Friedenslogik statt Sicherheitslogik

Warum eine neue Entspannungspolitik dringend erforderlich ist
Friedensdenkmal vor dem UN-Gebäude in New York
Foto: pixelio/Rainer Sturm
Friedensdenkmal vor dem UN-Gebäude in New York

Pazifismusschelte und „Militärbesoffenheit“ prägen die öffentliche Debatte zum Krieg gegen die Ukraine, kritisiert Ulrich Frey. Der langjährige Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF) setzt dieser Kriegslogik das Konzept der Friedenslogik entgegen. Dies könne auch die wachsende Gefahr eines Atomkrieges verringern.

Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich mein Mitdenken und Mitfühlen mit all den Zivilisten und Soldaten bekennen, die jetzt in der Ukraine und in Russland leiden, verzweifeln oder zu Tode kommen. Alle diese Menschen sind Opfer eines grausamen Krieges.

Wir erleben gegenwärtig eine handfeste Kriegslogik in der öffentlichen Debatte, eine wahre „Militärbesoffenheit“ und Pazifismusschelte. Das ist ein Denken in den schwarz-weißen Kategorien von Freund und Feind. Wir verstricken uns in Konfrontationen und Verhärtungen. Wir verlieren unsere Orientierung. Was ist wahr, was Strategie oder Taktik? Falsch ist offensichtlich: Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Nötig ist stattdessen eine Orientierung an dem Konzept der Friedenslogik, so wie es etwa Mitglieder der AG Friedenslogik der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung im Frühjahr diesen Jahres beschrieben haben. Es denkt von dem Ziel her, Frieden zu schaffen. Friedenslogik ist geeignet, konkrete Schritte im Dialog gegen Misstrauen und Einschüchterung anzuleiten. Friedenslogik hat einen gewaltfreien Kern. Der musss sich durchsetzen. Friedenslogik macht immun gegen den bellizistischen Fehlschluss, allein Kriegslogik sei stark und Friedenslogik sei schwach.

Abschreckung hat versagt

Im Gegenteil: Kriegslogik verschlimmert das Ausmaß der Gewalt. Versagt hat die militärische, auf Abschreckung basierende „Friedenssicherung“. Friedenslogisches Denken und Handeln eröffnet jedoch unbekannte Denk- und Handlungsräume gegen aktuelle Kriegsgefahr. Friedenslogik ermöglicht pluralistische Positionierungen und gibt Raum für Zweifel und kritische Fragen. Richtig ist: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor“ oder biblisch gesprochen: „Lass Dich vom Bösen nicht besiegen, sondern überwinde es durch das Gute!" Friedenslogik fordert dazu auf, alles zu versuchen, um Gewalt zu beenden, Konflikte zu deeskalieren und konstruktiv zu transformieren, Opfer zu schützen und Leid zu mildern, Völkerrecht und Menschenrechte zu stärken, sowie aus Fehlern zu lernen und Empathie zu fördern.

Konkrete Folgerungen daraus für eine Entspannung im Ukraine-Russland-Krieg sind: Die Entwicklung einer neuen Entspannungspolitik unter den gegenwärtigen geopolitischen Rahmenbedingungen unter Einschluss von China. Dazu gehört als eine existenzielle Herausforderung, den von Russland angedrohten Einsatz von Atomwaffen zu verhindern. Deshalb darf die NATO keine Kriegspartei werden. Strategisch notwendig ist es, ein Abgleiten des Ukraine-Russland-Krieges in einen Krieg der NATO gegen die Atommacht Russland zu verhindern.

Reale Atomkriegsgefahr

Die Gefahr eines Atomkrieges ist real, weil Präsident Putin glaubhaft mit dem Einsatz russischer Atomwaffen droht und auch in der NATO eine integrierte Verteidigung durch Atomwaffen mit einer konventionellen Kriegführung diskutiert wird. Die USA und Russland verfügen je über rund 6.000 strategische und taktische Atomsprengköpfe. Ukrainische Atomkraftwerke, gegenwärtig unter Beschuss, sind potenzielle Atombomben.

Friedenslogisch gegen das Misstrauen wirkt am besten eine gesichtswahrende Krisendiplomatie auf Augenhöhe zwecks Ausstieges aus dem sich entgrenzenden Krieg. Verhandlungen über einen Waffenstillstand und garantierte Regelungen zum gegenseitigen Überleben sind angesagt, etwa  über den Verzicht der Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der NATO. Das Kriegsziel des Sieges über Russland würde sonst so stark eskalieren, dass beide Seiten sich gemeinsam in den Abgrund stürzen und sich kollektiv vernichten. Inzwischen fordert auch China einen Waffenstillstand und eine schnelle Lösung, die den „legitimen Sicherheitsbedenken aller Parteien“ entspricht.

