„Ich bin der Herr, Dein Arzt“

Über die Vorstellung von Gesundheit in der biblischen Überlieferung
William Blake (1757 – 1827): „Satan schlägt Hiob mit eiternden Beulen“, 1826.
Foto: akg-images
William Blake (1757 – 1827): „Satan schlägt Hiob mit eiternden Beulen“, 1826.

Beim Blick in die Bibel fällt auf, dass es im biblischen Hebräisch keinen eigenen Begriff für „Gesundheit“ gibt. Dennoch existierten immer schon Vorstellungen von Gesundheit, vor allem im Gegenüber zur Krankheit. Ohne Gottes Wirken sind weder Krankheit noch Genesung zu denken, erläutert Martin Rösel, Alttestamentler an der Universität in Rostock.

Ein ganz besonderes Buch hatte die „Wissenschaftliche Buchgesellschaft“ im Weihnachtsgeschäft 2021 ihren Mitgliedern als opulentes Geschenk angedient: Die Faksimileausgabe eines fast zwanzig Meter langen Papyrus aus Ägypten, nach seinem Entdecker „Papyrus Ebers“ genannt. Es handelt sich um die umfangreichste Sammlung altägyptischen medizinischen Wissens, datierbar auf das 16. vorchristliche Jahrhundert. 800 verschiedene Rezepte zur Behandlung verschiedener Krankheiten werden hier überliefert: Salben für Hautkrankheiten, Heilmittel für Zähne, Rezepte gegen Krankheiten durch Dämonen und Wunden durch Brände. Neben den teils – aus heutiger Sicht – skurril anmutenden Details der Behandlungen ist besonders die Einführung von Interesse: Das medizinische Lehrbuch wird auf Thot, den Gott der Weisheit, zurückgeführt. Er gibt den Weisen und Ärzten die Macht zu heilen, „um den zu erlösen, von dem der Gott will, dass er ihn leben lässt“ (1,10). Medizin und Religion sind also untrennbar verbunden, Gesundheit und Krankheit liegen in der Hand der Götter.

Gesundheit in der Hand der Götter

Leider sind aus dem alten Israel keine entsprechenden Texte erhalten, so dass man über das dortige medizinische Wissen nur Vermutungen anstellen kann. Archäologische Funde belegen jedoch, dass auch im bronzezeitlichen Jericho Schädel zur Trepanation durchbohrt wurden, was die behandelten Menschen offensichtlich überlebt hatten. Auch Zahnstabilisierungen durch Drähte sind belegt. In Kanaan hatte man also einen gewissen Anteil am medizinischen Wissen der damaligen Welt. Doch wird man annehmen müssen, dass solche Behandlungen den obersten Schichten vorbehalten waren. Die allgemeine Lebenserwartung von ungefähr vierzig Jahren – daher die symbolische vierzig als Generationenzahl – legt aber nahe, dass es um die allgemeine Gesundheit nicht sehr gut bestellt war.

Wie mögen die Menschen damals über ihre persönliche und die allgemeine Gesundheit gedacht haben? Welche Optionen der Gesundheitsvorsorge und der Behandlung wird es gegeben haben? Welche Rolle spielt die Religion dabei? Wenn solche Fragen in den Blick genommen werden, fällt zunächst auf, dass es im biblischen Hebräisch gar keinen eigenen Begriff für „Gesundheit“ gibt. Erst mit der griechischen Bibelübersetzung wird ab dem dritten vorchristlichen Jahrhundert das entsprechende Wort „hygieia“ in die biblische Überlieferung eingeführt. Dennoch gab es natürlich immer schon Vorstellungen von Gesundheit, vor allem im Gegenüber zur Krankheit. Daher wird in deutschen Bibelübersetzungen eine ganze Reihe von hebräischen Worten mit dem Adjektiv „gesund“ übersetzt. Bekannt ist vor allem „schalom“, das eben nicht nur „Friede“, sondern Wohlbefinden jeglicher Art bedeuten kann, Gesundheit eingeschlossen. Andere Worte haben die Grundbedeutung „stark sein“, „vollständig sein“, „lebendig sein“. Eine besondere Rolle spielt auch die hebräische Wortwurzel rafa’ „heilen“, die prominent im Engelsnamen Rafael begegnet: Gott heilt.

