Aus Ehrfurcht vor der Schöpfung

Die Evangelischen Frauen in Deutschland sind für das Recht auf Selbstbestimmung von Trans Menschen. Und Sie?
Foto: privat

Christentum und Geschlechterpolitik sind nicht grade ein Traumpaar. Die Beziehung ist zerrüttet, seit sich die Kirche im 19. Jahrhundert entschieden hat, die aufkommende Frauenbewegung nicht zu unterstützen, sondern zu bekämpfen. Wo Feministinnen für Gleichberechtigung und sexuelle Freiheit eintraten, predigten christliche Theologen von einer göttlichen Schöpfungsordnung, in der ein für alle Mal festgelegt sei, wie Geschlecht zu verstehen sei – nämlich als klare Unterscheidung zwischen genau zwei Körpervarianten, männlich und weiblich.

Die katholische Kirche hält im Großen und Ganzen immer noch an dieser Linie fest. Auf evangelischer Seite ist hingegen das Bemühen spürbar, mit dem Zeitgeist Schritt zu halten. Dabei humpelt sie dem Diskurs allerdings immer ein bis zwei Dekaden hinterher: Ob es um Frauenwahlrecht, Zugang zum Pfarramt oder die Akzeptanz von Homosexualität ging – immer war die evangelische Kirche erst nach langen, leidigen Debatten so weit, den emanzipatorischen Fortschritt nachzuvollziehen.

Tagespolitisch aktuell

Wie wäre es, wenn wir mal vorne mit dabei wären? Wenn wir uns zu Themen äußerten, über die jetzt gerade diskutiert wird? Transgeschlechtlichkeit zum Beispiel. Darüber reden sich die Leute zurzeit die Köpfe heiß. Wie hängen Geschlechterkonzepte und biologische Körpervarianten zusammen? Sollen wir an der traditionellen Unterscheidung in Frauen (gleich Menschen mit Vulva und XX-Chromosomen) und Männer (gleich Menschen mit Penis und XY-Chromosomen) festhalten? Oder sollen wir anerkennen, dass diese beiden Dinge – reproduktive Körpervariante und Geschlechtszugehörigkeit – auseinanderfallen können?

Auch tagespolitisch ist das Thema aktuell, weil das deutsche Transsexuellengesetz in zahlreichen Punkten als verfassungswidrig eingestuft wurde. Nun plant die Bundesregierung, ein Selbstbestimmungsgesetz einzuführen, wonach nicht mehr der Staat die geschlechtliche Zugehörigkeit eines Menschen definiert, sondern die betreffende Personen selbst. Über das Vorhaben besteht allerdings noch keine Einigkeit. Viele sehen darin die Verwirklichung alter feministischer Grundsätze, manche befürchten jedoch den Verlust weiblicher Schutzräume und frauenpolitischer Errungenschaften, wenn die strikt biologische Definition von Geschlecht aufgegeben wird.

Eine spannende, relevante, aktuelle Frage also. Und was sagt die evangelische Kirche dazu? Nichts! Durchsucht man die Seite EKD.de nach „Selbstbestimmungsgesetz“, bekommt man null Treffer. Etwas sarkastisch könnte man meinen, die Kirche wartet erstmal ab, welche Seite gewinnt, bevor sie sich dann auf die Seite der Sieger schlägt.

Breite Diskussion

Anders machen es jetzt die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD). Als Autorin dieser Zeilen stehe ich der Sache zugegebenermaßen nicht neutral gegenüber, denn ich bin Mitglied im Präsidium der EFiD. Als solches bin ich allerdings stolz, dass unsere Mitgliedersammlung kürzlich eine klare Stellungnahme verabschiedet hat, und zwar einstimmig: Wir unterstützen das Recht auf Selbstbestimmung transgeschlechtlicher Menschen und lehnen eine biologistische Definition von Geschlecht ab: Trans Frauen sind Frauen! Trans Männer sind Männer!

Das Papier entstand in einem breiten Diskussionsprozess der fast vierzig Mitgliedsverbände, der ein Jahr dauerte und mit Fortbildungen, Rückmeldungen, Neuformulierungen und allem PiPaPo sämtliche Aspekte des Themas ausleuchtete. Hier können Sie es lesen.

Standpunkte deutlich machen

Sicher werden nicht alle Evangelischen diese Position teilen, vermutlich nicht mal alle evangelischen Frauen. Aber das ist auch nicht der Punkt. Man kann sich doch nicht immer erst dann zu einem Thema äußern, wenn sicher ist, dass niemand widerspricht! Worauf es ankommt ist, dass christliche, evangelische, theologische Argumente und Standpunkte in der gesellschaftlichen Debatte vernehmbar werden.

Eine Teilnehmerin bei der EFiD-Mitgliederversammlung brachte auf den Punkt, was auf dem Spiel steht: „Wenn die Ewige diese Menschen so geschaffen hat“, fragte sie, „wie können wir das nicht akzeptieren?“ Genau das ist es, worum es beim Thema Transgeschlechtlichkeit geht: die Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung. Oder, säkular gesprochen: die Frage, ob wir Menschen das Recht haben, unsere eigene Auffassung von dem, was „normal“ sei, anderen überzustülpen – oder wir uns damit nicht eine Autorität anmaßen, die eigentlich Gott gebührt.

Die Evangelischen Frauen in Deutschland haben sich in dieser Frage klar positioniert. Und nun dürfen auch Sie gerne: Diskutieren!

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