Nicht nur Mammon

Die Bibel erklärt es: vom Segen, der auf geteiltem Reichtum ruht
Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus nach dem Lukasevangelium in einer katholischen Bilder-Bibel.
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Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus nach dem Lukasevangelium in einer katholischen Bilder-Bibel.

Luxus oder Verschwendung stehen nicht im Zentrum prophetischer Kritik der Reichen, sondern die Gewalt, mit der Mächtige ihre gesellschaftliche Position ausnutzen und sich aneignen, was den Schwächeren gehört. Was die Bibel zu Reichtum sagt – und was nicht –, macht der altkatholische Theologe und Sozialethiker Franz Segbers deutlich.

Die Armutsdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2006 weist ausdrücklich darauf hin, dass „Armut“ nicht ohne „Reichtum“ diskutiert werden kann. Tatsächlich aber ist „Reichtum“ in Theologie und Kirche eher ein Nicht-Thema. Die schroffen Worte Jesu vom „Kamel, das leichter durchs Nadelöhr geht als ein Reicher ins Reich Gottes“ (Mt 19,24 parr) oder gar die Gegenübersetzung von „Mammon“ und „Gott“ (Mt 6,24) können glauben lassen, dass die Bibel Reichtum rundum ablehne, ihre pauschalen Aussagen seien undifferenziert und kaum hilfreich für eine angemessene theologisch-sozialethische Reflexion über Reichtum, Kapital oder Vermögen in modernen Gesellschaften. Doch ein solcher Vorwurf wird der Bibel keineswegs gerecht. So wenig sie Armut verklärt, dämonisiert sie Reichtum. Ihre Rede über Reichtum ist vielmehr analytisch präzise und ethisch differenziert.

„Was ihr den Armen geraubt, ist in eurem Hause“ (Jes 3,14): Den Schlüssel zu einem Verständnis des keineswegs systematischen Gesamtbildes der Bibel in der Bewertung von Reichtum können drei Aspekte bilden: Erstens wird der Reichtum nicht an sich kritisiert, sondern nur ein solcher Reichtum, der auf Kosten der Verarmung anderer erworben wird. Weil er aus Enteignungsprozessen entstanden ist, attackieren die Prophetinnen und Propheten im Alten Israel diesen Reichtum. Jesaja bringt diesen gewaltförmigen Prozess der Aneignung auf den Begriff: „Was ihr den Armen geraubt, ist in eurem Hause“ (Jes 3,14). Die Reichen haben Weinberge (Am 2,8; vgl. 1. Kön 21,1–29), Häuser (Mi 2,9; Jes 5,8) oder Felder (Mi 2,2; Jes 22,13) an sich gerissen und in ihre Hände gebracht.

Diese Analyse wird zweitens in einer unzweideutigen Kritik bewertet. Luxus oder Verschwendung der Reichen machen keineswegs das Zentrum prophetischer Kritik aus, sondern die Gewalt, mit der Mächtige ihre gesellschaftliche Position ausnutzen und sich aneignen, was den gesellschaftlich Schwächeren gehört. Eine Kritik, die besagt „wer Reichtum erwirbt, doch nicht zu Recht“ (Jer 17,11), steht für einen breiten Traditionsstrom prophetischer und weisheitlicher Texte. Er stellt einen Zusammenhang von Akkumulation, Gewalt und Missachtung des Rechts her. Amos sagt es so: „Sie achten kein Recht, spricht der Herr; sie horten Gewalttat und Raub in ihren Palästen“ (Am 3,10). Eine solche Missachtung des Rechts der Armen hat schließlich Folgen für die gesamte Gesellschaft. Sie führt unweigerlich in eine gesellschaftliche Katastrophe. Doch diese wird von den Reichen und Mächtigen ignoriert. Man wägt sich in Sicherheit, wie der Prophet Micha höhnisch die Haltung der Reichen beschreibt, wenn sie sagen: „Wir werden nicht so zuschanden werden“ (Mi 2,6, auch Am 6,6). Diese drei Aspekte zeigen, dass über Reichtum und seine Herkunft in der Bibel analytisch sehr präzise und auch ethisch differenziert gesprochen wird.

Auch wenn die Analyse der Herkunft des Reichtums, deren ethische Bewertung und die Folgen der Ausbeutung und widerrechtlichen Aneignung im alten Israel Auge in Auge von Armen und Reichen, also direkt zwischen Personen sich ereigneten, wird für eine theologisch-ethische Reflexion dennoch eine unaufgebbare Grundeinsicht formuliert: Reichtum ist so wenig wie Armut ein Naturereignis, sondern wird von Strukturen und Rechtsverhältnissen gemacht. Der biblische Blick lehrt, nach der Herkunft des Reichtums zu fragen und ob er eine Folge von Gewalt, auch struktureller Gewalt, ist.