Mit diesem Namen kommt dann auch schon die grundlegende Bindung an die Gottesvorstellung in den Blick. Was schon in Ägypten galt, prägt auch das biblische Denken: Ohne Gottes Wirken sind weder Krankheit noch Genesung zu denken. „Wirst du der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorchen und tun, was recht ist vor ihm … so will ich dir keine der Krankheiten auferlegen, die ich den Ägyptern auferlegt habe; denn ich bin der HERR, dein Arzt.“ Programmatisch ist dieser Satz am Ende des Auszugs der Israeliten aus Ägypten zu lesen (Exodus 15,26). Ähnlich wird den Israeliten vor Einzug in das gelobte Land ein weiteres Mal eingeschärft, die Gebote zu halten. Denn andernfalls wird Gott „dich schlagen mit Auszehrung, Entzündung, Fieber, Wundbrand“ (Deuteronomium 28,22). Die Wirkungsgeschichte dieser Vorstellung ist fatal, denn bis heute wird vielfach Krankheit als Strafe Gottes für eigenes Fehlverhalten betrachtet. Im Hiob­buch wird dieses Problem in alle Einzelheiten hinein beleuchtet, und es wird deutlich, dass die Gleichung Krankheit gleich Sünde nicht aufgeht.

Man muss sich aber vor Augen halten, dass die Texte einem religiös geprägten Weltbild entstammen, in dem alles von göttlichen oder dämonischen Mächten abhängig ist. Krankheiten oder körperliche Fehler konnten also gar nicht abgelöst von der religiösen Dimension verstanden werden. Dementsprechend waren Gebete und wohl auch magische Praktiken die erste Option bei Krankheiten. Die vielen Klagepsalmen, die in eindrücklichen Bildern Krankheiten beschreiben und um Heilung bitten, illustrieren das. Der Beter von Psalm 22 beschreibt seinen Zustand so: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs“ (Psalm 22,15). Aber der Sänger von Psalm 30 kann frohlocken: „HERR, mein Gott, da ich schrie zu dir, machtest du mich gesund“ (Psalm 30,4). Diese Texte vermitteln für uns Heutige keine valide Erklärung, dass die Krankheit von Gott kommt oder genommen wird. Aber sie können unsere Resilienz dadurch stärken, dass wir ein Gegenüber haben, dem wir beides vortragen können, Not und Erleichterung.

Neben dieser religiösen Dimension hat es natürlich auch medizinisches Wissen gegeben, das im Alltag angewendet wurde. Allerdings ist davon nur selten konkreter in den biblischen Texten die Rede: Nach Ezechiel 30,21 wurden Knochenbrüche mit Bandagen versorgt. Gegen die schlimme Krankheit der Unfruchtbarkeit konnte man „Liebesäpfel“ – wohl die Mandrake-Wurzel – einsetzen (Genesis 30,14). Balsam aus Gilead (im heutigen Jordanien) wird in Jeremia 46,11 als Heilmittel erwähnt. Bekannt sind die Quarantäneregeln bei ansteckenden Krankheiten, die in Leviticus 13 und 14 zusammenfassend als „Aussatz“ bezeichnet werden und die die Gemeinschaft schützen sollten.

Auch manche Reinheitsgebote werden einen Vorsorgeeffekt gehabt haben. Versuche, kultische Regelungen wie die Beschneidung oder das Verbot des Genusses von Blut oder Schweinefleisch als Hygienemaßnahme zu erklären, sind allerdings nicht plausibel. Gelegentlich werden Waschungen (Genesis 18,4) oder Bäder erwähnt (Ruth 3,3). Im eisenzeitlichen Jerusalem wurde auch eine Toilette ausgegraben, doch dürfte es um die Hygiene breiter Bevölkerungsschichten nicht gut bestellt gewesen sein.

