Über das rein Kognitive hinaus

Mirjam Jekel hat zu Schöpfung und Leben im Johannesevangelium promoviert
Mirjam Jekel
Foto: Andrea Enderlein

Zwischen Fakten, Poesie und Appell – die Sprache und Sprachkraft der Bibel faszinieren Mirjam Jekel schon lange. Jetzt hat die 35-jährige Theologin über den Zusammenhang von Schöpfung und Leben im Johannesevangelium promoviert.

Als zweifaches Pfarrerskind – sowohl meine Mutter als auch mein Vater sind als Pfarrer tätig – hatte ich eigentlich nie vor, Theologie zu studieren. „Alles außer Theologie“, hieß meine Devise, und eine Zeitlang war Meteorologie meine Favoritin.Gleich nach dem Abitur hatte ich dann die Gelegenheit, ein Freiwilliges Soziales Jahr im Asian Rural Institute zu machen, einem internationalen Ausbildungsbauernhof mit Kommunität auf christlicher Grundlage in Japan. Dort begegnete ich Menschen, die ihren Glauben ganz anders verstanden als ich. Als ein Kollege von mir sagte: „Wir müssen viele Menschen missionieren, damit sie nicht in die Hölle kommen, wie es in der Bibel steht …“, da regte sich in mir starker Widerspruch, à la „Ja, steht da, aber ist mir egal!“ – aber innerlich nagte es an mir: „Shit, da hast Du jetzt keine fundierten Argumente parat.“

So studierte ich doch Theologie, zunächst in Marburg. Dort interessierte mich besonders die Systematische Theologie, unter anderem waren Dietrich Korsch und Cornelia Richter für mich dort prägend. Dann wechselte ich im Hauptstudium nach Leipzig. Ich fand es spannend, als komplett im Westen aufgewachsener Mensch in den Osten zu gehen. Die deutsche Teilung ist zwar schon lange her, aber es ist interessant, die noch sehr unterschiedlichen Mentalitäten wahrzunehmen – besonders die verbreitete Reserviertheit gegenüber Theologie und Kirche.

Zur Promotion kam ich dann ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde: Zwar hatte ich während des Studiums schon mal darüber nachgedacht, aber eigentlich ist es ja bis heute so, dass man von Professoren angesprochen wird, ob man nicht promovieren wolle, und ich dachte: „Wenn ich nicht gefragt werde, bin ich wohl nicht gut genug.“ 2015 legte ich mein Erstes Theologisches Examen ab und wurde danach von gleich zwei Professoren angesprochen, ob ich nicht promovieren wollte. Einer davon war Ruben Zimmermann aus Mainz. Das hat mich sehr gefreut!

Doch erstmal ging es wie geplant ins Vikariat nach Mörfelden-Walldorf, eine Kleinstadt südlich von Frankfurt/Main, denn ich wollte endlich etwas machen, was nicht nur mit mir und dem eigenen Schreibtisch zu tun hat – etwas mit größerer Bedeutung und Wirkung. Das Vikariat hat mir viel Freude gemacht, und anders als häufig gesagt wird, empfand ich das, was ich im Theologiestudium gelernt hatte, als sehr wichtig für die Praxis in der Gemeinde, wo ich ja vor der Herausforderung stand, selbst eine Theologie zu entwickeln.

Nach meinem Vikariat und einem Spezialvikariat in der Evangelischen Akademie in Frankfurt/Main begann ich dann 2018 mit meiner Dissertation, die ich in diesem Jahr abgeschlossen habe und die den Titel trägt: „Creatio-Poetik. Erschaffung, Erhaltung und Erneuerung des Lebens in der Sprache des Johannesevangeliums“. Die Grundidee dieser Thematik hatte ich bereits in meiner Examensarbeit „Vernunft und Mythos“ bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno traktiert. Schon da fiel mir auf: Diese Herren gehen alle sehr ontologisch-philosophisch an Texte und ignorieren zumeist, dass das „Geschichtenhafte“ an Mythen eine wichtige Rolle spielt, also das „Wie“ des Geschriebenen.

Insofern ist die zentrale Prämisse, von der meine Dissertation ausgeht, dass bei der Textinterpretation Form und Inhalt des Textes gleicherweise berücksichtigt werden müssen. Ich prüfe anhand ausgewählter Passagen, wo und in welchen Sprachbildern die Verbindung von Schöpfung und Leben im Johannes-Evangelium vorkommt. Die Texte, die ich untersuche, decken unterschiedliche Gattungen ab – von der Poesie des Prologs über kleine Szenen, Dialoge, Monologe bis zu poetologischen Reflexionen. Die Bedeutung der Textart wird nämlich bisher bei der Interpretation zu selten berücksichtigt, vielmehr behandelt man die Texte häufig so, als wären sie philosophische Abhandlungen. Aber als solche „funktionieren“ sie eben meistens nicht, und dann kommt es oft zu Missverständnissen: entweder von biblizistischer Seite à la „Es ist genauso geschehen, wie es geschrieben steht,“ oder aber eben auch von rationalistischer Seite, wo dann der Schluss gezogen wird: „Das ist alles Blödsinn!“

Dass durch die unterschiedlichen Sprachformen im Johannesevangelium ganz andere Interessen transportiert werden als irgendwelche vordergründigen rationalistischen Sacherklärungen, versuche ich an den Beispielen aufzuzeigen und präsentiere Vorschläge, wie das bei der inhaltlichen Auslegung berücksichtigt werden kann. Das hat auch einen ganz praktischen Nutzen: Heute müssen wir mit verschiedenen Wahrheitsverständnissen umgehen, und deshalb sollten wir sehr sensibel die Wahrheitsebenen in den verschiedenen Textformen entdecken. Und da gilt: Mythische Texte sind nicht „falsch“ oder haben keine Relevanz, nur weil sie rational nicht plausibilisierbar sind. Aber ihre spezifische Plausibilität muss eben entschlüsselt werden können, und dafür lohnt es sich, auch scheinbar einfache, eindeutige Textaussagen mit Blick auf den Kontext und ihre spezifische Form gleichsam zu „verflüssigen“. Dann zeigt sich: Die Texte im Johannesevangelium können (und wollen) bei uns Räume eröffnen und Prozesse des Denkens und Fühlens anstoßen. Wir Lesende sind insofern selbst an dem Prozess der Sinnerschaffung beteiligt.

Diese offenere Art, biblische Texte zu lesen, kann alle Menschen anregen und bestärken, denen die biblische Überlieferung lieb und wichtig ist, die sich aber gegen enge, fundamentalistische Auslegungen zur Wehr setzen möchten. Die Erkenntnis der Vielschichtigkeit der Texte und der Notwendigkeit, den Inhalt der Texte eigenständig weiterzudenken, eröffnet einen großen Reichtum möglicher Auslegungen. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Das bedeutet keinesfalls eine Selbstermächtigung, die dazu führt, dass ich aus den Texten machen kann, was ich will, aber es ist ein Angebot zum Selbstvertrauen im Umgang mit biblischen Texten.

Dieses Selbstvertrauen gilt es, im Dialog und auch in der Konfrontation mit Vertreterinnen und Vertretern fundamentalistischer oder rationalistischer Positionen fruchtbar zu machen, die meinen, biblisches Wissen und Erkennen für eindeutig oder für überflüssig erklären zu können. 

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

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Foto: Andrea Enderlein

Mirjam Jekel

Mirjam Jekel ist Wissenschaftliche Hilfskraft am Seminar für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.


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