Marke Evangelisch?

Warum Kirche und Diakonie ein eigenes Label entwickeln sollten
„Otto baut hier eine Synagoge“ steht auf einem Plakat am Bauzaun der Baustelle der Synagoge Magdeburg, September 2022.
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„Otto baut hier eine Synagoge“ steht auf einem Plakat am Bauzaun der Baustelle der Synagoge Magdeburg, September 2022.

Kirche, Diakonie und andere evangelische Einrichtungen sollten die Bildung einer Marke „Evangelisch“ gemeinsam und im wechselseitigen strategischen Interesse angehen. Damit könnten sie eine historische Chance nutzen, meinen die Berliner Historikerin Jessica Gienow-Hecht und Johannes Krug, Superintendent des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf.

Was haben IKEA und der schwedische Staat gemeinsam? Organisatorisch zunächst einmal nichts: Das Unternehmen möchte etwas verkaufen; dafür benötigt es kein Mandat vom Volk. Die vom Volk gewählte Regierung dagegen steuert das Land und vertritt es nach außen, ohne dafür einen materiellen Gewinn erzielen zu müssen. Entsprechend sind auch die Organisationslogiken von Staat und Unternehmen grundverschieden: die eine ist an legislative und exekutive Routinen angepasst, die andere unternehmerisch ausgerichtet.

Was also haben IKEA und der schwedische Staat gemeinsam? Auf den zweiten Blick natürlich sehr viel: Beide haben „das Schwedische“, sein Image– wie immer man es definieren mag - als gemeinsame Schnittmenge. Der schwedische Staat musste zum Beispiel bei seinen aktuellen Debatten über einen möglichen NATO-Beitritt berücksichtigen, dass die 200 Jahre dauernde Neutralität für Viele zum schwedischen Nationalgefühl gehört. Ebenso berücksichtigt das Geschäftsmodell IKEAs den guten Ruf des zeitlos-schlichten skandinavischen Designs und darüber hinaus die Vision Schwedens als einem „guten“ Land.

Beide, Staat und Unternehmen, handeln also mit schwedischer Erbmasse. Beide formulieren daraus Antworten für die Gegenwart. Beide hoffen, dass sich diese Antworten auch morgen noch als richtig erweisen.

Natürlich wissen Staat und Unternehmen um ihre gemeinsame Schnittmenge. Längst haben sie erkannt, welchen Nutzen sie wechselseitig voneinander haben: Eine besonnen-friedlich-freundliche Politiktradition lässt sich als „gutes Gefühl“ in den blaugelben Filialen mitverkaufen. Ebenso lässt sich eine weltweit beliebte Produktpalette außenpolitisch in Handlungsspielraum und Imagewährung ummünzen. Das gilt selbstverständlich auch umgekehrt, und auch hier bilden beide eine Schicksalsgemeinschaft: Würde IKEA in einen Skandal, zum Beispiel durch Kinderarbeit verwickelt, beträfe das auch den guten Ruf des schwedischen Staates. Wäre der Staat ein Bündnispartner eines illiberalen Regimes, so hätten es womöglich auch die besten IKEA-Produkte derzeit schwer (und es ist vor dem Hintergrund des russisch-ukrainischen Krieges kein Zufall, dass IKEA seine Filialen in Russland bereits Anfang März geschlossen hat: hier geht es nicht allein um Gefahr für die Mitarbeiter*innen sondern auch um das Image Schwedens im kommerziell-politischen Bereich.)

Es zeigt sich: So sehr sich IKEA und der schwedische Staat hinsichtlich ihres Aufbaus, ihrer Organisation und Ziele unterscheiden, so sehr treffen sie sich doch in ihrem gemeinsamen Interesse. Ihre Schnittmenge ist die „Marke Schweden“ – zeitlos, friedlich, funktional, sozial integrativ. Gemeinsam mit weiteren Akteuren verantworten und verhandeln sie das Erbe der Marke. Gemeinsam organisieren sie die Transformation der Marke in die Gegenwart. Und gemeinsam tragen sie Verantwortung dafür, dass die Marke Schweden auf der Höhe einer sich verändernden Zeit bleibt. Versagen der einen Seite trifft auch die andere Seite, erfolgreich können sie nur gemeinsam sein. Dabei ist es bemerkenswert, dass es keine formelle Zusammenarbeit zwischen Staat und Hersteller gibt; IKEA selbst hat dies in der Vergangenheit abgelehnt.

