Sicherheit für Sexarbeit

Nathalie Eleyth forscht nach einer evangelisch-ethischen Perspektive zur Prostitution
Nathalie Eleyth
Foto: Stephan Schütze

Theologische Ethik kann zur Versachlichung einer Debatte beitragen. Das ist gerade im Bereich der Sexarbeit nötig. Doch warum bleibt die evangelische Kirche sprachlos? Auch wegen dieser Haltung wählte Nathalie Eleyth (33) das Thema für ihre Promotion.

Bereits während des Theologiestudiums in Bochum stellte ich fest: Wenn sich Kirche oder Theologie überhaupt zu Fragen der Sexualität äußern, steht die partnerschaftlich orientierte im Fokus. Bei der Lektüre einschlägiger Fachliteratur konnte ich feststellen, Sexualethik ist im Wesentlichen Beziehungsethik. Pornografie, Sexarbeit, Sexualassistenz oder Casual Dating werden überhaupt nicht mit einbezogen oder reflektiert, was meiner Meinung nach ein großes Forschungsdesiderat ist. Dabei ist die Sexarbeit eines der größten Streitthemen im deutschen Feminismus und Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher Debatten. Und deshalb stellte sich mir die Frage, warum die evangelische Kirche, die sich zu vielerlei moralisch-ethischen Fragen äußert, bei diesem Thema sprachlos bleibt. Wie kann es sein, dass man sich aus diakonischer Perspektive in dem Feld der Prostitution engagiert, aber keine theologisch-ethische Grundlagenposition dazu hat?

„Wie ist Sexarbeit aus evangelischer Perspektive zu bewerten?“, lautet meine Forschungsfrage. Dabei thematisiere ich, was unter Sexarbeit zu verstehen ist, wie der rechtliche und politische Rahmen in Deutschland gesetzt ist, ich skizziere heterogene Arbeits- und Lebensrealitäten von Menschen in der Prostitution und stelle den gesellschaftlichen Diskurs mit seinen zum Teil einander unversöhnlich gegenüberstehenden Meinungen dar. So behaupten die einen, es gebe keine freiwillige Sexarbeit, im Gegenteil, freiwillige Prostitution sei ein Widerspruch in sich und eine Form (frauenspezifischer) Gewalt. Andere behaupten, Menschen könnten dieser Arbeit selbstbestimmt nachgehen, auch migrantische, rassifizierte nicht-weiße Frauen, die häufig von viktimisierenden Stereotypisierungen betroffen sind. So lange Kriterien wie die der Vertragsmündigkeit, Freiwilligkeit, des Konsens, des Respektierens von Grenzen gewährleistet seien, sei das eine Arbeit, die als solche auch anzuerkennen sei und die nicht vom Staat kriminalisiert werden sollte.

Die EKD-Denkschrift zu Fragen der Sexualethik (1971) entkoppelte erstmalig sexuelles Begehren und Fortpflanzung, hielt jedoch am Sexualitätsmonopol der Ehe fest. Auch gegenwärtige Sexualethik-Entwürfe beschreiben, dass verantwortungsvolle Sexualität ihren Ort in der auf Dauer angelegten Paarbeziehung hat, die von Verlässlichkeit, Vertrauen und Verantwortung geprägt ist. Da schließen sich meine Grundfragen an: Können wir Sexualität jenseits der Paarbeziehung als verantwortungsvolle Sexualität ansehen? Und welche Kriterien müssen wir dafür aus evangelischer Perspektive entwickeln? Darf man Sexualität kommerzialisieren, und wo liegen die Grenzen der Körperkommerzialisierung? Im Dialog mit den Humanwissenschaften und auf Basis biblisch-theologischer Perspektiven zu Sex­ualität frage ich weiter: Wie weit geht die sex­uelle Freiheit eines Christenmenschen?

Paternalistische Diskurse und Moralpanik

Im Rahmen einer medienethischen Sicht auf Sexarbeit analysiere ich ferner, wie über (und nicht mit) Menschen in der Sexarbeit gesprochen wird und nehme paternalistische Diskurse, Moralpanik, anek­dotische Beweise und Desinformationen wahr, die kaum Bezug auf die kritische Sexarbeitsforschung nehmen.

Essenziell in meiner Arbeit ist auch die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Gendergerechtigkeit. Zwar arbeiten in dem Bereich Frauen, Männer, trans und nonbinäre Personen, aber mehrheitlich geht es um eine weibliche Dienstleistung, die von einem männlichen Kundenkreis in Anspruch genommen wird. Ist das ein männliches Privilegiensystem? Trägt dieses dazu bei, patriarchalische Strukturen aufrecht zu erhalten? Wird möglicherweise Prostitution so häufig als gewaltvoll und ausbeuterisch wahrgenommen, weil wir keine geschlechtergerechten Vorstellungen von (genitaler) Sexualität haben und folglich Sexarbeit als bedrohlichen Ort männlicher Verletzungsmacht und weiblicher Verletzungsoffenheit denken? Ein arbeitsethischer Blick unternimmt den Versuch, evangelische Perspektiven zu guter, gelingender Arbeit in Bezug auf Sexarbeit zu profilieren, und setzt sich kritisch mit Selbstbestimmung zur und in der Arbeit, Sicherheit, im Arbeitsschutz, in der Professionalisierung und in Berufsverbänden auseinander.

Abschließend mache ich den Ertrag der ethischen Analyse für das diakonische Arbeitsfeld fruchtbar. Die Diakonie positioniert sich bundesweit unterschiedlich zu Sexarbeit: Während die Diakonie Hamburg die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit und akzeptierende Sozialarbeit fordert, sieht die Diakonie Heidelberg in der Prostitution eine Verletzung der Menschenwürde und votiert für das Schwedische Modell.

Ansätze der Enttabuisierung

Es gibt bereits wichtige Ansätze der Enttabuisierung von Sexarbeit im evangelischen Raum. Hier ist zum einen die EKD-Denkschrift „Freiheit digital“ zu nennen, die sich unter anderem intimen Beziehungen im digitalen Raum widmet und den Bereich der sexuellen Dienstleistungen beleuchtet. Ethisch bedenklich bei Webcamsex sei weniger die Mikroebene, also die Darstellung, solange Freiwilligkeit, Konsensprinzip und ein lebensdienlicher Körperumgang gewahrt bleiben. Vielmehr sei die digitale Dokumentation der Sexarbeit zu problematisieren, da die Verwertungsrechte des Bildmaterials mitunter bei Plattformen liegen. Dies stellt eine wichtige Erweiterung des Diskurses dar. Zum anderen überwinden Gottesdienste anlässlich des Internationalen Hurentags, wie sie in der Bochumer Pauluskirche gefeiert werden, die kirchliche Sprachlosigkeit und zentrieren die Anliegen von vielfach mehrfach marginalisierten Menschen in der Sexarbeit.

Es braucht mehr Forschung zu Sexarbeit, vor allem Studien, die sich nicht nur mit Aussteigerinnen oder bestimmten Orten der Prostitutionsausübung befassen, sondern das gesamte Feld in den Blick nehmen. Zusätzlich braucht es Theologinnen und Theologen, die sich ohne Scham kontext-, gegenwarts- und gendersensibel mit Sexarbeit auseinandersetzen und durch ihre Expertise zu Ethik zur Versachlichung emotionalisierender Diskurse beitragen. 

 

Aufgezeichnet von Kathrin Jütte
 

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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