Vertrauen und Zuversicht

Klartext
Foto: Privat

Die Gedanken zu den Sonntagspredigten für die nächsten Wochen stammen von Jürgen Wandel. Er ist Mitarbeiter von zeitzeichen.

Mehr als Worte

3. Advent, 16. Dezember

Es ruft eine Stimme: … Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden …; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch wird es sehen. (Jesaja 40,3–5)

Der Advent ist eine Zeit des Wartens. Aber worauf warten wir? Kinder können es kaum erwarten, bis das Glöckchen klingelt, die Wohnzimmertür aufgeht und sie die Geschenke auspacken dürfen, die unterm Christbaum liegen. Verkäuferinnen und Verkäufer warten darauf, dass die Geschäfte an Heiligabend endlich schließen und sie ausspannen können. Sie und viele andere Leute erwarten ein fröhliches Fest im Kreis der Familie oder von Freunden.

Aber die Erwartungen der Leute gehen natürlich darüber hinaus: In Deutschland und den anderen demokratischen Staaten wartet die Bevölkerung darauf, dass die Frauen und Männer, die sie gewählt hat, etwas gegen die Energiekrise, Teuerung und Klimakatastrophe tun. Die Menschen in der Ukraine und diejenigen, die sie unterstützen, erwarten, dass ihr Einsatz einen gerechten Frieden ermöglicht. Und auf der ganzen Welt ersehnen Menschen die Befreiung von den Tyrannen, die sie unterdrücken.

Den Israeliten, denen Jesaja predigte, ging es ähnlich. Aber seine Verheißung klang zu schön, zu unrealistisch, um wahr zu sein. Viele fanden sich mit dem babylonischen Exil ab, in das sie verschleppt worden waren, und richteten sich dort häuslich ein. Sie erwarteten nicht mehr, in die alte Heimat zurückkehren zu können. Das geschah dann zwar, aber einige waren vorher schon gestorben.

Und eine ähnliche Erfahrung haben Menschen in der Geschichte immer wieder gemacht. Sie haben auf bessere Zeiten gewartet, aber deren Verwirklichung nicht mehr erlebt. Aber das Vertrauen auf Gottes Verheißung hat Juden und Christen immer wieder die Hoffnung und die Kraft gegeben, sich nicht mit den Verhältnissen abzufinden, sondern sich und sie zu verändern.

Und Gott belässt es nicht bei Worten, sondern beruft immer wieder Menschen, die seine Verheißung verkörpern und ansatzweise verwirklichen. Zwischen Weihnachten und Pfingsten geschah das so überwältigend, dass Christen zur Erkenntnis kamen, dass Gott im Stall von Bethlehem Mensch geworden war. In Jesus von Nazareth ist das Reich Gottes, seine Herrschaft aufgeleuchtet. Aber mit den Juden hoffen Christen auf mehr: dass Gott einmal alle Menschen aus ihrer babylonischen Gefangenschaft befreien wird. Und Juden und Christen sind berufen, daran – mit anderen Menschen guten Willens – mitzuwirken.

Ganz weit draußen

Heiligabend, 24. Dezember

Und des Herrn Engel sprach zu ihnen (den Hirten): Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkünde euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren. (Lukas 2,10)

Die Geschichte der Geburt Jesu, die der Evangelist Lukas erzählt, klingt in der Übersetzung Martin Luthers wie Musik. Ihre Verlesung unterstreicht den Festcharakter von Weihnachten, beseelt die Hörerinnen und Hörer in einer runtergedimmten Kirche, die nur vom Herrnhuter Stern und den Kerzen am Christbaum und auf dem Altar erhellt wird. Dabei sind die äußeren Umstände, die die Geburtsgeschichte schildert, ja eher düster, bar jeder Feierlichkeit. Von Gemütlichkeit ganz zu schweigen. Weil die Eltern „keinen Raum in der Herberge“ finden, wird das Kind in einem Stall geboren. Und seine Geburt wird nicht in, sondern vor der Stadt verkündigt, nicht angesehenen Bürgern, sondern Hirten, die damals ein geringes Ansehen besaßen.

Ausgerechnet sie erfahren als Erste, dass „heute der Heiland geboren“ ist, nicht der römische Kaiser Augustus, der sich als „Hirte der Völker“ versteht und zu dessen Herrschaftsbereich Bethlehem gehört. Aber es ist ja überhaupt erstaunlich: Die Jesusbewegung, die zu einer Weltreligion werden wird, beginnt weder in Jerusalem, wo der Tempel steht, noch in Rom, dem politischen Zentrum der damaligen Welt, oder in Athen, der Hochburg der Philosophie, sondern am Rande des Römischen Reiches, j.w.d, „janz weit draußen“, wie der Berliner sagt. Aber Gott wirkt eben oft im Verborgenen. Menschen und Bewegungen, die – von seinem Geist inspiriert – Tyrannen stürzen und Frieden stiften, beginnen ihr Engagement oft unbemerkt von der Weltöffentlichkeit.

„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth“, heißt es beim Propheten Sacharja (4,6). Und im Vertrauen darauf können Christen trotz der schlechten Nachrichten aus aller Welt auch in diesem Jahr frohe Weihnachten feiern und unterm Christbaum Zuversicht tanken.

Kritischer Maßstab

Altjahrabend, 31. Dezember

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? (Römer 8,31)

Dieses Bekenntnis des Apostels Paulus missbrauchten evangelische Pfarrer 1914, um einen Gott zu verkündigen, der im Krieg auf der Seite des deutschen Kaiserreichs stand. Und die Nazis eröffneten 1936 die Möglichkeit, bei der Religionszugehörigkeit in amtlichen Formularen „gottgläubig“ anzugeben. So wollten sie ihren Gesinnungsgenossen, die aus der Kirche austraten, den Makel der Gottlosigkeit ersparen.