Die evangelische Landschaft in Deutschland – der Status quo

Die evangelische Landschaft in Deutschland ist von großer Heterogenität geprägt, die im Laufe von Jahrhunderten historisch gewachsen ist und heute zur evangelischen DNA gehört. Das gilt auch dann, wenn man die unüberschaubare Fülle von Freikirchen einmal außenvor lässt: Da sind die 20 Landeskirchen der EKD (deren Strukturen keineswegs identisch sind) mit ihrer Fülle von Kirchenkreisen und Gemeinden mit je eigener Geschichte, eigenem Profil und eigenen Räumlichkeiten. Da ist die Vielzahl der diakonischen Träger mit ihren teils gewachsenen und teils sich dynamisch verändernden Tätigkeitsbereichen. Die ersten sind vor bald 200 Jahren von Christinnen und Christen aus der Kirche bewusst neben der Kirche gegründet worden und haben ihr eigenständiges Bewusstsein bis heute ganz selbstverständlich bewahrt. Da sind schließlich evangelische Schulen in unterschiedlicher Trägerschaft, evangelische Hochschulen, der evangelische Religionsunterricht, die evangelischen Kitaverbände, Tagungshäuser, Wohnungsunternehmen, Stiftungen, Kommunitäten, Fördervereine, GmbHs etc.

Es gibt keine Landkarte, auf der das evangelische Angebot in Deutschland übersichtlich verzeichnet wäre. Auch im eng begrenzten Sozialraum sucht man in der Regel vergeblich, was evangelisch geboten wird. Wie viele Menschen, die ihr Kind in einer evangelischen Kita anmelden möchten, einen Pflegeplatz für die demenzerkrankte Großmutter suchen oder Bedarf an Ehe- und Familienberatung haben, gehen im undurchdringlichen Website-Dschungel verloren? Selbst die evangelischen Profis brauchen im Gebiet eines Kirchenkreises viel Zeit, bis sie ein Beziehungswissen aufgebaut haben, das neben der eigenen Einrichtung auch die weiteren evangelischen Partner kennt, die ebenfalls vor Ort unterwegs sind. Es bleibt ein zusammengesuchtes Expertenwissen, das wenigen Ortskundigen vorbehalten ist. Kaum erstaunlich, vielmehr strukturimmanent ist daher die logische Folge: Der verengte Blick auf die je eigene Institution ist verbreitet, sei es die Gemeinde, der Kirchenkreis, der eigene diakonische Träger, die eigene Schule etc.

Dieser verbreitete Zustand ist paradox – nicht nur, weil die evangelischen Akteure in den Augen ihrer Zielgruppe natürlich zusammengehören und alle „irgendwie Kirche“ sind. Paradox ist das auch, weil Zielgruppenorientierung zum Anspruch aller evangelischen Akteure gehört – evangelische Schulen, diakonische Angebote, Kirchengemeinden usw. sind nach ihrem gemeinsamen Selbstverständnis schließlich für alle Menschen da, unabhängig von ihrem Taufschein, ihrer Gesundheit oder Herkunft, ihres Alters oder Vermögens. Aus der Zuständigkeit für alle, die allen gemeinsam ist, erwächst paradoxerweise allerdings kein Bewusstsein gemeinsamer Zuständigkeit. Anders formuliert: Die evangelischen Geschwister, die vom christlichen Selbstverständnis wirklich „Brüder und Schwestern“ und von außen tatsächlich als Familie gesehen werden, agieren weithin noch als Einzelkind.