Zur Debatte steht nicht die Verteilung am oberen Ende und unteren Ende, sondern ein „exklusiver Reichtum“ der obersten ein Prozent, ja vielleicht sogar der obersten 0,1 Prozent. Dieser ist exklusiv, weil er sich von der Gesellschaft abhebt und exklusive Privilegien für sich in Anspruch nimmt. Exklusiver Reichtum sichert ein Leben in einem enthobenen Paralleluniversum. Nach einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2020 entfallen über 67 Prozent des Nettogesamtvermögens auf das oberste Zehntel der Verteilung, 35,3 Prozent des Nettogesamtvermögens konzentrieren sich beim reichsten ein Prozent der Bevölkerung, und das reichste 0,1 Prozent kommt immer noch auf 20,4 Prozent des Nettogesamtvermögens.

Seit 1995 hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung fast 20-mal mehr Vermögen angehäuft als die ärmere Hälfte der Menschheit. Ein exklusiver Hyperreichtum in schier unvorstellbaren Dimensionen steht zur Rede, den so wenige Menschen nie zuvor auf diesem Planeten hatten. Die Hilfsorganisation Oxfam weist seit Jahren immer wieder drauf hin, dass nur sehr wenige hyperreiche Milliardäre so viel Vermögen besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit.

Unglaubliche Vermögensmasse

Auch angesichts einer solchen für biblische Zeiten unvorstellbaren Akkumulation von Reichtum kommt die prophetische Kritik im Alten Israel nur scheinbar wie aus einer fernen Zeit und völlig fremden Welt. Denn der fremde Blick der Bibel lehrt nicht nur, nach der Höhe des Reichtums zu fragen, sondern vor allem nach der Herkunft dieser unglaublichen Vermögensmasse und ihrer Legitimität. Mögen die Prozesse der Reichtumsakkumulation heutzutage hochkomplex, systemisch, undurchschaubar und vor allem in einer schier unvergleichlichen Größenordnung organisiert werden, hält das biblische Reden über Reichtum dazu an, die analytische Frage nach der Herkunft des Reichtums und seiner Legitimität an den Anfang aller theologischen Rede zu stellen. „Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand.“ (Jer 22,3)

Prophetische Kritik an Unrecht und Ungerechtigkeit findet ihren Niederschlag im Recht der biblischen Sozialgesetze. Diese stellen den Versuch dar, die prophetische Analyse und Kritik in bindendes Recht einmünden zu lassen, um die Gesellschaft gerecht zu gestalten. Deshalb stellen die Rechtsregeln der Tora einen Schlüssel für das Verständnis des biblischen Gesamtbildes in der Bewertung des Reichtums dar.

Da Gott die Schöpfung reich ausgestattet hat, kann der Psalmist über die Menschen sagen: „Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses“ (Ps 36,9). Für das Zusammenleben in diesem Haus formuliert die Tora Hausregeln: den Sabbat zum Schutz der Arbeitenden, ein Brachjahr zum Schutz der Ressourcen des Bodens (Ex 21,10), ein Sabbatjahr zur Entschuldung (Dtn 15,–11), ein Jobeljahr für eine Landreform zur Korrektur der Akkumulation von Landbesitz (Lev 25,8–55) und viele weitere.

Keine Sache der Barmherzigkeit

Die Sorge um den Nächsten in Not ist keine Sache der Barmherzigkeit, auf die Arme keinen Anspruch haben; vielmehr machen die Rechtsregeln der Tora die Armen zu Rechtsträgern, für deren Rechte die Reichen einzutreten haben. Dtn 14,29 ist die wohl älteste bekannte Fassung einer Art von Sozialsteuer der Vermögenden zur Finanzierung einer Sozialhilfe für Bedürftige, die aus einem Eingriff in die Eigentumsrechte der Besitzenden stammt. Vom Reichtum, vom üppigen Ertrag der Felder, Weinberge und Äcker wird durchweg positiv gesprochen, doch unter einer Bedingung: Segen liegt auf Reichtum nur, wenn zugunsten der Armen, der Witwen und Waisen in Eigentumstitel eingegriffen wird. So entsteht durch Umverteilung ein Segenskreislauf, der vom Reichtum über die Armen zu den Reichen zurückkommt. Denn gegen die Macht der Stärkeren hilft nur die Stärke eines Rechts, das für den Segenskreislauf des Reichtums von den Reichen zu den Armen sorgt. Der Segen, der von Gott ausgeht, wird über die Armen an die Reichen vermittelt. Ein geteilter Reichtum bringt erneut Segen hervor, „auf dass dich der Herr, dein Gott, segne in allen Werken deiner Hand, die du tust“ (Dtn 14,29; 24,19).

