Ende der Debatte

Wenn eine Spanierin als nicht „richtig divers“ gilt
Foto: Christian Kruppa

Mitgliederversammlung. Die Debatte ist quälend, lang und redundant. Entschlossen schreitet eine Teilnehmerin zum Mikrofon, hebt beide Arme, Antrag zur Geschäftsordnung, Ende der Debatte. Eine formale Widerrede ist erlaubt, dann wird abgestimmt. Die Mehrheit entscheidet, ob weiterdebattiert wird.

Diesem demokratischen Prozess entziehen sich manche, auch feministische, gern „woke“ genannte Kreise inzwischen immer mehr. Sobald eine nach eigener Angabe von Rassismus betroffene Person feststellt, dass Rassismus vorliege, heißt es: Rassismus ist keine Meinung und damit Ende der Debatte. Wer weiterdiskutieren will, wird zum Beispiel auf Social-Media-Plattformen gebrandmarkt. Du bist weiß und rassistisch, kannst damit auch keine Feministin mehr sein. Die einzige Erwartung: Erkenne die Richtigkeit unserer Position, entschuldige Dich, dann kannst Du unter Bewährungsauflagen wieder dabei sein.

Offenbar wollen viele weiße, meist jüngere, Frauen, selbst frei von eigener  Diskriminierungserfahrung, unbedingt auf der richtigen Seite stehen.

Die viel beschworene Diversität wird inzwischen oft nur eingeschränkt definiert: als sichtbar migrantisch. Da wird eine Spanierin als Podiumsgast wieder ausgeladen, weil sie nicht „richtig divers“ sei. Gerade als Deutsche befremdet mich, wenn Menschen wieder nach ihrem Aussehen klassifiziert und beurteilt werden, egal mit welcher Intention.

Wer Diversität fordert, muss sich zu wahrer Vielfalt bekennen. Wir brauchen die Solidarität mit allen, die aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Identität, Alter, Weltanschauung oder Behinderung diskriminiert werden; auch mit denen, die in Kindheit und Jugend kaum Zugang zu Bildung und Geld hatten. Als lesbische Frauen leben wir in Deutschland seit einigen Jahren in einer großartigen Zeit; nie konnten wir uns so frei bewegen, nie so selbstverständlich die Ehefrau zur Party mitbringen oder bei der Arbeit vom gemeinsamen Urlaub mit der neuen Partnerin sprechen. Und doch können wir uns längst nicht sicher vor Angriffen oder subtiler Diskriminierung sein.

Menschen, die rassistisch abgewertet, beleidigt und angegriffen werden, müssen geschützt, Täter*innen als solche benannt und belangt werden. Keine Frau mit Kopftuch darf angegriffen werden; kein schwarzes Kind rassistisch beleidigt, kein asiatisch aussehender Jugendlicher ausgeschlossen werden. Genauso wenig wie Behinderte, Menschen aus Ostdeutschland, Obdachlose – alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten geboren.

Was die Nicht-Debatte zum Rassismus so befremdlich macht, ist die Eindeutigkeit des Urteils und gleichzeitig die Schwammigkeit der angelegten Parameter. Rassismus wird zum „Umbrella-Term“, einem Oberbegriff. Relativ neu unter diesem Begriffs-Schirm ist der „antimuslimische Rassismus“. Um muslimische Frauen zu schützen, darf in der Folge in einer Karikatur zum Islamismus keine Frau mit Kopftuch gezeichnet werden, denn sie würde 1:1 für alle Muslima genommen. Das sei Rassismus. Ende der Debatte.

Dagegen wird christlich des Öfteren als nur weiß, europäisch und damit abzulehnen gekennzeichnet. Karikaturen wären vermutlich erlaubt.

Religion steht zurecht unter dem Schutz des Grundgesetzes; religiöser Fundamentalismus jeglicher Couleur aber gefährdet die Freiheit von Frauen, spricht lesbischen und transsexuellen Frauen das Lebensrecht ab. Das wiederum müssen wir benennen, statt zu verharmlosen, wie es manche beim Islamismus tun.

Zu den schwammigen Parametern gehört auch der Umgang mit Zahlen. Inzwischen gehört es zum quasi rituellen Ablauf einer Frauenveranstaltung mit meist um die 60 Teilnehmerinnen, dass eine schwarze Frau als Erstes fragt, warum außer ihr keine andere Schwarze da ist. Ergo: Die Veranstaltung sei nicht divers. Zur Wahrheit gehört, dass in Deutschland nur jede 80. Person als schwarz erkennbar ist. Die Quote wäre also erfüllt. „People of Color“ zu zählen ist schwieriger, denn die Definition ist auch hier schwammig.

Oftmals wird in diesem Zusammenhang die Zahl von 26 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland angeführt. Es wird nicht direkt so gesagt, aber durch den Kontext wird assoziiert: Auf einem Podium mit vier Personen müsse jeweils eine sichtbar migrantische Person sitzen. Die 26 Prozent sind aber alle Personen, deren Eltern seit 1948 in Deutschland eingewandert sind oder die selbst im Ausland geboren wurden, sei es in Polen oder der Türkei, Schweden oder Kamerun. Nur 13 Prozent sind laut Statistik deutsche Staatsbürger*innen.

Ehrlich wäre es daher zu sagen: Wir sind als sichtbar migrantische und von Rassismus betroffene Menschen zu lange nicht präsent gewesen, wir wollen zeitweise überkompensieren. Einverstanden, aber bitte behauptet nicht, wir anderen wären eine homogene, rassistische Masse alter weißer Frauen. Nur gemeinsam können wir gegen Rassismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gewinnen. 

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Foto: Christian Kruppa

Friederike Sittler

Friederike Sittler ist Abteilungsleiterin Hintergrund Kultur und Politik, von Deutschlandfunk Kultur in Berlin und Vorsitzende des Journalistinnenbundes, einem Netzwerk von Frauen in den Medien.


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