Natürlich haben viele evangelische Familienangehörige das Problem längst erkannt. Allerdings bleiben die üblichen Lösungsreflexe in der Regel wirkungslos: Da ist der Kampf um die besten Plätze auf dem Friedhof der Flyer – als hätte das bloße Auslegen von Infomaterial je einen messbaren Nutzen gehabt. Da ist der heroische Besuchsmarathon in die Gremien der anderen Einrichtungen, um das eigene Angebot besser bekannt zu machen – als hätte das, wenn überhaupt, mehr als nur einen kurzfristigen Effekt. Und da ist schließlich die satzungsgeschützte Gewohnheit, in die Leitungsgremien von evangelischen Einrichtungen auch Kirchenvertreter*innen zu berufen – als wäre damit allein schon etwas gewonnen. Es bleibt die Realität: Trotz aller Bemühungen haben Grußworte: „Kirche und Diakonie - ein starkes Team“ einen normativen-, keinen deskriptiven Klang.

Warum sich das ändern muss

Der Status quo ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das liegt erstens an der Zeit, welche die meisten Institutionen auch außerhalb der Kirche zum Umdenken führt. In der VUCA-Welt (das englische Akronym steht übersetzt für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit) suchen kleine, aber auch sehr große Organisationen ihre Stabilität auf neuen Wegen. Während früher der pyramidale Aufbau stabilisierend wirkte und die innere Organisation von definierten Prozessabläufen, einem dichten Regelwerk und verlässlichen Verwaltungsroutinen geprägt war, erkennt man heute stärker die Notwendigkeit, flexibel bzw. agil reagieren zu können auf eine Zeit, die sich schnelltaktig ändert.[1] Stabilität in instabilen Zeiten suchen kleine wie große Einrichtungen heute in Netzwerken, die unterschiedlich dicht geknüpft sein können. In die Welt des World Wide Webs scheint organisationspraktisch am ehesten das Agieren im Netzwerk zu passen. Der Status quo des „Nebeneinanderher“ ist deshalb, allerdings auch aus weiteren Gründen für alle evangelischen Akteure nicht mehr auf der Höhe der Zeit:

Ein zweiter Grund: Aktuell ist die Nachricht, dass in Deutschland Christen evangelischer und katholischer Tradition erstmals weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen. Das ist eine historische Zäsur und dürfte doch nur eine Zwischenstation sein: Es gilt sich auf die ungewohnte Rolle einer Minderheit einzustellen, die Vor- und Nachteile mit sich bringt. In jedem Fall lohnt es sich allerdings, an Erfahrungen früherer Generationen zu erinnern: Unter widrigen Bedingungen waren Missionsstationen dann erfolgreich, wenn sie auf drei Säulen gebaut waren: Gottesdienst – Diakonie (zum Beispiel eine Krankenstation) – Bildung (zum Beispiel eine Schule). In Situationen des Minimums erweist sich offensichtlich das Netz am tragfähigsten.

Drittens: Der Vertrauensverlust, den insbesondere die verfasste Kirche erfährt, kann auch die anderen evangelischen Einrichtungen nicht unberührt lassen. Sie leben letztlich nicht nur vom guten Ruf ihrer eigenen Arbeit, sondern auch vom Grundvertrauen in das Evangelische, das auch in Gottesdiensten, Seelsorge, Jugendarbeit etc. gewonnen oder verspielt wird. Der Erfolg jeder einzelnen Einrichtung hängt auf Dauer immer auch von dem Erfolg der evangelischen Partner ab. Da die verschiedenen Rechtsträger in den Augen ihrer Zielgruppen als Teil der evangelischen Familie wahrgenommen werden, profitieren sie von dem Erfolg ihrer Geschwister ebenso wie sie früher oder später betroffen sind von ihrem Bedeutungsverlust. Sie bilden, wie IKEA und der schwedische Staat, eine Schicksalsgemeinschaft. Das Paulus-Bild von 1 Korinther 12 gilt auch für den evangelischen Familienverbund: Ein Leib, viele Glieder.

Und viertens: Die großen diakonischen Einrichtungen sind von der sog. „Deinstitutionalisierung“ betroffen. Sie brauchen - abseits der eingehegten Mauern einer „Anstalt“- evangelische Gemeinden und weitere Partner zur Profilbildung.

Zusammengefasst zeigt sich: Das heute noch weitgehend beziehungslose Nebeneinanderher, ist

- anachronistisch (weil nicht mehr auf der Höhe der VUCA-Zeit),

- untauglich, in einer Situation der Minderheit neue Kraft zu entfalten,

- ignorant gegenüber der Tatsache, dass die evangelische Familie nicht nur eine Hoffnungs-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft ist.