In Eigentumsverhältnisse zugunsten der Bedürftigen einzugreifen, ist tief eingelassen in die vom biblischen Ethos geprägte europäische Kultur. Wie ein Widerhall klingt dieses Ethos in der Sozialpflichtigkeit des Eigentums wider. So erteilt Artikel 14 Absatz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes dem Gesetzgeber das Recht, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen.

Mit der „Sozialsteuer“ in Dtn 14,29 wird ein Verständnis von Steuern gezeichnet, das auch für moderne Gesellschaft relevant ist, stellen doch Steuern den Schlüssel dar, der für die gesellschaftliche Verteilung von Armut und Reichtum von entscheidender Bedeutung ist. Auch wenn das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als wesentlicher Maßstab für Gerechtigkeit gilt, haben doch die Gesetzesänderungen der letzten Jahrzehnte dazu beigetragen, dass die Steuern auf große Vermögen und hohe Vermögenseinkommen reduziert wurden. So wurden unter anderem der Spitzensteuersatz gesenkt, die Vermögenssteuer ausgesetzt und die Unternehmensteuer abgesenkt. Die Steuerpolitik hat ihre ursprünglich angelegte sozialpolitische Umverteilungsfunktion immer mehr verloren. Die Politik entlastet mit diesen Steuerprivilegien Vermögende Jahr für Jahr in einem Umfang von 80 Milliarden Euro. Doch eine Erhöhung des Regelsatzes für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger um mindestens 180 Euro, wie sie das Diakonische Werk fordert, ist politisch nicht durchsetzbar.

Die sozialethisch wichtige Einsicht der Tora besteht darin, dass man Eigentumstitel antasten muss, wenn Armut bekämpft werden soll. Da Armut für die Bibel eine Verletzung der Rechte der Armen ist, haben arme Menschen ein Recht auf einen gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Materielle Teilhabe ist ein Rechtsanspruch.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24): Seit der Antike ist die Kritik der Habgier als Untugend geläufig. „Für den Reichtum liegt bei den Menschen keine sagbare Grenze vor,“ sagt bereits Solon (ca. 640 – ca. 560 v. Chr.), und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) fügt hinzu: „Alle Geschäftemacher nämlich wollen ins Unbegrenzte hinein ihr Geld vermehren.“ Die Bibel unterscheidet sich in keiner Weise von dieser vorherrschenden Einschätzung des Geldes in der Antike, wenn es heißt: „Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt“ (Koh 5,9).

Wann immer Geld eine Funktion bekommt, die über die des Rechnens und Tauschens hinausgeht, und Geld zu einer alles bestimmenden Wirklichkeit mutiert, wird dieses in der Antike ethisch disqualifiziert und darüber hinaus in der biblischen und auch jüdischen Tradition theologisch als Mammon oder Götze abgelehnt (Mt 6,24; Lk 16,13; Kol 3,5; Eph 5,5). Die biblische Mammonkritik analysiert den Geldmechanismus, ob er sich dominierend auswirkt, und bewertet diesen Sachverhalt ethisch und theologisch. Die Personifizierung „Gott-Mammon“ ist eine systemanalytische Kategorie in einer wertenden und ethisch-theologischen Sprache und will aussagen: Das Gesetz des Geldes, der Mammon, herrscht dann, wenn die permanente Geldvermehrung als oberstes Ziel akzeptiert und entsprechend gehandelt wird.

Für jüdische und neutestamentliche Texte ist Habgier nach Geld ein Werk des Teufels, es ist Götzendienst (Kol 3,5; Eph 5,5; auch: 1 Tim 6,9f). Die gängige Auslegung versteht Habgier als ein Problem individueller Unmoral. Doch eine Moralisierung erfasst Habgier nicht angemessen. Sie ist nämlich ein strukturell vorgegebenes Verhalten, an dem jede und jeder durch die Geldwirtschaft partizipiert. Sie ist aber auch Ungehorsam gegenüber dem Willen Gottes, der einen Segenskreislauf des Reichtums zu den Armen fordert. Entsprechend wird in den Evangelien immer wieder gefordert, auf „Mose und die Propheten zu hören“ (Lk 16,29; 24,44; Joh 1,44; Apg 16,22), damit ein der Tora entsprechender Segenskreislauf beginnen kann, der von der unendlichen strukturellen Gier befreit.

Wenn die Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Busan im Jahr 2013 die Gegenwart beschreibt als „ein globales vom Mammon bestimmtes System, das durch endlose Ausbeutung allein das grenzenlose Wachstum des Reichtums der Reichen und Mächtigen schützt“, dämonisiert sie nicht. Sie appelliert an die Reichen zu einer Umkehr, damit sich der biblische Segenskreislauf ereignen kann, der die Reichen von der Gier befreit und die Armen zu ihrem Recht kommen lässt.

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