Baustelle 7 reloaded

Warum Günter Thomas den Panentheismus zu eng denkt
Eingerüsteter Glockenturm der St.Bartholomäuskirche in Hildburghausen (Thüringen), Mai 2020.
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Eingerüsteter Glockenturm der St.Bartholomäuskirche in Hildburghausen (Thüringen), Mai 2020.

Der zeitzeichen.net-Artikel von Günter Thomas mit dem Titel „Unsere 13 Baustellen: Warum sich die evangelische Theologie ehrlich machen sollte“ hat Eberhard Pausch, Studienleiter für Religion und Politik an der Evangelischen Akademie in Frankfurt/Main zu einer kritischen Stellungnahme provoziert. Er konzentriert sich in seinem Text auf die „7. Baustelle“ von Thomas und geht an dessen Text kommentierend entlang.

Nach einem einleitenden deskriptiven Teil platziert Thomas drei Haupteinwände gegen die seines Erachtens kurzschlüssig aufgestellte panentheistische (evangelische) Theologie der Gegenwart: Sie denke das Wesen Gottes nicht hinreichend „agonal“ (= intern und extern kämpferisch); sie vernachlässige die „partikularen“ Aspekte des Christentums (das Volk Israel, Jesus von Nazareth als Christus) gegenüber den „universalistischen“; schließlich werde sie nicht trinitätstheologisch entfaltet. Auf alle drei Einwände gehe ich im Folgenden argumentativ ein. Mein Kommentar ist in kursiv gehalten.

7. Baustelle: Panentheismus. Der Ärger der Partikularität!

„Ist Gott in allem, was lebt, gar in allem, was ist? Blickt man auf die internationale ökologisch ausgerichtete Theologie (innerhalb wie außerhalb der ökofeministischen Theologie), so ist ohne Zweifel das Modell eines prozesstheologisch inspirierten Panentheismus geradezu das Standardmodell der Verhältnisbestimmung von Gott und Welt geworden.“
Diese Eingangsthese dürfte als Deskription zutreffen.

„Für den deutschsprachigen Raum wurde Jürgen Moltmanns pneumatologische und ökologische Schöpfungslehre prägend […]“.

Das gilt nicht uneingeschränkt. Sicher ist Moltmanns Entwurf wichtig. Aber die entscheidende Prägung der deutschsprachigen Theologie geht wohl auf Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) zurück. Von ihm ist etwa Paul Tillich (1886-1965) beeinflusst. Im 21. Jahrhundert bekennt sich unter anderem Wilfried Härle (geb. 1941) zu einem panentheistischen Denkmodell.

„Der Panentheismus, nach dem Gott in allem ist, ohne ganz darin aufzugehen, kann unterschiedlich gefüllt werden.“

Das ist richtig, wie die Namen Schelling, Tillich, Moltmann und Härle exemplarisch dokumentieren. Ganz abgesehen von den prozesstheologischen Varianten des Panentheismus, die sich vor allem im angelsächsischen Raum im Anschluss an Alfred Northern Whitehead entwickelt haben.

„Dieser Panentheismus, der den ökologischen Diskurs explizit oder implizit bestimmt, ist mit mehr als einem Fragezeichen zu versehen.“

Jetzt geht Günter Thomas von der Deskription zur Kritik über. Welche Argumente bietet er auf?

„Die grundlegende theologische Vorgehensweise aller panentheistischen Ökotheologien ist die variantenreich zu beobachtende Strategie einer Universalisierung einer in den biblischen Traditionen greifbaren partikularen Gottesgegenwart.“

Was spricht eigentlich gegen die Universalisierung Gottes, der das Universum, wenn nicht das Multiversum („Himmel und Erde“) geschaffen hat? Kann ein solcher Gott anders denn als universal gedacht werden? In den „biblischen Traditionen“ gibt es übrigens sehr wohl zumindest Vorformen panentheistischer Gedanken, etwa in Apostelgeschichte 17,28: „In ihm [Gott] leben, weben und sind wir.“ Dieser von Lukas dem Apostel Paulus in den Mund gelegte dichterische Vers lässt sich unschwer panentheistisch deuten.

 „Folgt man diesem Ansatz, bleibt es nicht nur rätselhaft, wie Gott gegen etwas sein und einen Widerwillen haben kann.“

Inwiefern ist bzw. bleibt das rätselhaft? Gerade im Panentheismus lässt Gott seinen Geschöpfen (anders als im Pantheismus, wo er letztlich mit seiner Schöpfung identisch ist) einen Freiraum, indem er ihnen Freiheit einräumt. Genau das ist die Pointe von Schellings Freiheitsschrift aus dem Jahr 1809. Auch Moltmann, Tillich und Härle denken den Menschen als „endliche Freiheit“, gegen dessen Sündhaftigkeit der ihn umgebende Gott durchaus seinen Widerwillen haben kann (und hat).