- phantasielos in Zeiten der „Deinstitutionalisierung“ großer diakonischer Träger.

In allem gilt: Das Nebeneinanderher evangelischer Geschwister verfehlt das biblische Niveau von 1 Korinther 12. Dagegen ist der Blick von außen, der die evangelischen Einrichtungen letztlich als Familie sieht, der Binnenperspektive weit voraus.

Was wir tun können

Wir vertreten die These, dass es im Interesse aller evangelischen Akteure ist, sich am Vorbild des „Nation branding“ zu orientieren und gemeinsam an der „Marke Evangelisch“ zu arbeiten. Vorweggesagt: Es gibt sie ja längst, die Marke „Evangelisch“. Sie hat ja bereits alles, was eine Marke mit sich bringt: einen Inhalt (die gute Botschaft Alten und Neuen Testaments, im wirtschaftlichen Kontext wäre hier von „Produkt“ die Rede), ein Image, einen Ruf und eine Zielgruppe. Das alles gibt es bereits. Nur haben die verschiedenen evangelischen Einrichtungen das in der Regel weder im Bewusstsein noch die Chance erkannt, die in der gemeinsamen Marke für sie liegt.

Marken rufen im besten Fall eine emotionale Reaktion gegenüber einem Inhalt (Produkt), einer Dienstleistung oder einer Organisation hervor. Marken sprechen an, bringen besser als lange Produktbeschreibungen Inhalte auf den Punkt - sie sind einfach, einprägsam und im besten Falle: ehrlich und authentisch. Eine Marke kann in sich durchaus eine bunte Angebots-Palette vereinigen – sie findet in der Marke ihr gemeinsames Dach. Wie Schweden der gemeinsame Nenner von Billy, Astrid Lindgren und politisches Vertrauenskapital ist, kann „Evangelisch“ für Gottesdienste, Asylverfahrensberatung, gute Schule und vieles andere mehr stehen. Marken binden Angebote zusammen, sie sind hoch integrativ - und Marken binden Menschen ein. In der bewussten Arbeit an einer Marke können, wie am Beispiel IKEA und dem schwedischen Staat gesehen, verschiedene, sehr heterogen organisierte Rechtsträger zusammenfinden, die gemeinsam ein Interesse an der Marke haben. Und das 100% gremienfrei.  

Das Ziel von Gruppen-, Institutionen-, oder auch “Nation branding” ist es, die Glaubwürdigkeit, die Sichtbarkeit, den Einfluss und auch die Attraktivität von Staaten und Organisationen zu erhöhen, darüber hinaus aber auch, Talente und Persönlichkeiten zu gewinnen sowie negative Perzeptionen, Isolation und Missmut abzubauen.[i] Der Prozess muss nicht notwendigerweise zentral gelenkt sein; denkbar -am Beispiel Schweden, s.o.- ist auch ein loses, dezentrales Zusammenspiel verschiedener gesellschaftlicher Akteure. Beim „Nation Branding“ sind dies in der Regel Akteure aus den Sektoren Politik, Wirtschaft, Kultur, Tourismus und Gastronomie, ggf. auch Bildung. Markenbildung gelingt dann am besten, wenn allen Beteiligten bewusst ist, Teil einer Marke zu sein.

Branding funktioniert in der Regel anhand eines dreiteiligen Prozesses: Selektion, Projektion und Rezeption.

Selektion versucht, positive Charakteristika zu identifizieren, die das Land, das Produkt oder die Organisation definieren. Zu diesem werden sowohl auswärtige aber auch interne Perzeptionen der Einrichtung untersucht, zwischen denen häufig eine erhebliche Diskrepanz besteht.

In der Projektion geht es um die Entwicklung möglicher Mechanismen der Einführung und -veränderung. Hier steht im Zentrum die Überbrückung von Fremd- und Eigenperzeption. Marketingexperten suchen sich bestimmte Instrumente der Werbeindustrie aus, um spezifische Charakteristika erfolgsversprechend zu vermarkten.

