Luzide

Medienrevolution zur Zeit Luthers

Die Erfindung des Buchdrucks veränderte die Welt. Für die Entstehung, Entfaltung und Entgrenzung der Reformation des 16. Jahrhunderts war das Druckgewerbe geradezu grundlegend. Obwohl dies längst zum historischen Allgemeinwissen gehört, sind die Aktivitäten und Interdependenzen der „Druckmacher“, das heißt Autoren, Verleger, Buchdrucker und -händler, weniger bekannt. Und genau hier setzt Thomas Kaufmann mit seinem neuesten Werk an, wenn er die Akteure des frühen 16. Jahrhunderts in den Blick nimmt.

In Analogie zum Begriff Digital Natives versteht er diejenigen, „für die der Umgang mit gedruckten Texten zu einer Selbstverständlichkeit geworden war“, als „Printing Natives“. Es bedurfte somit nach der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert der zweiten Generation, um das Innovationspotential zu nutzen und jene „erste Medienrevolution“ mit ihrem tiefgreifenden Kulturwandel zu entfesseln. Auch wenn nicht immer ganz eindeutig ist, was Kaufmann begrifflich genau unter Printing Natives – auch im Verhältnis zu den Digital Natives – versteht, ist die Darstellung des Göttinger Kirchenhistorikers höchst anregend und flott lesbar.

Nachdem in der Einleitung Parallelen zwischen digitalem und typografischem Medienwandel gezogen wurden, skizziert der Autor im ersten Kapitel die technischen und ökonomischen Voraussetzungen des Buchdruckes und seiner Werkzeuge inklusive der Expansion des Gewerbes. Zudem betont er die Entstehung von regional entgrenzten Kommunikationsräumen und Deutungsmöglichkeiten sowie die ablehnenden bis begeisterten Reaktionen von Kirche und Gelehrten auf den Buchdruck mitsamt seinen volkssprachlichen Drucken. Von der positiven Nutzbarmachung durch die Humanisten wird eine epochale Steigerung zu Luther und zur „protestantischen Erinnerungskultur“ gezogen. Luther habe aufgrund seiner apokalyptischen Weltsicht die „technische Errungenschaft der mechanischen Textreproduktion in einen heilsgeschichtlichen Horizont“ gerückt. Der Buchdruck sei daher zur „protestantischen Angelegenheit“ geworden, so die Suggestion bis weit ins 20. Jahrhundert.

Im zweiten Kapitel stellt Kaufmann „Männer des Buches“ wie Johannes Reuchlin und Erasmus von Rotterdam vor. Frauen hätten in der Welt des Buches „nur am Rande eine Rolle“ gespielt und zwar als Leserinnen und vereinzelt als Autorinnen, aber auch als Widmungsempfängerinnen, Mäzeninnen oder Töchter und Witwen von Druckern. Informativ ist die Darstellung des sogenannten Judenbücherstreites mit den „Dunkelmännerbriefen“ als vorreformatorisches Medienereignis.

Zentral ist schließlich das dritte, umfänglichste Kapitel „Publizistische Explosionen“. In ihm werden nun die Kommunikationsprozesse der Reformation – ausgehend vom traditionellen Reformationsbegriff mit Luther als Initiator – untersucht und die einzelnen (früh-)reformatorischen Entfaltungen anhand der drucktechnisch-literarischen, die reformatorische Öffentlichkeit formenden Entwicklung beschrieben. Neben Luther als Gravitationszentrum, dessen Tod sogar als „multimediales Sterben“ interpretiert wird, werden Karlstadt, Zwingli und Oekolampad, aber auch die „Echokammern der radikalen Milieus“ Hätzer und Müntzer exemplarisch thematisiert. Der Bauernkrieg – so Kaufmanns Beobachtung – werde durch die „Zwölf Artikel gemeiner Bauernschaft“, die als einer der meistgedruckten Texte der Zeit gelten, überhaupt erst zur Einheit geformt. Zurecht wird auf die illustrierten Einblattdrucke als besondere Form der Mobilisierung des „gemeinen Mannes“ im Rahmen der Reformation aufmerksam gemacht.

Unter dem Titel „Eine veränderte Welt“ werden im vierten Kapitel die Auswirkungen des Buchdruckes auf Bildung, Religion und Gesellschaft verhandelt. Luther steht auch hier mit seiner Bibelübersetzung, seinen Kirchenliedern und Katechismen im Fokus des Autors.

Ein Epilog, der die Parallelen zwischen drucktechnischer und digitaler Medienrevolution akzentuiert, rundet die mit einem reichhaltigen Anhang ausgestattete luzide Studie ab. Ob der Begriff „Printing Natives“ sich allerdings in der Reformationsgeschichtsforschung etablieren wird, bleibt abzuwarten.

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Foto: Anne Günther FSU Jena

Christopher Spehr

Dr. Christopher Spehr ist Professor am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.


 


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