Platz für Gott?

Warum die Nobelpreise für Physik und Medizin auch theologisch bedeutsam sein könnten

Jahr um Jahr erscheinen, wenn in Stockholm die Nobelpreise bekannt gegeben werden, die entsprechenden Meldungen der großen Zeitungen auf dem Display meines Handys. Beim Literaturnobelpreis ist immer die spannende Frage, ob ich die ausgezeichnete Person kenne, gar schon etwas von ihr gelesen habe, oder mir das Preiskomitee eine Entdeckung beschert. Für die Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften muss ich meist noch einen Tag warten – dann erscheinen jeweils in einer großen Frankfurter oder Münchener Tageszeitung (und oft auch in meiner Berliner Tageszeitung) kluge Beiträge, die mir verständlich machen, warum eine bestimmte Entdeckung unmittelbar mit meinem Leben zu tun hat. Präziser formuliert: Erst dann begreife ich in aller Regel, warum das, was da ausgezeichnet wird, beispielsweise einschlägig ist für die potentielle Heilung einer Krankheit, die ich bekommen könnte, oder hilft, Mechanismen von Leben insgesamt zu verstehen.

In diesem Jahr war es erstmals vollkommen anders: In dem Augenblick, als ich die Namen der neuen Nobelpreisträger für Medizin und Physik las, die Namen von Svante Pääbo und Anton Zeilinger, war mir sofort etwas klar. Natürlich bin ich nicht über Nacht zu einem Experten für Molekularbiologie oder Quantenphysik mutiert und vermag die Leistungen der beiden Kollegen nur arg begrenzt im Rahmen ihrer jeweiligen Disziplinen zu begreifen und entsprechend zu würdigen. Aber mir war erstmals seit vielen Jahren in dem Augenblick, in dem ich die beiden Namen erfuhr, deutlich, dass hier zwei Nobelpreise für Forschungsleistungen vergeben wurden, die erhebliche Bedeutung für die Geisteswissenschaften und die Theologie haben. Mich wundert (und wundert dann auch nicht), dass ich davon bisher kaum etwas lesen konnte in den dafür einschlägigen Medien. Aber das Schweigen im Blätterwald und in den sonst so reich strömenden Kanälen der Social Media wundert dann auch wieder nicht.

Pandemien erforscht

Was ist nun aber die Bedeutung der in diesem Jahr ausgezeichneten Entdeckungen und damit ihrer Entdecker für die Geisteswissenschaften und die Theologie? Svante Pääbo, Direktor einer Abteilung für evolutionäre Genetik am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat, um es sehr kurz zu formulieren, die Möglichkeit der Sequenzierung von menschlicher DNA aus längst vergangenen Zeiten begründet – übrigens noch zu Zeiten der alten DDR an Material aus den Berliner Museen, der erste Artikel erschien in einer altertumswissenschaftlichen Zeitschrift noch vor dem Mauerfall und wurde damals kaum beachtet. Inzwischen forschen auf der Basis der Entdeckungen von Pääbo viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und gelangen zu beeindruckenden Ergebnissen. Johannes Krause, ein Leipziger Schüler von Pääbo, hat beispielsweise die molekularen Spuren des Erregers der mittelalterlichen Pest bis in die Steinzeit zurückverfolgt und seine evolutionären Schritte bei der Anpassung der Bakterien an den Säugetierwirt und den Zwischenwirt Floh rekonstruiert. Inzwischen ist er zu einem Experten für die Geschichte von Pandemien geworden und wird inmitten einer noch immer nicht abgeklungenen Pandemie gern um Vorträge gebeten, die erzählen, wie in vergangenen Jahrhunderten derartige Erkrankungen weite Landstriche befielen und wie die Menschen damit umgingen.

Das, was Pääbo möglich gemacht hat (seine spektakulärste Leistung war vermutlich die Sequenzierung des Neandertaler-Genoms), betrifft aber nicht nur die Vorgeschichte einer der vielen aktuellen Krisen. Nach Pääbo sieht die Geschichtswissenschaft anders aus als vorher. Die verschiedenen Pandemien der Vergangenheit wurden bisher anhand von schriftlichen Quellen studiert und anhand von materiellen Überresten. So steht es in jedem Methodenhandbuch der Geschichtswissenschaft. Materielle Überreste waren beispielsweise archäologische Ausgrabungen von Ortslagen, dort gefundene Keramik, Grabbeigaben und so weiter und so fort. Nun ist eine neue Quellengattung zu diesen beiden bisherigen hinzugekommen: das genetische Material. Es erlaubt, die Karten der Völkerwanderungen am Ende der Antike, die bislang immer aus etwas groben, in unterschiedlichen Farben gehaltenen Pfeilen bestanden, die die Wanderung von Goten oder Hunnen dokumentieren sollen, ungleich präziser zu zeichnen. Wir wissen nun, von woher in der Spätantike Seuchen in das Kerngebiet des byzantinischen Reiches eingeschleppt worden sind und könnten Stammbäume bedeutender Herrscherhäuser korrigieren: Kaspar Hauser ist definitiv kein Spross eines badischen Herrscherhauses, der von missgünstigen Verwandten um die Erbfolge gebracht werden sollte.