In der Rezeption schließlich geht es um das Portrait und den Weg zu den Zielgruppen, deren Perzeptionen verändert werden sollen. Hier verwenden Experten in der Regel Strategien, die die Anerkennung und Wertschätzung des Produktes (sprich: den Staat, die Organisation) sicherstellen sollen. Im Zentrum stehen hier die sogenannten “unique selling points“ (deutsch: Alleinstellungsmerkmale), deren Akzentuierung und ständige Wiederholung zur Schaffung einer besonderen “corporate identity” (deutsch: Unternehmensidentität) beitragen. Hierbei ist es von großer Wichtigkeit, dass alle Mitglieder (ganz gleich, ob es sich um Staatsbürger oder Organisationsmitglieder handelt), die Marke tatsächlich „leben“ und das Beste aus dem Ruf der Marke machen.[ii] Das System funktioniert nur dann, wenn das Versprechen der Marke mit der Realität des Produktes und den Menschen, die diese Marke bedienen, übereinstimmt. Wenn dies nicht der Fall ist, so bleibt jegliches Branding wirkungslos. Ein Beispiel: Gleich nach seinem Beitritt zur EU versuchte Rumänien, mit Hilfe von Werbekampagne Investoren für das Land zu gewinnen. Poster und Filme portraitierten die Literatur des Landes, die Gastfreundlichkeit der Menschen, die Schönheit der Bukowina. Nichts davon konnte die Sorge vor der Korruption des Landes entkräften. So blieb die Kampagne zwar teuer aber auch wirkungslos.

Bestandsaufnahme im Sinne einer Selektion

Hieraus folgt, dass zunächst zur Entwicklung der Marke „Evangelisch“ eine Bestandsaufnahme im Sinne einer „Selektion“ notwendig ist. Was ist allen evangelischen Einrichtungen gemeinsam, was funktioniert besonders gut (und was nicht), was hebt sie ab von anderen Glaubensgemeinschaften? Der wache Blick für die Schwachen? Vertrauenswürdigkeit? Gute Bildung? Das freie Gewissen?

Sodann müssen in der Projektion Strategien und Instrumente entwickelt werden, die die vorhersehbare Lücke in der Fremd- und Eigenwahrnehmung von „Evangelisch“ schließen. Hier wäre es ratsam, die Hilfe von Werbestrateg*innen und Kommunikationsexpert*innen heranzuziehen. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:

a. Audiovisuelle Attribute wie zum Beispiel Logos, Farben, Bilder, Typographie, ggf. auch Töne spielen hier eine übergeordnete Rolle. Sie werden immer wieder verwandt und schaffen einen Wiedererkennungswert, der Zielgruppen hilft, „Evangelisch“ zu unterfüttern und zu unterscheiden von anderen Denominationen.

b. Verbale und nichtverbale Schlüsselaussagen wie zum Beispiel ein Bild, eine Vision, Slogans, humorvolle Kernaussagen können Emotionen wecken, die Zielgruppe ansprechen und mit ihr verbinden, analog zu IKEAs „Weil es Dein Zuhause ist“.

Schließlich gilt es in der Rezeption zu klären, wer denn überhaupt die Zielgruppe ist, deren Einstellung verändert oder zunächst einmal geschaffen werden sollte. Was wirtschaftlich mitunter sehr arbeitsintensiv sein kann, ist für die evangelischen Einrichtungen eigentlich sehr einfach. Theologisch führen verschiedene Wege (von der Schöpfungs-, Menschensohn- oder Pneumatologie) zu dem gleichen Ergebnis: Das Evangelium ist für die Welt da, die Botschaft gilt allen. Es wäre vielleicht marktwirtschaftlich sinnvoll, aber ganz unevangelisch, die Sendung auf eine Zielgruppe zu reduzieren. Das schließt natürlich nicht aus, dass einzelne Einrichtungen spezialisiert sind, evangelische Grundschulen zum Beispiel auf Kinder. Allerdings sind auch die spezialisierten evangelischen Angebote grundsätzlich offene Angebote. In evangelischen Grundschulen zum Beispiel sind Kinder unabhängig von ihrer konfessionellen Prägung, Herkunft oder Gesundheit willkommen.