„Jegliches agonale und kämpferische Moment in Gott, mit dem er um seine Schöpfung und die Menschen ringt, wird konsequent ausgeschlossen. Dies führt, folgt man dem jüdischen Exegeten John Levenson, theologisch nicht nur in die Langeweile.“

Hier gibt es in den panentheistischen Denkweisen in der Tat zwei Gleise, die sich auseinanderbewegen. Es gibt ein Gottesbild, in dem Gott in sich selbst als nicht-agonal gedacht wird, als reine, unerschöpflich schöpferische Liebe. Es gibt aber auch – etwa bei Schelling – die Rede vom „dunklen Grund“ bzw. „Ungrund“ Gottes. Ein faszinierender Satz bei Schelling lautet: „Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Zentrum, in das er erschaffen worden …“. Martin Heidegger zeigte sich bezaubert von dieser Aussage, von der er aber den Nebenabsatz abschnitt, der Schelling sehr wohl wichtig war, weil er den Schöpfungsgedanken betonte. Fazit: Weder das eine noch das andere Modell muss zur Langeweile führen. Beide bergen nämlich in der Folge erhebliche Rätsel: Wie kann ein unendlich liebevoller Gott als agonal und in sich selbst kämpfend gedacht werden? Wird er dies aber nicht, so muss das Verhältnis des nicht-agonalen Gottes zur agonalen Welt interpretiert werden. Reicht die menschliche Freiheit aus, diesen Widerspruch aufzulösen? Nein, langweilig wird es in der panentheistischen Theologie sicher nicht werden, weder im einen noch im anderen Gleis.

„Ist Gott schon in allem gegenwärtig, so ist nicht nachvollziehbar, wie noch an irgendeiner ‚rettenden Transzendenz‘ hoffend festgehalten werden kann. Wird die Partikularität des göttlichen Handelns in eine hier und da partikular nur bezeichnete Universalität aufgelöst, so ist dies nicht ohne Folgen.“

Sicher hat das Folgen. Aber welche?

„Eine der Folgen des Panentheismus ist – und dies lässt sich vielfach belegen – dass der besondere Ölbaum Israel, auf den die Kirche gepfropft ist, aus dem Blick gerät. Der ökologisch motivierte Panentheismus strebt nach einer Plausibilität des Religiösen ohne den Skandal des sozial, geschichtlich und sachlich Partikularen, für das Israel und Jesus von Nazareth als Christus stehen. Nicht umsonst findet sich zur Anzeige dieser historischen Partikularität Pontius Pilatus im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Diese vielfach beobachtbare Flucht in die Universalität der Gottesgegenwart in der Immanenz ist offen zu diskutieren. Gibt sie Essenzielles Preis? Überwindet sie die Enge bestimmter Traditionen? Ich fürchte, sie verleugnet im Kern das Ärgernis des Christusereignisses und der Partikularität Israels.“

Ich halte diese Furcht von Günter Thomas für logisch unbegründet. Denn ein wirklich Universelles muss jegliches Partikulare einschließen können, sonst wäre es ja gerade nicht universell. Dass es in der Geschichte der Welt und in der Geschichte Gottes in der und mit der Welt das Volk Israel und den Menschen Jesus von Nazareth gab und dass diese beiden geschichtlich kontingenten Faktoren die Geschichte insgesamt bestimmen und prägen, ist in keiner Weise zu leugnen. Dies ist auch nicht unlogisch, sondern einfach kontingent wie alles, was sich in der Menschheitsgeschichte ereignet – seinen Auswirkungen nach dann aber höchst logisch beziehungsweise kausal nachvollziehbar. Die dem entgegenstehenden „vielfach“ anderen Belege kann ich nicht sehen.

„Hinzu kommt eine weitere Beobachtung: Das Bedürfnis nach einer politischen und hinsichtlich der Leitimaginationen niederschwelligen Anschlussfähigkeit an außerkirchliche Akteure im Raum der Zivilgesellschaft, ist für die Kirchen nicht ohne Folgen.“

Das ist eine bloße Behauptung, die nicht begründet wird. Ist diese Anschlussfähigkeit wirklich so „niederschwellig“, wie Thomas behauptet? Schellings Philosophie und die drei exemplarisch genannten theologischen Entwürfe sind sicherlich alles andere als leicht zu lesen und „niederschwellig“ anschließbar an politische und außerkirchliche Akteure. An welche denn? Denkt Thomas an „Bündnis 90/Die Grünen“ oder die regierenden Ampel-Parteien insgesamt? Meint er „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“? Oder wen oder was dann?

„Dieses Bedürfnis dürfte nicht unwesentlich zu einem wenig prägnant trinitarischen Schöpfungsverständnis in den Umweltdebatten beitragen.“

Jetzt offenbart der von Karl Barth geprägte Thomas sein Kern- und Schlüsselargument: Dem Panentheismus fehle ein „trinitarisches Schöpfungsverständnis“. Das ist insofern überraschend, als sowohl Moltmann als auch Tillich als auch Härle jeweils spezifische trinitarische Modelle verwenden, um ihre panentheistische Schöpfungstheologie zu entfalten. Es geht also offenbar zusammen, das eine und das andere – und zumindest Moltmann und Härle als noch lebende Zeitgenossen denken zugleich sehr konkret und mit sehr guten sachlichen Argumenten über einzelne Aspekte der ökologischen Herausforderungen nach, etwa über die Frage der Kernenergie.

