Letzte Chance zur Aufarbeitung

Mitglieder des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD geben erste Berichte vor der Synode
Mitglieder des Beteiligungsforums berichten der Synode
Foto: epd
Mitglieder des Beteiligungsforums berichten der Synode

Seit Juli hat das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD die Arbeit aufgenommen. Vor der Synode in Magdeburg lieferten Sprecher und Sprecherin der Betroffenenvertretung sowie der Beauftragten einen ersten Bericht über die Struktur des Forums und die zukünftige Arbeit.

So deutliche Worte zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Kirche von Seiten der Betroffenen hat es lange nicht gegeben: Das Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie bezeichnete der Sprecher der Betroffenenvertretung Detlev Zander bei der Magdeburger Synodalversammlung als einzigartig in Deutschland. Die EKD, die Diakonie und die Betroffenen könnten nun eine Vorreiterrolle übernehmen. Doch Zander machte auch gleich zu Beginn seines ersten Berichts aus dem Beteiligungsforum vor den EKD-Synodalen unmissverständlich deutlich: „Es ist die letzte Chance für die EKD und Diakonie, gemeinsam mit Betroffenen die Verbrechen aufzuklären und aufzuarbeiten.“

Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr hatte die EKD den ersten Betroffenenbeirat aufgelöst. Die Gründe dafür waren sehr widerstreitend. Von Seiten der Betroffenen hieß es, die EKD sei noch nicht bereit für einen derartigen Beirat, der die Kirche beratend begleiten solle. Mangelnde Konzeption, Kommunikation und Einbindung sowie die Art der Zusammensetzung des Beirates warfen die Betroffenen der evangelischen Kirche vor. Diese wiederum begründete die Aussetzung mit Rücktritten von Betroffenen und Konflikten untereinander.

Seit Juli dieses Jahres steht nun eine neue Form zur Aufklärung und Prävention, das „Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt“ - entwickelt von Birgit Mangels-Voegt, Expertin für Prozessentwicklung und Strategieberatung. Damit soll die verbindliche Mitarbeit der Betroffenen an allen Entscheidungen und Schritten zur Aufarbeitung von und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verbürgt werden. Es spricht vieles dafür, dass das mit diesem Forum sichergestellt ist.

An einem Tisch

Da ist zunächst die Zusammensetzung des Gremiums: Neben acht Betroffenen gehören dem Forum leitende Geistliche und Kirchenjuristen sowie die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, die EKD-Bevollmächtigte Anne Gidion, Maria Loheide von der Diakonie Deutschland sowie Vertreter der Landeskirchen und der zuständigen EKD-Fachstelle an.

Außerdem: Der Rat der EKD und die Kirchenkonferenz sind mit dem Beteiligungsforum die Selbstverpflichtung eingegangen, alle Entscheidungen auf die Ebene des Forums zu geben, denn dieses soll zukünftig Vorschläge für den Rat der EKD, die Kirchenkonferenz oder die EKD-Synode vorlegen, je nachdem, welches kirchliche Gremien zuständig ist. Auch die EKD-Synode will sich dieser Selbstverpflichtung anschließen. Positiv zu vermerken ist sicher auch, dass alle Beteiligten so früh wie möglich an einem Tisch sitzen und kommunizieren.  

Das wird ungewohnt, das wird teuer, das wird zuweilen schmerzhaft. Aber das kann auch ein Vorbild für andere Institutionen werden. Denn durch das neue Beteiligungsforum kommuniziert die evangelische Kirche mit ihren Gremien und den Betroffenen erstmals auf Augenhöhe, eine wichtige Voraussetzung, damit institutionelle Aufarbeitung überhaupt gelingen kann. Ein externes, dreiköpfiges Team begleitet und unterstützt das Forum in den Bereichen Prozessteuerung, Moderation und Supervision.

Regionale Kommissionen

Ein weiterer Punkt: Damit die rückhaltlose institutionelle Aufarbeitung gelingen kann, sollen „regionale unabhängige, betroffenen-partizipativ arbeitende und transparent agierende Aufarbeitungskommission(en)“ eingerichtet werden, erläuterte der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns vor den Synodalen, der über den aktuellen Arbeitsstand des Forums berichtete. Noch bis zum 1. Dezember hat Meyns das Sprecheramt des Beauftragten im Beteiligungsforum inne; ihm folgt die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst. Während sich die Landeskirchen und ihre Diakonien auf die Bildung der Aufarbeitungskommissionen vorbereiteten, arbeite das Beteiligungsforum daran, zusammen mit der Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, rasch Rahmenbedingungen in Form der Gemeinsamen Erklärung zu schaffen.