Kirchenleute haben sich immer wieder leicht und gerne blenden lassen, wenn ein Politiker beim Amtseid oder in Reden Gott beschwor. Das taten Gewaltherrscher wie Salazar (in Portugal) und Franco (in Spanien). Und die rechtsextreme Ministerpräsidentin Italiens Giorgia Meloni zog mit der Devise „Gott, Familie, Vaterland“ in den Wahlkampf. Man sollte also genau hinschauen, hinhören und fragen, was Menschen meinen, wenn sie „Gott“ sagen.

Für Paulus ist klar: Gott ist der, dessen „Sohn“ Jesus Christus ist (Römer 8,32). Und die Synode der Bekennenden Kirche hat 1934 in Wuppertal-Barmen erklärt: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ Dieses Bekenntnis schließt nicht aus, dass Gott sich auch sonst, zu jeder Zeit und an jedem Ort, offenbaren kann. Wenn Christen Jesus Christus als „das eine Wort Gottes“ erkennen und bekennen, versagen sie anderen Religionen nicht den Respekt. Aber Christen können nicht an Jesus Christus vorbei auf Gott schauen und von ihm reden. Jesus Christus ist vielmehr der kritische Maßstab, den sie an jede Rede über und jedes Bild von Gott anlegen.

Vergangenen Silvester rechnete niemand damit, dass Putins Armee zwei Monate später die Ukraine überfallen würde. Am letzten Abend dieses Jahres hoffen und beten wir, dass im kommenden Jahr in der Ukraine ein gerechter Frieden möglich wird. Ob und wie das geschehen wird, wissen wir nicht. Und genauso unsicher ist, was das neue Jahr uns persönlich bescheren wird. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott „mit uns“ ist, selbst wenn wir es nicht spüren, ja wenn der Augenschein dagegenspricht. „Es mag sein, dass Frevel siegt, wo der Fromme niederliegt. Doch nach jedem Unterliegen wirst du den Gerechten sehn lebend aus dem Feuer gehn, neue Kräfte kriegen“ (EG 378,3), dichtete in der Nazizeit der Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder (1878 – 1962), der zur Bekennenden Kirche gehörte.

Gabe für alle

1. Sonntag nach Epiphanias, 8. Januar

Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich … Und Johannes … sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. (Johannes 1,29–30.32)

Jedem Lebewesen ist von Natur aus ein Selbsterhaltungstrieb eingestiftet. Und ein Mensch, der als Kind geliebt wird, kann sich selber lieben, entwickelt ein Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Und das sind die Voraussetzungen dafür, dass sich Menschen als mündige Staatsbürgerinnen und mündige Christen verhalten und sich in politischen, wirtschaftlichen und religiösen Angelegenheiten ihres Verstandes ohne Anleitung durch andere bedienen.

Aber die genannten positiven Eigenschaften können in Egoismus, Selbstüberschätzung und Selbstvergötzung umschlagen. Denn der Mensch hat eine Neigung zur „Sünde“. Darunter versteht Martin Luther (wie Augustin) das In-sich-selbst-verkrümmt-Sein des Menschen. Dieser ist nur auf sich fixiert, seine Familie, sein Volk und seine Religionsgemeinschaft. Er projiziert seine Wünsche auf Gott und spannt ihn vor den Karren der eigenen Bedürfnisse und Interessen.

Dagegen weitet Jesus den Blick des Menschen: auf Gott und den Nächsten in der Nähe und in der Ferne. Der Religionssoziologe Hans Joas sieht den „moralischen Universalismus“ als besonderes Kennzeichen des Christentums. Und dieses schwingt ja auch mit, wenn das Apostolikum die Kirche als „katholisch“, sprich: universal, bekennt. Das macht das Prädikat „christliche Kirche“ (in der evangelischen Fassung des Glaubensbekenntnisses) leider nicht deutlich.

Der Genfer Reformator Johannes Calvin nannte den Menschen eine „Götzenbilderfabrik“. Umso wichtiger ist, was Jesus nach der Überlieferung des Johannesevangeliums sagt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Denn im Stall von Bethlehem und auf Golgatha werden die Gottesbilder, die Menschen malen, im wahrsten Sinne des Wortes durchkreuzt.

Fürsten wählten als Wappentier für sich und ihren Herrschaftsbereich oft einen Löwen. Der König der Tiere flößt anderen Lebewesen Furcht, ein und er tötet und frisst schwächere Tiere. Das „Lamm“ ist dagegen ein Grasfresser. Im Alten Testament wird es mehrfach als Opfertier dargestellt. Aber am Ende erweist sich das Lamm stärker als die Raubtiere und triumphiert über eine Welt, in der die Stärkeren die Schwächeren fressen: Im Friedensreich des Messias wird „der Wolf beim Lamm wohnen … und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind“ (Jesaja 11,6–7).

Mit den Juden zusammen erwarten Christen dieses Friedensreich. Spuren sind bei Jesus schon aufgeleuchtet. Und beim Abendmahl, im Agnus Dei der Messliturgie, bittet die Gemeinde das Lamm Gottes: „Gib uns deinen Frieden.“ Diese Gabe dürfen Christen nicht behalten, sondern sollen sie durch Wort und Tat weitergeben. Wie das angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine geschehen kann, muss in Kirche und Gesellschaft diskutiert werden, ohne dass man das Gegenüber als Putin-Versteher oder Kriegstreiber ins moralische Abseits stellt. 

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