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Dialog über Gott und die Welt

Philosophie und Religion sind dafür bekannt, dass sie die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen. Und auch dafür, dass beide bei der Beantwortung der Frage nicht nur in Streit geraten können, sondern sich zuletzt gar die Kompetenz absprechen. Auf keinen Fall kann dann noch das alte Modell einer Arbeitsteilung hilfreich sein, wonach die Philosophie die Frage stellt, die nur von der Religion und von deren akademischer Schwester, der Theologie, beantwortet werden kann.

Es scheint darum aussichtsreich, wenn sich beide nicht als akademische Disziplinen, sondern in persönlichen Gesprächen zweier Fachvertreter treffen. Unter dem Vertrauen weckenden Titel Mensch, was denkst du? verständigen sich im vorliegenden Buch der Philosophielehrer Andreas Schnieder und der Religionslehrer Jens Burgschweiger über die sachlichen Inhalte und pädagogischen Erfahrungen, die sie zwar in verschiedenen Unterrichtsfächern, aber an derselben Schule gemacht haben.

Da sie dies in Briefen tun, erleben Leserinnen und Leser über den Gedankenaustausch hinaus auch, wie die fachlichen Differenzen überbrückt werden können und wie sich die Freundschaft zwischen beiden Kollegen intensiviert.

Beide Lehrer möchten sich beim Miteinander mit jungen Menschen nicht auf ihre im Studium gegossenen intellektuellen Formen und Formeln zurückziehen, sondern offen sein für die Alltagskultur und für die gerade durch die Pandemie bedrängende Gegenwart des Jahres 2021.

So wird die Sinnfrage zur praktischen Nachfrage, welche Formen der Teilnahme und Teilhabe am Leben dem einzelnen Menschen heute geboten und möglich sind und mit welcher Aussicht und Hoffnung sich Menschen auf die kreative Weitergabe dessen, was sie empfangen haben, einlassen können. Das Lebensgefühl weitet sich vom Eindruck, ein Rädchen im Getriebe zu sein, zum Bewusstsein, das Ganze mitzugestalten.

Die für die Philosophie wie für die Religion konstitutiven Begriffe Freiheit, Verantwortung und Entscheidung werden im Gespräch aus ihren systematischen Verbindungen gelöst und oft in Erzählungen aufgelöst und fruchtbar gemacht. Schopenhauer, Sartre, Camus sowie Luther, Barth und Bonhoeffer werden dabei nicht nur mit ihren Positionen benannt, sondern begegnen uns auch als Zeugen ihres Denkens.

Die Philosophie sieht den Menschen zur Freiheit bestimmt, die Religion sieht ihn von Gott dazu befreit. Keine von beiden kann von vornherein dem Menschen die Freiheit versprechen, denn diese ist nur wahr, wenn sie als existenzielle Entscheidung zum verantwortlichen Umgang mit den Mitmenschen und der Lebenswelt wirklich wird. Das Denken wahrt seine Freiheit im Zweifel, der Glaube in der subjektiven Gewissheit. Die Verständigung zwischen den beiden Lehrern über das Gemeinsame ihrer Unterrichtsfächer kreist immer wieder um die „Brücke“, auf die sich beide wagen und sich Schritt für Schritt ein Herz fassen müssen.

Ohne allzu viel Kirchentagsrhetorik zu bemühen, ist auf dieser Brücke der Kleine Prinz zu treffen, der dazu einlädt „mit dem Herzen zu sehen“ und sich mit Liebe zu begegnen.

Die Gespräche plädieren durchweg im Sinne des Philosophen und Theologen Johann Gottfried Herder für die Weltoffenheit, die den Menschen erst zu dem macht, was ihn vom Tier unterscheidet. Sie lässt ihn zweifeln, aber auch hoffen und glauben. Vielleicht an Gott und sicher an den Menschen als transzendierende Wesen.

Beachtlich neben dem Möglichkeitssinn des Buches ist auch dessen Wirklichkeitssinn, wenn es zur pandemischen Lage heißt: „Was Corona aber aus uns macht, können wir jetzt noch nicht erahnen.“

So lässt sich bei der inzwischen durch den Krieg verschärften Lage dieses schöne Buch von seinen Leserinnen und Lesern fortschreiben, damit vielleicht doch noch der Satz vom Guten im Menschen von einer Annahme zu einem Erfahrungssatz werden kann.

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