Ein weiterer wichtiger Baustein in der gemeinsamen Arbeit ist, und auch darauf verwies Meyns, die Planung einer digitalen Vernetzung für Betroffene sexualisierter Gewalt im evangelischen Raum (BeNe). Die Besonderheit ist und bleibt jedoch das Angebot, sich digital, anonym und weitgehendst geschützt in einem digitalen Raum zu bestimmten Schwerpunktthemen auszutauschen“, sagte der Landesbischof.

Auf die Frage, welche systemischen Faktoren es Tätern ermöglicht haben können, Schutzräume von Kirche und Diakonie zu missbrauchen, erhofft sich seine zukünftige Nachfolgerin, die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, Antworten aus der wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie „ForuM“. Diese soll im Herbst kommenden Jahres veröffentlicht werden. Dass rasch danach praktische Konsequenzen in Hinblick auf Prävention, aber auch auf weitere Aufarbeitungsschritte gezogen werden müssen, mahnen die Betroffenen an.

Reformiertes Disziplinarverfahren

Als weitere Maßnahmen der zukünftigen Arbeit benannte Wüst die Reform kirchlicher Disziplinarverfahren, die Vereinheitlichung der Anerkennungsverfahren und die damit verbundenen Leistungen, sowie die Entwicklung eines Monitoring-Instruments, das zu erheben hilft, inwieweit die sehr weitgehenden und anspruchsvollen Schutzstandards bis in die Gemeinden und Einrichtungen konsequent umgesetzt werden.

Dabei gibt es viel zu tun. Eine dringliche Bedarfserhebung formulierte Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenen im Forum. Sie fragt zum Beispiel: Warum stellen Betroffene keinen Antrag? Auf welche Hürden stoßen sie und auch diejenigen, die Anträge stellen, immer noch? Welche Hilfestellung benötigen sie konkret und individuell? Auf welche Erfahrungen können Meldestellen, Fachstellen oder andere Ansprechstellen zurückgreifen?

Oder die so dringend benötigte Unterstützung und juristischen Beistand für Betroffene in Straf- und Disziplinarverfahren, bei Anhörungen in den  Anerkennungskommissionen, sowie in der Begleitung bei der Beantragung von Unterstützungsleistungen. Sie ist es auch, die den Fokus ihrer Arbeit noch einmal deutlich macht: „Alles, was wir hier machen, muss Betroffenen unmittelbar zugutekommen. Uns geht es um konkrete, transparente und spürbare Verbesserungen.“

Enorme Aufgabe

Und dazu gehören Transparenz und einheitliche Standards, die sich an den Bedarfen von Betroffenen orientieren. So soll die Musterordnung noch einmal im Beteiligungsforum durchgearbeitet werden und nicht mehr nur eine Empfehlung, sondern vielmehr zu einem transparenten Standard für alle Landeskirchen werden. Dazu gehört aber auch Methoden und Wege zu entwickeln, wie das Wissen über Aufarbeitung, Intervention und Prävention bei allen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Gemeinden und in den Einrichtungen der Diakonie ankommt sowie in den Ausbildungsgängen der Pfarrer, Kantorinnen, Gemeindepädagogen, Pflegekräfte und aller Ehrenamtlicher verankert werden kann.

Janz brachte es auf den Punkt: In wenigen Monaten haben die Mitglieder des Beteiligungsforums schon viel geschafft. Aber es liegt eine große Agenda vor ihnen. Dies ist eine enorme Aufgabe. Allein in Magdeburg war der gesamte synodale Tagesordnungspunkt von Betroffenen, kirchlichen Beauftragten, dem Präsidium der Synode und den Vorsitzenden der Ausschüsse gemeinsam geplant und vorbereitet worden.

Es steht also viel auf dem Spiel. Die Frage, ob dieses Projekt zu einem Aushängeschild oder gar Impuls für andere Gesellschaftsbereiche gemacht werden kann, hängt daran, wie ernst und unmissverständlich kirchliche Vertreterinnen und Vertreter, Gremien auf allen Ebenen ihre Verantwortung wahrnehmen. Damit nicht alles Makulatur bleibt.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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