Schlechte Hygiene

Die spärlichen Hinweise auf medizinische Praktiken und Gesundheitsvorsorge hängen wohl mit der Grundüberzeugung zusammen, dass Gott der eigentliche Arzt ist. Wer auf andere Heilungsmittel vertraut, stellt Gottes Macht in Frage. Das gilt erst recht, wenn andere Götter ins Spiel kommen, wie als Beispiel in 2. Könige 1 erzählt wird. Israels König Ahasja fällt durch ein Gitter und wird krank. Aber statt auf JHWH, den Gott Israels zu vertrauen, befragt er den Baal-Zebub (daraus wird später „Beelzebub“ für den obersten Teufel). Daher verkündet ihm der Prophet Elia, dass er sein Bett nicht mehr verlassen, sondern sterben werde. Diese feste Verbindung von Heilungsmacht und Gottesbild zeigt sich auch daran, dass es die Priester sind, die Heilungen feststellen müssen – und damit dem Kranken die Rückkehr in die Gesellschaft erlauben. Noch in Markus 1,44 weist Jesus den von ihm geheilten Aussätzigen an, dass er sich dem Priester zeigen solle.

Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus dem biblischen Menschenbild. Der Mensch wird nicht wie in der griechischen Tradition als in Leib, Seele und Geist getrennt verstanden, sondern als psychosomatische Einheit. Schmerzen im Leib wirken sich auf das Gemüt aus, und umgekehrt hat ein gestörtes Verhältnis mit Menschen oder Gott Auswirkungen auf den Körper, so Psalm 69,21: „Die Schmach bricht mir mein Herz und macht mich krank.“ Auch die Einrichtung des Sabbats weist darauf hin, dass ein Gleichgewicht von Arbeit und Ruhe, körperlicher Aktivität und innerer Reflexion heilsam und nötig ist. Damit ist zugleich als Vorzeichen gesetzt, dass Gott das Heil und die Gesundheit der Menschen will und dies mit seinen Gaben von Schöpfung und Tora erkennbar werden lässt.

In der Zeit des Hellenismus kommt Israel zunehmend in Kontakt mit dem medizinischen Wissen der Griechen, aber auch Hei­lergott-Kulten wie etwa dem des Asklepios. Im Buch Jesus Sirach ist gut zu erkennen, welche Diskussionen das in Israel ausgelöst hat. Einerseits bleibt es bei der Überzeugung, dass Krankheit als Gottes Strafe gesehen werden kann: „Wer vor seinem Schöpfer sündigt, der wird dem Arzt in die Hände fallen!“, so Sirach 38,15. Andererseits wird aber anerkannt, dass Medizin und Pharmazie hilfreich sein können. „Erweise dem Arzt gebührende Verehrung, damit du ihn hast, wenn du ihn brauchst; denn auch ihn hat der Herr geschaffen“ (Sirach 38,1). „Ein vernünftiger Mensch verachtet die Arznei nicht, denn auch sie hat Gott geschaffen“ (38,4). Dem Weisheitslehrer gelingt es also, die wissenschaftlichen Errungenschaften in die Schöpfungsvorstellung zu integrieren. Nun wird auch der abstrakte Begriff der Gesundheit verwendet und in den Kanon des klugen Verhaltens integriert: „Sorge für deine Gesundheit, bevor du krank wirst!“ (18,19)

Kluges Verhalten

Kommt man von da zu den neutestamentlichen Überlieferungen, fällt zunächst auf, welch hohe Bedeutung die Heilungen Jesu haben. Das betrifft zunächst die konkreten Krankheiten, man lese nur Markus 1 und 2: das Fieber der Schwiegermutter des Petrus, die Heilung des Aussätzigen und des Gelähmten, der durch das Dach herabgelassen wird. Dann ist aber auch von Dämonen und Geistern die Rede, die Jesus austreibt und einmal sogar in eine Herde Säue fahren lässt (Markus 5,4–13; 7,26–30); hier würden wir heute wohl eher von psychischen Krankheiten reden. Schließlich kann Gesundheit auch ganz umfassend verstanden werden, wenn Entfremdungen überwunden werden, etwa die des Vaters von seinem verlorenen Sohn: Er hatte ihn gesund wieder (Lukas 15,27).

Letztlich geht es aber in der neutestamentlichen Botschaft um die Überwindung der Trennung zwischen Menschen und Gott und das Leben in Gerechtigkeit vor Gott. Das wird als einzig gesundes Leben verstanden, wie es das Jesuswort in Lukas 5,31– 32 formuliert: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße.“ Für beides, die irdische wie die ewige Gesundheit, gilt also: „Ich bin der Herr, Dein Arzt.“

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Theologie"