Idealerweise gelingt es der Kirche, sowohl Mitarbeiter*innen und Gemeindemitglieder als auch Nichtmitglieder anzusprechen, indem sie einen Katalog von Alleinstellungsmerkmalen entwickelt, die „Evangelisch“ nicht nur auszeichnen und attraktiv machen, sondern auch ihre Mitglieder hinreichend inspiriert, diesen Katalog zu leben. Hierzu können Mitarbeiter*innen knappe und eingängige Informationen vermittelt werden:

a. Definition einer Marke und warum sie für die evangelische Kirche wichtig ist

b. Fehlerquellen und Instruktionen beim „Leben“ der Marke

c. Schlüsselworte und -sätze, Slogans, die das Herz der evangelischen Kirche reflektieren und bei den Zielgruppen gut ankommen

d. Stimmung und Stimmlage, wie genau können einzelne Mitarbeiter*innen die Werte, die Aufgabe und v.a. die Vision der ev. Kirche vermitteln können

e. Informationen zu Farben, Typographie, Logos, Bilder, Töne und deren angemessenem Gebrauch

f. Instruktionen zu sozialen Medien, Webseite, Videos, Livestreams etc.

Die Langlebigkeit von Produkt und Marke sollte mit Blick auf die Zielgruppe nicht aus dem Auge verloren- und v.a. nicht überstrapaziert werden. „Evangelisch“ steht zunächst einmal für Tradition, so wie im ganz anderen Segment die Berliner Philharmoniker oder Nivea für eine lange Geschichte stehen. Traditionsmarken brauchen eine besonders sensible Entwicklung und Pflege mit dem Anspruch, alte „Fans“ nicht zu verlieren und neue zu gewinnen. Sowohl Lufthansa als auch Coca-Cola, auch zwei Traditionsmarken, wurden mit Beschwerden überhäuft, als sie ihr Logo bzw. ihre Teilmarke verändern wollten.

Ganz wichtig ist die Erfahrung: Jede Marke – auch die Marke „Evangelisch“ - lebt v.a. durch sich selbst, nicht durch die für sie entwickelte Werbestrategie: Sie muss gut und richtig, attraktiv und visionär, ehrlich und interessant, dazu auch ein bisschen vage und unspezifisch bleiben – damit genau diese Attribute dann wirksam vermarktet, oder übertragen formuliert: öffentlich wahrgenommen werden können.

Noch einmal: Die Marke „Evangelisch“ hat bereits alles, was eine Marke braucht. Es gibt sie längst. Doch ist das den evangelischen Familienmitgliedern in der Regel noch gar nicht bewusst. Fokussiert auf die eigene Einrichtung verkennen sie, dass die Marke „Evangelisch“ ein Gemeinschaftswerk ist und dass ihr eigener Beitrag am besten zusammen mit den Beiträgen anderer evangelischer Partner funktioniert. Noch wird vielerorts unterschätzt, was es bedeutet, eine Schicksalsgemeinschaft zu sein, d.h. wechselseitig vom Erfolg und Versagen betroffen zu sein. Noch wird die Chance nicht genutzt, das Evangelische als Marke gemeinschaftlich auf dem Markt zu vertreten. Wenn es gelänge, die unzähligen kleinen und kleinsten Budgets für Öffentlichkeitsarbeit auch nur für ein einziges Jahr in einer Kasse zu versammeln, hätte es die Marke Evangelisch ganz nach vorn in der Aufmerksamkeit gebracht.

Zusammenfassend formuliert, bedeutet evangelische Markenbildung:

- Beteiligung aller evangelischen Akteure und damit: Einstieg in das evangelische Netzwerk

- Arbeit an der Schnittstelle und damit: Erschließung der Ressourcen, die nur im Teamspiel gewonnen werden können.

- Evangelische Profilbildung und damit: Öffentlichkeitsarbeit im Interesse aller.

Die erste gute Nachricht: Evangelische Markenbildung geht überall: regional begrenzt bis zur EKD-weit.

Die zweite gute Nachricht: Evangelische Markenbildung lebt von der informellen, ergebnisorientierten gemeinsamen Suche der lokalen Akteure und ist damit eine Alternative zum Gremienprotestantismus.