„Eine trinitarisch gegliederte Rede von der Schöpfung stellt aber keine theologische Griffelspitzerei dar, sondern eröffnet wichtige Pointen der Geschichte Gottes mit der Schöpfung. Sie hält fest, dass die Thematisierung der Natur als Schöpfung von der Perspektive des Glaubens abhängig ist und keine unmittelbare Erfahrungsevidenz als Grundlage hat.“

Wie schon gesagt und gezeigt: Es gibt sehr leistungsfähige theologische Ansätze, die Panentheismus, Trinitätslehre und Schöpfungsverantwortung zusammenbringen. Selbstverständlich können aber auch das Judentum und der Islam – ganz untrinitarisch – panentheistisch denken. Das Gleiche gilt von bestimmten philosophischen Konzeptionen. Man muss also nicht trinitarisch argumentieren, kann dies aber tun, um Panentheismus und ökologisches Denken zusammenzufügen.

„Zugleich eröffnet die trinitarische Rede den theologischen Blick auf eine reiche Differenzierung in Gottes Transzendenz und Immanenz – gegenläufig zu den in der ökologischen Theologie dominierenden panentheistischen Vorstellungen einer in allem gegenwärtigen Immanenz Gottes.“

Eine „in allem gegenwärtige Immanenz Gottes“ ist wohl eher ein pantheistisches als ein panentheistisches Modell, da es den von Gott seinen Geschöpfen eingeräumten Freiheitsspielraum ignoriert. Klar panentheistisch wäre der Gedanke: Gott ist zwar jederzeit transzendent und er umgibt auch seine ganze Schöpfung, zugleich aber ist er nur potenziell in allem immanent, da er seinen Geschöpfen Freiheitsspielräume zugesteht und eröffnet hat.

„Und: Nur in einer trinitarischen Fassung der Schöpfung, ist die Natur in so eine Geschichte Gottes mit der Welt hineingenommen, dass die Natur eine erlösende Zukunft hat. Nur in dieser letztlich trinitarisch angelegten Geschichte (als erzählte Story und als Ereignisserie in und mit dieser Welt) kann eine Erlösung der Schöpfung mit all ihren naturalen Seiten gedacht werden – eine Erlösung, die nicht einfach eine Erlösung vom Menschen ist. Von dieser Hoffnung aus kann wiederum mit einem realistischen Blick auf die Schattenseiten der gegenwärtigen Schöpfung geschaut werden. In dieser Sichtweise ist die Schöpfung mehr als die gegenwärtige Natur.“

An dieser Stelle artikuliert Thomas aufgrund seines Plädoyers für die seines Erachtens herausragende Bedeutung der Trinitätslehre einen Absolutheitsanspruch der christlichen Theologie, den ich nicht mittragen kann: „Nur in einer trinitarischen Fassung der Schöpfung …“. Demnach wären alle philosophischen Ausgestaltungen des panentheistischen Denkens ebenso wie jüdische oder islamische Konzeptionen von Schöpfung unterkomplex. Sie könnten Erlösung nicht adäquat denken. Das ist eine sehr exklusive und damit problematische Sichtweise, der ich deutlich widersprechen möchte.

„In der trinitarischen Geschichte Gottes markiert die Prädikation ‚sehr gut‘ eine theologisch schmerzhafte Erinnerung und eine antreibende, sehnsüchtige Hoffnung. Ob die Kirche riskiert, diese kritischen Differenzierungsgewinne in die öffentliche Debatte einzubringen, erscheint wenig wahrscheinlich. Doch genau darum muss gestritten werden.“

Wen meint Thomas hier mit „der“ Kirche? Die Evangelische Kirche im Rheinland? Die EKD? Die christliche Kirche in ihrer ganzen konfessionellen Vielfalt? Ich kann dies nicht erkennen und deshalb auch nicht abschätzen, zu welchen Differenzierungsgewinnen „die“ Kirche fähig ist. Ich meine aber – nicht nur im Blick auf „Laudato si“ aus dem römisch-katholischen Spektrum oder „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ als Publikation der EKD –, dass hier sehr erfreuliche Differenzierungen und handlungsleitende Orientierungen möglich sind.

In einem ganz zentralen Punkt aber gebe ich Herrn Thomas abschließend Recht: Eine leistungsfähige Schöpfungstheologie muss die Prädikation „sehr gut“ (hebräisch: tow meod) explizieren können – und zwar trotz aller Herausforderungen, Verwerfungen und Katastrophen unserer Zeit. Darum lohnt sich der Streit, der hier eingefordert wird. Um Gottes, der Menschen und aller Geschöpfe willen!

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