Vita passiva

Über Hoffnung und Zuversicht

Man sollte sich von dem Umschlagmotiv und dem Titel nicht täuschen lassen: Gerhard Sauters im vergangenen Jahr erschienenes Buch Beseeltes Alter. Über Hoffnung und Zuversicht im Spätherbst des Lebens ist keine Lebenshilfeliteratur der Kategorie „Ratgeber für die späten Jahre“. Vielmehr bietet der emeritierte Systematische Theologe aus Bonn auf knapp 200 Seiten eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Diskursen über das Alter(n) und zugleich eine Exploration der Tragkraft biblischer Sprache und theologischen Denkens angesichts des Alters.

Sauter verlangt von seinen Leserinnen und Lesern einiges an Konzentration, wenn er sie durch eine Kritik gesellschaftlich dominanter Altersbilder hindurch zu theologischen Perspektiven auf das Alter anregt. Das Buch besteht aus zwei bereits veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätzen über „Menschen im Alter vor Gott“ und über die „Seele“ als „geprägte Lebendigkeit“ sowie aus einem bislang noch unveröffentlichten Essay „Was gibt das Altern theologisch zu denken?“. Viele Passagen sind anspruchsvoll geschrieben und dürften vor allem theologisch vorgebildete Leserinnen und Leser ansprechen. Wer sich in das Buch erst einmal hineintasten und es als Sprachschule für die seelsorgliche oder diakonische Arbeit mit Menschen im Alter nutzen möchte, kann die Lektüre mit dem leichter zugänglichen dritten Kapitel beginnen.

Sauter folgt durchgängig dem Anliegen, die Bilder vom „alterslosen Altern“ als Ideologie der Leistungsgesellschaft zu entlarven und das Alter stattdessen realistisch – und das heißt für ihn: theologisch – zur Sprache zu bringen. Er beschreibt das Alter als eine Lebenszeit „vor Gott“, um die Wirklichkeit des Alters unverstellt und in ihrer existenziellen Tiefe zur Geltung zu bringen und zu zeigen, was Menschen im Alter bedrängt, aber auch Trost fassen lässt. Daraus ergibt sich ein illusionsloser und zugleich hoffnungsvoller Blick auf das Alter(n), das bei Sauter nicht wie in weiten Teilen der Altersdiskurse als Gegenstand menschlicher Gestaltung, sondern als eine geschöpfliche Lebensform kenntlich wird. In biblisch-theologische Sprache gefasst erscheint das Alter(n) bei Sauter als Lebensvorgang, in dem Menschen in besonderer Weise Gott in seinem Wirken begegnen und darauf antworten können.

Vor diesem Hintergrund kritisiert Sauter die in der Ratgeberliteratur verbreitete Reduktion des Alterns auf die Verwirklichung letzter Möglichkeiten von Selbstwirksamkeit, der er eine Praxis des „Neuwerdens im Altwerden“ gegenüberstellt – eine Praxis des Alterns, die diesen Lebensvorgang transparent für Gottes schöpferisches und verborgenes Handeln am Menschen werden lässt und die ihren exemplarischen Ausdruck im Gebet findet. Sauter erschließt für seine Leserinnen und Leser das Beten und das Hoffen als Praktiken, durch die Menschen im Alter mit Gott leben. So bestimmt er die Lebenszeit und die Aktivitäten des Alters nicht von der knapper werdenden Zeit her, sondern als Praktiken einer vita passiva, in der sich menschliche Endlichkeit und Gottes Ewigkeit berühren.

Am Ende ist Sauters Buch vielleicht doch eine Art von Ratgeber. Allerdings erteilt es Rat von der Art, wie ihn Walter Benjamin in seinem Essay „Der Erzähler“ beschrieben hat, als „in den Stoff gelebten Lebens eingewebt“, als „Weisheit“. Dem 1935 geborenen Gerhard Sauter ist es, wie Benjamin sagt, „gegeben, auf ein ganzes Leben zurückzugreifen“. Er tut dies, indem er dieses Leben im Alter in den Horizont des Handelns Gottes stellt. Gerhard Sauter erzählt nicht, wie Altern gelingen kann. Er erzählt aber, was Menschen im Altern erwartet, wie sie im Alter auf Gott hin leben können und wie ihnen Gott dabei entgegenkommt. Wer darauf neugierig ist, lese dieses Buch.

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Foto: privat

Stefan Heuser

Dr. Stefan Heuser, geb. 1971, ist seit 2019 Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Technischen Universität Braunschweig. Zuvor war er Professor für Ethik in der Pflege an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt, Privatdozent an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.


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