im Wesentlichen durch sein Mitleid für die Armen der Gesellschaft und die einfachen Soldaten, die als Kanonenfutter dienen mussten, geprägt. Über die Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft war er sich früh im Klaren. Um das Jahr 1933 schrieb er in einem Brief an Stefan Zweig: „Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von dem privaten … führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben.“

Wie gesagt, das Zitat vom Anfang ist nun hundert Jahre alt. Weiter in jenem Text hieß es: „Des Morgens wandelt eine trübe Sonne über graue Himmel, arm und müde, als hätte sie im Asyl für Obdachlose genächtigt.“ – Die Zeiten ändern sich, so viel ist klar. Aber eben nicht so sehr.

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