Das gehört zu den Platituden von Lebenshilfebüchern: Wenn etwas zuende geht, beginnt etwas Neues. Oder: In jedem Abschied steckt die Chance zum Aufbruch. Aber wie das mit solchen Platituden ist: Im Kern enthalten sie ein Fünkchen Wahrheit. Wichtig ist nur, sie nicht als billigen Trost einzusetzen, sondern die jeweils konkrete Lebenssituation betroffener Menschen in den Blick zu nehmen.

Das ist der Ansatz in Anselm Grüns Buch Abschiede – Aufbruch in neue Welten. Der vor allem durch seine zahlreichen Veröffentlichungen zu Spiritualität und Lebensweisheit einer breiten Leserschaft bekannte Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach weiß um die Vielfalt der Abschiede, die ein Mensch in einem Leben zu bestehen hat – der unheilvollen und der heilsamen. Da ist die erste Trennung vom Elternhaus, wenn der Kindergarten beginnt, da sind Umzüge, die mit dem Verlust eines gewohnten Umfeldes einhergehen, da sind die Trennung von der Partnerin/vom Partner oder der Wechsel des Arbeitsplatzes. Beispiele lassen sich noch etliche aufzählen. Zu den schwersten Abschieden dürfte wohl der Verlust eines geliebten Menschen zählen.

„Abschiede haben immer ein Doppelgesicht. Das eine Gesicht blickt zurück, das andere nach vorne“, schreibt Grün. Aus christlicher Perspektive nimmt er diese „Doppelgesichtigkeit“ von Abschieden in den Blick. Und zwar nicht nur von solchen, die sich im praktischen Leben ereignen, sondern auch von Abschieden im Kopf oder Herzen – etwa von Lebensträumen, von überkommenen Gottes- oder Kirchenbildern. „Wenn alte ideelle Orientierungen nicht mehr tragen“ ist das entsprechende Kapitel überschrieben, und es mag manchem Leser und mancher Leserin helfen, sich klar zu werden über die Veränderungen in eigenen Vorstellungswelten und Zielen, im Glauben und in der Rolle der Kirchen. Ob die Lektüre aber in wirklichen Lebens- oder Glaubenskrisen hilft, muss wohl bezweifelt werden.

Mag sein, dass das auch nicht die Intention des Buches ist. Und mag sein, dass Bücher generell dazu nicht in der Lage sind – trotz gefüllter Regale in den Buchhandlungen unter der Überschrift „Lebenshilfe“. Manchmal verspricht der Titel eben mehr, als der Inhalt halten kann. Deshalb werden auch Trauernde, die Unterstützung und Stärkung in diesem Buch suchen, vermutlich enttäuscht werden. Zu lesen, dass es keine Norm gibt für die Dauer der Trauer, dass es darum geht, nach dem Tod eines geliebten Menschen eine neue Beziehung zu sich selbst, zu dem Verstorbenen und zu Gott aufzubauen, sind wohlfeile Ratschläge, die in der Phase der echten Trauer, des tiefen Kummers, der Leib und Seele niederstreckt, kaum hilfreich sind. Wenig angesprochen von Grüns Aussagen dürften sich auch Menschen fühlen, die – vorübergehend oder grundsätzlich – keinen Trost in der christlichen Auferstehungshoffnung und in der Erzählung von Gottes Liebe finden können.

Wer jedoch nicht Lebenshilfe in einer persönlichen Krisensituation erwartet, sondern Denkanstöße eines in spirituellen und psychologischen Fragen erfahrenen gläubigen Christen, wird mit Grüns Buch gut bedient sein. Eben weil es dem Autor gelingt, die vielen verschiedenen Facetten von Abschieden und Neuaufbrüchen zu reflektieren und dabei auch manche Idee aus der Religionsgeschichte, der Literatur und Philosophie in den Blick zu nehmen. Getreu seiner eigenen These: „Indem wir den Abschied bedenken, werden wir hineingeführt in das Geheimnis unseres Lebens.“

Einen Neuaufbruch im eigenen Leben könnte – darauf kommt Anselm Grün gegen Ende seines Buches – vielleicht dieser Abschied nach sich ziehen: der von der Illusion, „dass wir selbst oder die Menschen, die wir lieben, vom Leid verschont bleiben“.

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