Teilchen in Beziehung

Anton Zeilinger, Professor für Physik an der Universität Wien und langjähriger Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, konnte nachweisen, dass in der Quantenwelt Teilchen eines Systems, die in keinerlei kausaler Verbindung stehen und sich selbst auch nicht vorhersagbar, sondern zufällig in bestimmten Art und Weise verhalten, überraschenderweise konvergent zufällig verhalten. Zwischen ihnen besteht also eine Beziehung, die nicht der Kausalität der Newtonschen Welt entspricht; man spricht von Quantenkommunikation oder auch von Quantenteleportation. Zeilinger hat diese Kommunikation nun nicht nur hypothetisch behauptet, sondern durch Messungen in seinem Wiener Institut und an anderen Orten der Welt mit seinen Mitarbeitenden dokumentiert. Damit hat er wie andere vor ihm nachweisen können, dass das Kausalgesetz – das schon der große Physiker Hermann von Helmholtz im letzten Jahrhundert als Hypothese rubriziert hat – nur in einem Teil der Welten, in denen wir leben, Geltung haben kann.

Natürlich hat auch diese Beobachtung erhebliche Folgen beispielsweise für die Geschichtswissenschaften, für die die Rekonstruktion von Kausalketten gleichsam zur DNA ihres Tuns gehört: Warum konnte sich Wilhelm I. mit Bismarcks Hilfe gegen widerstrebende Abgeordnete durchsetzen und sein Enkel Wilhelm II. am Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr? Natürlich finden historische Ereignisse nicht im Quantenraum statt. Aber der Quantenraum macht deutlich, dass grundsätzliche metahistorische Fragen wie die des Handelns in Raum und Zeit nicht mehr, wie gern üblich, mit einem Hinweis auf die Erkenntnisse von Kant über Raum und Zeit abgetan werden können. Anton Zeilinger formulierte jüngst, dass es vielleicht doch angezeigt sei, die Frage nach dem Wesen der Zeit wieder zu stellen.

Gott und die Wissenschaft

Die beiden Nobelpreise dieses Jahres haben viel mit den Geisteswissenschaften, insbesondere mit der Geschichtswissenschaft zu tun. Es wurden Forschungen ausgezeichnet, die im einen Fall eine neue Quellengattung erschlossen haben (die allerdings hermeneutisch so umsichtig interpretiert werden muss wie die bisherigen auch), im anderen Fall viel Stoff für erneute Grundlagenreflexion der metahistorischen Annahmen jeder Historik bereit hält. Haben diese Forschungen denn auch Bedeutung für die Theologie, also die wissenschaftliche Reflexion gelebter Religion im gedanklichen Rahmen einer konkreten Religion, beispielsweise des reformatorisch geprägten Christentums? Vergangene Generationen haben gern naturwissenschaftliche Entdeckungen daraufhin untersucht, ob sie als Beweis für die Existenz Gottes oder seines Handelns in der Welt herangezogen werden können.

Darum kann es natürlich bei einem verantwortlichen Umgang mit den Forschungen von Pääbo und Zeilinger nicht gehen. Aber man kann diese Forschungen zum Anlass nehmen, sich zu fragen, ob in den so präziser beschriebenen Welten und Wirklichkeiten vernünftigerweise Platz für die Hypothese ist, dass es einen Gott gibt, der uns und diese Welt geschaffen ist. Natürlich nicht, um unerklärte Lücken zu füllen oder mechanistische Weltbilder vergangener Tage zu repristinieren. Aber mich verwundert seit längerem, wie skeptisch gerade Theologen gern von der Hypothese reden, dass es einen solchen Gott gibt. Anton Zeilinger hat mit einer solchen Hypothese keine Schwierigkeiten. Er sollte es eigentlich wissen. Oder vielleicht etwas weniger ironisch formuliert: Bevor wir in der Theologie scheinbare Gewissheiten darüber statuieren, was man heute in der Wissenschaft über Gott vernünftigerweise sagen kann und was nicht, sollten wir vielleicht doch einmal mit den in diesem Jahr als besonders herausragend Ausgezeichneten reden. Dann würde nämlich deutlich, dass die Rede von Gott auch in einem wissenschaftlichen Weltbild unserer Tage sinnvoll sein kann und nicht nur einzig als Aussage über Menschen und ihren Glauben noch möglich ist.

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