Die dritte gute Nachricht ist die eigentliche gute Nachricht: Evangelische Markenbildung stellt die gemeinsame Erbmasse wieder an den Anfang als das A und O: Gottes Verheißung in der Bibel Alten und Neuen Testaments als das gemeinsame Fundament aller evangelischen Einrichtungen.

Der Zeitpunkt ist günstig für die Marke Evangelisch! Warum eigentlich? Wir glauben, dass der Zeitpunkt aus mindestens folgenden Gründen günstig ist:

- Für die meisten diakonischen Träger ist die verfasste Kirche -noch- ein relevanter Partner. Dass dies so bleibt, ist keine Selbstverständlichkeit.

- In der verfassten Kirche reift – endlich – die Einsicht, dass sie ausstrahlungsstarke Partner benötigt, wenn sie eine relevante Größe im Sozialraum bleiben möchte.

- Alle evangelischen Akteure stehen vor der zunehmenden Herausforderung, geeignetes Personal zu gewinnen, das für das evangelische Profil steht, es verkörpert. Strategische Personalgewinnung und -entwicklung lässt sich gemeinsam erfolgreicher organisieren als wenn jede Einrichtung für sich im überfischten Gewässer angelt.

- Diakonische Einrichtungen, evangelische Schulgründungsinitiativen, auch Stiftungen und sonstige evangelische Angebote benötigen Immobilien – Flächen und/oder Raum. Die verfasste Kirche verfügt über einen immer noch erheblichen Immobilienbesitz, der bislang allerdings vielfach nur extensiv genutzt wird. In Zeiten abnehmender Kirchensteuer setzt sich die Immobilienentwicklung von selbst auf die Tagesordnung. Sofern die verfasste Kirche den Fehler begeht, diese Aufgabe allein anzugehen, gerät sie in die Falle einer resignativ gefärbten Rückzugsdebatte. Doch mit Beteiligung von weiteren evangelischen Partnern wird die Immobilienentwicklung zur strategischen Chance, gemeinsam ausstrahlungsstarke und wirtschaftlich tragfähige evangelische Orte zu schaffen.

Konzentration auf die Schnittmenge

Die gemeinsame Arbeit an der Marke „Evangelisch“ bedeutet Konzentration auf die Schnittmenge der unterschiedlichen evangelischen Träger. Ohne ihre historisch gewachsenen Strukturen und Organisationslogiken in Frage zu stellen, bietet das Bewusstsein für und die Arbeit an der Marke Evangelisch den Raum, gemeinsame Interessen zu benennen und voranzutreiben. Evangelisches Markenbewusstsein ist zugleich der Einstieg in ein Netzwerkdenken, dem heute am ehesten zugetraut wird, in Zeiten des WWW bestehen zu können. Damit bietet die gemeinsame Arbeit an der Marke „Evangelisch“ ebenso ganz grundsätzliche wie auch im Bereich Personal- und Immobilienentwicklung sehr praktische Vorteile für alle Beteiligten. Die integrative Marke „Evangelisch“ ist für alle evangelischen Einrichtungen eine große und für die verfasste Kirche möglicherweise erst einmal letzte strategische Chance.

 

[1] Sebastian Klein u.a.: Der Loop-Approach, Frankfurt a.M. u.a. (2019), S. 8, Otto Scharmer: Change Management morgen – 13 Thesen, in: Organisationsentwicklung 4 (2011), S. 36, Frederic Laloux: Reinventing Organizations visuell, München (2017), S. 59.

 

[i] Temporal, Branding for the Public Sector, 13, 264; Lee Hudson Teslik, “Nation Branding Explained” (9 November 2007): http://www.cfr.org/information-and-communication/nation-brandingexplained/p14776#p5.

[ii] Gyorgy Szondi, “Public Diplomacy and Nation Branding: Conceptual Similarities and Differences”, in Virginie Duthoit and Ellen Huijgh, eds., Discussion Papers in Diplomacy (The Hague, 2008), 5.

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Foto: Martin Funck

Jessica Gienow-Hecht

Dr. Jessica Gienow-Hecht ist Professorin für die Geschichte Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.


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