Die Vertreter der Friedenslogik wenden sich eindeutig gegen die Lieferung von schweren Waffen. Gewaltfreie Proteste gegen die Aggressoren und Maßnahmen der sozialen Verteidigung sowie Kriegsdienstverweigerung und Desertation sind zu unterstützen. Die zahlreichen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen sind zu ahnden. Sichere humanitäre Fluchtwege und humanitäre Hilfen für die Zivilbevölkerung sind zu vereinbaren. Der Beschuss von ziviler Infrastruktur wie z.B. von Krankenhäusern muss aufhören. Die Vereinten Nationen und die OSZE können dazu gute Dienste leisten.

Dieser Krieg wird irgendwann einmal enden. Dann stehen sehr lange und schwierige Anstrengungen zunächst um eine Wiederannäherung und später vielleicht auch um Versöhnung und Vergebung nach unermesslichem, gegenseitig zugefügtem Leid an.

Neue Friedensordnung

Bemühungen um eine Neugestaltung der europäischen Friedensordnung mit Abkommen zu konstruktiver Konflikttransformation stehen auf der künftigen politischen Tagesordnung, wie wir es nach der Beendigung des Kalten Krieges erlebt haben. Eine zentrale Aufgabe wird sein, die Atomwaffen weltweit zu bannen. Das ermöglicht der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) mit seinen gegenwärtig 86 Unterzeichnerstaaten. Er formuliert konkrete Schritte zur umfassenden Ächtung von Atomwaffen und Möglichkeiten der überprüfbaren Abrüstung oder Abzug von stationierten Atomwaffen. Er wurde gegen die Stimmen der Atomwaffenstaaten - bei Enthaltung Deutschlands - von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 7. Juli 2017 beschlossen. Nach der Ratifizierung durch 50 Staaten ist er völkerrechtlich am 22. Januar 2021 in Kraft getreten. Die internationale Zivilgesellschaft ist stolz darauf, dass der international organisierte Verband ICAN mit vielen Mitgliedern auch in Deutschland, unter anderem IPPNW, diesen Vertrag durchgesetzt hat.

Der AVV widerspricht nicht dem NATO-Vertrag und stützt den atomaren Nichtverbreitungsvertrag von 1968 (NVV). Der AVV ist verbindliches Recht für die Vertragsstaaten und muss durch nationale Maßnahmen umgesetzt werden. Er entzieht den Atomwaffen die völkerrechtliche Legitimität. Er verbietet u.a. die Finanzierung von Atomwaffen. Deutschland ist als Mitglied der NATO dem AVV bisher nicht beigetreten. Auf seinem Territorium lagern gegenwärtig in Nörvenich/Niederrhein bis zur Fertigstellung der Umbauten in Büchel/Eifel 20 US-Atomwaffen. Diese werden im Falle eines Atomwaffeneinsatzes von deutschen Bombern und Piloten im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ ins Ziel geflogen. Der AVV untermauert die Absage der Friedensbewegung an Geist, Logik und Praxis der nuklearen Abschreckung einschließlich der damit verbundenen nuklearen Teilhabe. Die Unterzeichnung des AVV durch Deutschland und der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland ist überfällig.

Das Szenario „Sicherheit neu denken - von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ realisiert das Konzept der Friedenslogik. Es empfiehlt von 2025 bis 2030 die Aushandlung und Umsetzung erneuter weitreichender Abrüstungsverträge sowie einer Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft mit Russland bzw. der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Das Szenario verdient unsere volle Unterstützung. Genauso wichtig wie die Entspannungspolitik ist es, den Ukraine-Krieg im Zusammenhang mit der Klima- und der Hungerkrise zu behandeln. Südsee-Inseln dürfen nicht im Meer versinken und Menschen dürfen in Ostafrika nicht Hungers sterben, weil wir im globalen Norden Milliarden Euro im Krieg verbrennen. Auch deshalb ist das 100 Milliarden-Programm für die Bundeswehr schädlich.

Die Auseinandersetzungen um Frieden gehen weiter. In aller Bestimmtheit sage ich: Wir lassen uns nicht entmutigen.

Grundlage des Textes war eine Rede bei der Kundgebung und Demo am 1. Oktober 2022 in Köln auf dem Heumarkt „Schluss mit dem Krieg“ im Rahmen des bundesweiten Aktionstages der Friedensbewegung, Aufruf des Kölner Friedensforums und des Friedensforums Bonn und weiterer Organisationen

 

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